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Wie eine Odyssee

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FURCHE:Herr Parvu. wie sind Sie nach Wien gekommen? VIRGIL PARVU: Nach einer Odyssee. Ich habe mich mit meinen Freunden zunächst während eines Ausfluges in Budapest abgesetzt. Das war im März des vergangenen Jahres. Im November bin ich nach Wien gefahren. Hier habe ich mit niemandem gesprochen, denn ich wollte gleich weiter nach Kopenhagen. Dort leben viele Rumänen. Meine Freunde und ich dachten deshalb, daß wir in Dänemark sicher sein könnten. Unsere Erwartungen wurden allerdings enttäuscht. Man sperrte uns dort wie Verbrecher zwei Tage ins Gefängnis und schickte uns nach Wien zurück. Wir blieben aber wieder nicht hier, weil wir auch in Paris Freunde haben. Dort holte uns die Polizei bereits vom Flughafen ab. Wir mußten ganze zwölf Tage in einem Hotel verbringen, ohne daß wir uns frei bewegen durften. Schließlich sagte man uns dasselbe wie in Kopenhagen: Ohne Paß und Visum könnten wir nicht bleiben und hätten im ersten Land, in dem wir uns nach unserer Flucht befanden, bleiben müssen. Also in Österreich.

Schließlich haben wir eingesehen, daß es sinnlos ist, von Wien wegzufahren. Man würde uns doch wieder hierher zurückschik-ken. So kamen wir nach Wien und hatten halb Europa gesehen, ohne irgendetwas tatsächlich gesehen zu haben.

FURCHE: Warum wollten Sie nicht gleich in Wien bleiben?

PARVU: Freunde hatten gesagt, daß uns Rumäniens Regime sucht. Es ist hier sehr gefährlich für uns alle.

FURCHE: Wenn Sie Interviews geben, wird Sie das bei Nicolae Ceausescu nicht beliebter machen.

PARVU: Das stimmt. Ich lebe hier in Traiskirchen auch sehr gefährlich. Man kann nie wissen. Ceausescu schickt einen Mann, sagt: ,Hier hast du Geld. Mach das.’ Und es kann dich beim Schlafen und auch beim Baden erwischen. Uberall.

FURCHE: Trauen Sie dem rumänischen Geheimdienst einen politischen Mord zu?

PARVU: Ja. Es gibt hier in Traiskirchen einige Mörder. So sagt man wenigstens. Aber ich werde nicht mehr lange hier sein und bin einigermaßen zuversichtlich.

FURCHE: Wollen Sie einmal zurück nach Rumänien? Eventuell in den Untergrund?

PARVU: Nein, das hat keinen Sinn. Sicher werde ich einmal nach Hause zurückfahren. Allerdings erst, wenn Ceausescu erledigt ist.

FURCHE:Kann sich Ceausescu noch lange halten?

PARVU: Das kann man nicht mit Sicherheit sagen. Wahrscheinlich bleibt er bis zu seinem Tode; denn - im Grunde genommen — wird er doch auch vom Ausland anerkannt.

FURCHE: Was könnte Osterreich unternehmen, um ihn zu stoppen?

PARVU: Keine rumänischen Waren mehr importieren, ein Embargo verhängen.

FURCHE: Haben Sie Kontakt mit dem rumänischen Untergrund?

PARVU: Natürlich. Ich möchte ja wissen, wie es bei uns läuft. Wir telefonieren miteinander oder schreiben uns.

FURCHE: Und wie schätzen Sie die Lage in Ihrer Heimat ein?

PARVU: Michail Gorbatschow spricht von Perestrojka und Glas-nost. In Rumänien ist davon überhaupt nichts zu merken. Es ist sicher das einzige sozialistische Land, in dem noch keine Reformen durchgeführt wurden, obwohl Ceausescu immer das Gegenteil behauptet.

In Rumänien werden Menschenrechte kaum geachtet. Es gibt keine Ansätze zur Demokratie. Ayßerdem hungert das ganze Volk, denn alle Güter werden exportiert. Man darf keine Kritik üben, sonst wird man eingesperrt.

FURCHE: Wie sieht die rumänische Bevölkerung diese Situation?

PARVU: Keiner resigniert. Alle wollen kämpfen. Natürlich mit Worten und nicht mit Waffen.

FURCHE: Was halten Sie von der Flüchtlingspolitik des freien Westens angesichts Ihrer Irrfahrt durch halb Europa?

PARVU: Ungarische oder deutsche Rumänen haben es im Vergleich gewiß leichter als wir Rumänen. Die Polizei ist überall zu streng. Deshalb konnten wir weder in Paris noch in Kopenhagen mit Flüchtlingsorganisationen Kontakt aufnehmen. Die Polizei wußte das immer zu verhindern.

FURCHE: Auch in Osterreich?

PARVU: Hier wurden wir angemessen aufgenommen. Wir mußten allerdings drei Wochen in der Uberprüfungsstation bleiben. Das ist viel, wenn man bedenkt, daß einige nach ein paar Tagen aus der Quarantäne entlassen werden.

Bei uns war allerdings ein Fehler daran mitschuld. Wir erhielten am Flughafen Papiere, die die Polizei hätte bekommen sollen. Da sie aber bei uns waren, mußten sie lange darauf warten. Wenn ich nicht ein wenig Deutsch könnte, würden wir vielleicht heute noch in dieser Station leben, wo es für mich sehr gefährlich war.

Mit Virgil Parvu sprach Peter lUetschko.

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