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Wie diffamiert man Alexander Solschenizvn?

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In Londons altehrwürdigem und weltgrößtem Buchgeschäft „Foyels" in der Charing-Cross-Road ist das Werk aus den Verkaufsregalen verschwunden, offenbar nachdem man gemerkt hat, welch eigentümliches Fabrikat damit angeboten wird. Dafür ist es im benachbarten moskautreuen Bookshop zu haben, allerdings auf Umwegen.

Ausdrücklich mit der Beteuerung angefordert, es werde auf Schleichwegen in die Sowjetunion gebracht, wird das zweibändige, über tausend Seiten starke Buch in russischer Sprache „Wokrug Solshenizyna" (Um Sol-schenizyn) unter dem Ladentisch hervorgeholt. Höchst sonderbar: Emigrantenliteratur, und noch dazu über die „Unperson" Solschenizyn, in einem Buchgeschäft, das gemeiniglich nur literarische Produkte aus sowjetischen Verlagen oder linientreue Druckwerke aus Ost und West vorrätig hat.

Schon die oberflächliche Durchsicht der reichen und vielseitigen Bebilderung - Photos, Photomontagen und Karikaturen - läßt bezweifeln, daß es sich um eine ernstgemeinte literarische Auseinandersetzung mit dem größten lebenden russischen Schriftsteller, der 1974 ins Exil ging und jetzt in Vermont (USA) lebt, handelt. Insgesamt sind sieben Ikonen abgebildet. Doch das Antlitz des Heiligen ist durch das Gesicht des Nobelpreisträgers ersetzt, in der Stola das Konterfei Lenins.

Zur Blasphemie gesellt sich offene Obszönität: Solschenizyn durch Montage in verfänglicher Pose, als Lustmolch, als Hahnrei, als Faun, als Wüstling - sich nicht sehr einfallsreich wiederholendes Motiv, geschmacklos, abstoßend, wideriich.

Wer das Buch noch nicht in den Papierkorb wirft, dem werden diese Proben bis zum Brechreiz weiterserviert -in Wort und Bild, in Versen und Illustrationen, in einer Intensität und mit tatarischer Phantasie, die einen schwedischen Pornoproduzenten vor Neid erblassen läßt.

Wortgebilde aus der untersten Lade sind nur ein Teil des Aufklärungsbuches über Persönlichkeit und Schaffen Alexander Solschenizyns. Die Kapitelüberschriften jenes Teiles, der besonders Solschenizyn betrifft, erhellen die Thematik: Tierische Grausamkeit; Moralisch ist alles recht; Was mir nützt; Lügner; Scheinheiliger; Verleumder; Gerüchteschmied; Denunziant; Größenwahnsinn; Verräter; Un-ehriichkeit; Undankbarkeit; Geheimnistuerei; keine Freunde; Liebe auf stahnistisch; Fluch statt Argumente.

Um deutlich zu machen, auf wen alle diese Epitheta zutreffen, wird der Name des Dichters getrennt: Sol-sche-nizyn, wobei der Mittelteil eine Form des russischen Wortes „Loshj" (Lüge) ausmacht.

In Kapiteln, die von einem tiefen Verständnis der russischen Sprache und Literatur zeugen, sind weitschweifig und in einer einmaligen Ansammlung von Quellen (ein Mensch reicht nicht aus, um das gesamte Material zusammenzutragen) vermeintliche Beweise gebaut, die dem Nobelpreisträger Plagiat und geistige Anleihen bescheinigen.

In diesem Zusammenhang wird erneut die alte Geschichte ausgegraben, der Schriftsteller sei jüdischen Geblütes, sein Name sei in Wahrheit Sol-schenitzer oder Solschenitzker, Patro-nymikon, nicht Isajewitsch, sondern Isaakewitsch.

In seinem Buch „Die Eiche und das Kalb" berichtet Solschenizyn von gleichgerichteten Versuchen der sowjetischen Behörden, allein „oh weh, die Rassenfrage brach zusammen, es stellte sich heraus, daß ich Russe bin" (S. 634).

Wer kann ein Interesse haben, den Nobelpreisträger in einem Sammelsurium von Literatur und Schmutz, Kenntnis und Obszönität anzugreifen? Wer hat die Mittel zur Verfügung, um einen teuren Druck in kleiner Auflage ohne Hoffnung auf Verkaufseinnahmen zu bewerkstelligen?

Sein offizieller Name ist Aleco Fle-gon, in den fünfziger Jahren aus Rumänien geflüchtet. Verleger und streitbarer Emigrant.

Der Verfasser und Herausgeber des Buches „Um Solschenizyn" hat seinerzeit als erster - noch vor ACA-Press - den „Archipel Gulag" im Piratendruck herausgegeben, als dessen Autor noch in der Sowjetunion war. In den Westen gelangt, entzog Solschenizyn, offensichtlich über die Persönlichkeit Flegons in Kenntnis gesetzt, diesem das Veröffentlichungsrecht.

Die Folge war, wie der Rumäne selbst beschreibt, eine persönliche Belagerung der Zürcher Wohnung Solschenizyns und ein endloses, bisher fruchtloses Prozessieren.

Flegon weist sich in einem Merkblatt als Herausgeber der verschiedensten russischen Werke aus: Allen voran ein Lexikon des russischen Latrinenidioms, das zum Teil zum täglichen Sprachrepertoire des Sowjetmenschen gehört. Des weiteren die Bibel, Erotik in der russischen Kunst und Russische Weltliteratur (Lermontow, Zwetajewa, Achmatowa, Jessenin u.a.). Der Herausgeber rühmt sich in besagtem Flugblatt, daß ein Großteil dieser Bücher in die Sowjetunion gelangt ist.

Flegon rechnet, daß auch sein Sol-schenizyn-Buch in der Sowjetunion Verbreitung findet. Und in dieser Ver-leumdungs- und Diffamierungskampagne hat er - bewußt oder unbewußt, direkt oder indirekt-einen mächtigen Partner, der das obszön-literarische Machwerk mit Genugtuung und Wohlwollen betrachtet: das KGB.

Der Nobelpreisträger ist zwar in die Emigration entlassen, aber er lebt bei seinen Zeitgenossen und einstigen

Mitbürgern: Seine Werke zirkulieren im Untergrund, Tonbänder der Lesungen des „Gulag" in westlichen Kurzwellensendern machen unter der Hand die Runde.

Der Nobelpreisträger hat mit seinen Enthüllungen der Großmacht einen stärkeren Schlag verseUt, als es westliche Gegenpropaganda oder feindliche Armeen vermögen. Warum sollten sich - nach bewährter Methode - die zuständigen Behörden nicht jener Wege bedienen, die dem Dichter Unsterblichkeit gebracht haben?

Flegons Buch ist eindeutig an den sowjetischen Leser gerichtet. Pornographie und Antisemitismus (von dem das Opus nur so strotzt), beides in der Sowjetunion offiziell verboten, garantieren allemal ein wachsendes Publikum im Verborgenen. '

Solschenizyn als Jude und Antisemit. Verschiedenes wird vom Autor und von den sichtbaren oder unsichtbaren Protegčs gleichermaßen geschätzt: Flegon zieht die gesamte Emigration in den Schmutz, die Diener des Sowjetstaates tun desgleichen.

Flegon fühlt sich auf Schritt und Tritt vom CIA verfolgt; Solschenizyn ist nach ihm ein Handlanger des CIA. Wer weiß, welche Bedeutung das Schreckgespenst ZRU (CIA) in der Lesart der sowjetischen Medien besitzt, der kann sich die Wirkung einer Polemik mit der amerikanischen Organisation „aus neutraler Quelle", ausmalen.

Flegon zieht gegen alle Emigrantenverlage zu Felde, deren Erzeugnisse ihren Weg hinter den Eisernen Vorhang finden. Was könnte den Wächtern der remen Heilslehre willkommener sein?

Und damit stellt sich auch die Frage, welche Persönlichkeit oder welches Kollegium das Buch eigentlich geschrieben hat. Flegon ist Nichtrus-se, der die Sprache gut beherrscht, aber deshalb noch kein russischer Literat ist. Manches ist in brillantem Stil geschrieben, anderes wiederum abgehackt und sogar grammatisch unrichtig.

Das gibt zu denken.

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