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Wie ein ungeliebter Verwandter
Kurt Waldheim bleibt Österreich als Bundespräsident erhalten. Das ist zur Kenntnis zu nehmen. Auch von jenen, die ihn am liebsten in stündlichen Sprechchören aus der Hofburg jagen wollen.
Uns stellt sich die Frage, wie der Präsident die moralische Autorität, auf die sein Amt gebaut sein soll, wiederherzustellen gedenkt; zumal Waldheim seinerzeit auch unter dem Anspruch, zur moralischen Erneuerung Österreichs beitragen zu wollen, angetreten ist.
Der aktive Bundespräsident, der er gerne sein wollte — was vielen schon vorschnell ein Dorn im Auge war — muß sich nun auf Selbstverteidigungsreden beschränken. Und er tut es wie bisher, auf Waldheim-Art: in dürren Worten und am eigentlichen Thema vorbei.
Niemand sollte aber jetzt glauben, mit einem Rücktritt hätte Waldheim seine Rolle als Sündenbock für Österreich erfüllt. Ebensowenig wie er selbst kann dieses Land im Jahr 1988 an persönlichen Verantwortlichkeiten vorbei die Vergangenheit einfach abhaken. Dazu braucht Osterreich mehr als eine Fernsehansprache.
Ohne dieses Staatsoberhaupt wären die Diskussionen über Österreichs Vergangenheit und sein heutiges Selbstverständnis zweifellos ruhiger verlaufen. Waldheim erschwert den Bewältigungsprozeß. Vor allem muß er selbst jetzt von uns bewältigt werden.
Aber darin darf sich unsere Politik nicht erschöpfen. Es geht um mehr als unser Image im Ausland.
Die internationale Isolation des Bundespräsidenten, der nach wie vor in Verkennung der Lage ständig auf seine weltpolitischen Erfahrungen pocht, die er für das Land nutzbar machen wolle, ist zwar kaum zu durchbrechen. Das darf aber nicht zur innen- und außenpolitischen Lähmung führen. Österreich steht vor der schwierigen Aufgabe, mit einer äußerst unangenehmen Wahrheit fertig zu werden.
Gegenwartsbewältigung müßte angesagt sein — in einem Land, in dem das alltäglich Normale (zum Beispiel, wenn ein Richter endlich Recht spricht oder ein Justizmini-ster aktiv wird) zum Außergewöhnlichen zu werden droht.
Österreich muß — bei bestehenden Verhältnissen — weiter kommen. Und das Land hat sich damit auseinanderzusetzen, mit Waldheim als Repräsentanten in einem unbefriedigenden Zustand zu leben. Vielleicht können wir das mit ihm, wie mit einem ungeliebten Verwandten, den man deswegen ja auch nicht gleich beseitigt.
Die momentane Lage erfordert Kraft zum Aushalten. Ein Gewöhnungsprozeß sei uns fern. Die schwierige Phase, die Österreich durchläuft, gilt es zu meistern — ohne vertuschende Verteidigungen, aber auch ohne anklagende Selbstgerechtigkeit.
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