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Digital In Arbeit

Wie ein Sprung ins kalte Wasser

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Lust und Frust gehören zum alltäglichen Leben eines freien Mitarbeiters bei Presse und Rundfunk. Schlechte Bezahlung und schlechte Berufsausbildung hemmen die Freude an der alltäglichen Arbeit.

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Lust und Frust gehören zum alltäglichen Leben eines freien Mitarbeiters bei Presse und Rundfunk. Schlechte Bezahlung und schlechte Berufsausbildung hemmen die Freude an der alltäglichen Arbeit.

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Uber sie gibt es keine genauen Statistiken, rechtlich gesehen sind sie weiße Flecken auf der Landkarte. Der eine residiert in einer Villa in Hietzing, während der andere am Existenzminimum in einer Substandardwohnung dahinvegetieren muß. Und dennoch gehören beide derselben Gruppe an: Sie sind freie Mitarbeiter bei den Medien.

Freier Mitarbeiter kann jeder werden, unabhängig von Schulbildung und Qualifikation. Dementsprechend große Konkurrenz hat der Berufsneuling im Kampf um einen guten Arbeitsplatz zu erwarten, denn fix angestellt wird man anfangs nur selten.

„Im Kollektivvertrag für österreichische Tageszeitungen gibt es für den Herausgeber nur unverbindliche Richtlinien, Empfehlungen in bezug auf die Freien. Der Zeitungsherausgeberverband klopft zwar denjenigen, die sich nicht daran halten, auf die Finger, de facto kommt es immer wieder zu Verstößen, so Michael Kress, Sekretär der Sektion Journalisten in der Gewerkschaft Kunst, Medien und freie Berufe.

Die unsichere Rechtssituation bekamen schon einige der selbständig Tätigen zu spüren, nämlich beim Einklagen von Honoraren und Spesenrechnungen: Nur wer nachweisen kann, daß er mündlich oder schriftlich einen gewissen Vertrag vereinbart hat, kann auf mehr Geld hoffen. Im ländlichen Bereich feiert das We-nig-Zahlen überhaupt fröhliche Urständ: „Vor Gericht hat man nur Anspruch auf den ortsüblichen Tarif und der liegt meist unter dem Kollektivvertrag“, erläutert Kress.

Aber auch die kollektivvertraglichen Honorarrichtlinien entsprechen bei den Printmedien nicht den realen Gegebenheiten, wer versucht, auf dieser Zahlungsbasis zu arbeiten (133 Schilling für tausend Anschläge), bleibt finanziell auf der Strecke: den hart erarbeiteten Betrag muß der freie Mitarbeiter noch versteuern und sich aus eigener Tasche sozialversichern lassen. Laut Kress denken die wenigsten dabei an die Pensionsversicherung. Im Alter von fünfzig oder sechzig Jahren ist es dann zu spät.

Wer als freier Mitarbeiter vom Urlaub träumt, sollte besser einen anderen Beruf wählen, weil er entweder für diese Zeit vorarbeiten muß oder nach seiner Rückkehr eine Auftragsflaute zu überbrücken hat. Von einem bezahlten Urlaub, eine Selbstverständlichkeit für jeden fix angestellten Journalisten, ganz zu schweigen.

Uber die Anzahl der freien Mitarbeiter bei Medien kann man sich nur auf Mutmaßungen stützen. Wie Franz Ivan, der Generalsekretär des Verbandes österreichischer Zeitungsherausgeber und Zeitungsverleger, erklärte, ist das Verhältnis von freien Journalisten zu fix angestellten regional und je nach Zeitungstyp verschieden. Bei größeren Zeitungen überwiegen die Redakteure, je kleiner das Medium, umso geringer die Angestelltenzahl.

Bei den ÖGB-Mitgliedern der Sektion Journalisten überbieten die Angestellten zahlenmäßig leicht ihre Berufskollegen, im ORF dagegen zählt man 8.000 bis 9.000 Freie, nach Abzug von Komparsen, technischem Personal etc. bleiben immer noch 700 bis 800

über, von denen 300 ständige Aufträge erhalten, die Landesstudios mit inbegriffen.

Wer beim ORF arbeitet, kann sich glücklich preisen, denn er ist schon auf halbem Weg zum „Krösus“. Für den ORF gelten, im Gegensatz zu den Printmedien, fixe Richtlinien für freie Mitarbeiter.

Nachdem an die 200 freie Journalisten vor einigen Jahren auf Anstellung geklagt und recht bekommen hatten, mußte man sich auf dem Küniglberg und in der Argentinierstraße eine Lösung einfallen lassen. Jetzt hat der Freie die Möglichkeit, sich einen besseren Posten zu „ersitzen“: Hat man sich einen fixen Schreibtisch erobert und kann man auf eine fixe Arbeitszeit, fixe Diensteinteilung und ein gewisses Stundenausmaß verweisen, so avanciert man in der ORF-Hierarchie zum ständigen freien Mitarbeiter. Dieser genießt bereits das Vorrecht der Kündigungsfrist und hat ein Recht auf Abfertigung, wenn er eine bestimmte Zeit gearbeitet hat.

Schlecht bestellt ist es aber in solchen Fällen mit dem Einspruchsrecht des Betriebsrates. Außerdem liegt die zu leistende Stundenanzahl, die man für eine fixe Anstellung vorzulegen hat, bei weitem höher als in anderen Berufszweigen.

Die Mitarbeiter Jes ORF stellen eine sehr homogene Gruppe dar, daher konnte Forderungen der Geschäftsleitung gegenüber mehr Nachdruck verliehen werden, anders jedoch bei den Zeitungen: „Bei den Printmedien herrscht eine geringere Solidarität. Die meisten bleiben lieber brav, weil man nichts davon hat, wenn man einen Prozeß auf Anstellung gewinnt und dann nach einer Anstandsfrist gekündigt wird“, so Michael Kress über seine Schwierigkeiten bei Kollektivvertragsverhandlungen.

Sehr viele freie Journalisten wissen überhaupt nicht Bescheid über ihre rechtlichen Möglichkeiten, meist basieren Honorarabmachungen auf gegenseitigem Vertrauen. Im Ernstfall merkt der Betroffene dann ohnehin, daß er gegenüber dem Zeitungsherausgeber auf dem kürzeren Ast sitzt.

Natürlich befinden sich unter der großen Masse der „kleinen Fische“ ebenso einige Stars an freien Journalisten. Heinz Conrads etwa präsentiert sich als einer der Veteranen unter den Freien, dementsprechend hoch liegt seine Gage. Daneben gibt es noch Dutzende Kolumnisten, die fix Angestellte vor Neid erblassen lassen. Reinhard Engel ist ebenfalls einer von ihnen, er zählt UPI, Trend, Newsweek und The Economist zu seinen Auftraggebern und ist als Vorsitzender der Fachgruppe freie Journalisten in der Sektion Journalisten tätig. Er selbst bezeichnet sich als „free-lance“, d. h. ein Journalist, der gerne freiberuflich und ungebunden arbeitet, für den sein Beruf mit einem höheren Status verbunden ist.

Für viele Brancheninsider stellt das Land der unbegrenzten Möglichkeiten das Zeitungsparadies schlechthin dar. Ganz so rosig sieht es zwar in den USA nicht aus, die Konkurrenz ist weitaus härter, aber „dort legt man wenigstens die Tatsachen auf den Tisch“, so Reinhard Engel, „die Zeitungen inserieren in speziellen Magazinen und geben ihr benötigtes Kontingent an Artikeln in jedem Ressort, die Ausstattung, die Honorare, die Spesen und sonstige Konditionen bekannt.“ Ähnlich funktioniert der Zeitungsmarkt in Großbritannien, wo man auch bei Printmedien an hohe Mindesthonorare gebunden ist.

„In Österreich ist der Status des freien Journalisten viel niedriger. Hier glauben viele, du wartest nur darauf, fix angestellt zu werden“, erklärt Reinhard Engel.

Mit schuld an diesem Dilemma ist die schlechte Berufsausbildung. Nur die wenigsten Zeitungen verfügen über Lehrredaktionen, die meisten Herausgeber lassen einen Neuling einfach den Sprung ins kalte Wasser machen. Eine echte Ausbildung, wie sie etwa die Journalistenschulen in München und Hamburg in der x BRD bieten, davon ist man in Österreich noch weit entfernt.

Uber die soziale Lage der freien Mitarbeiter arbeitet man in Wien erstmals an einer Studie. Ansonsten sind die Freien sehr frei, manchmal vogelfrei.

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