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Wie es uns gefällt

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Über Politik, Wissenschaft und die öffentliche Meinung.

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Über Politik, Wissenschaft und die öffentliche Meinung.

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Wer erinnert sich nicht mit Unbehagen an die Expertenauftritte vor der Volksabstimmung über das Kernkraftwerk Zwentendorf: Da gab es aus „berufenem" Munde zu beinahe jeder Sachfrage gegenteilige Äußerungen. Immer unter Berufung auf strenge Wissenschaftlichkeit. Die Entscheidung des niederösterreichischen Naturschutzlandesrates Ernest Brezovszky, der Bau des Donaukraftwerks Hainburg sei vom Standpunkt des Naturschutzes aus unbedenklich, erscheint wie eine Wiederauflage dieser Expertenkomödie.

In erster Instanz waren nämlich die Gutachter mehrheitlich der Meinung, der Kraftwerksbau sei mit dem Naturschutz unvereinbar. Jetzt, so heißt es, sei eine erdrückende Mehrheit der gegenteiligen Auffassung. Das Ganze ist ein Trauerspiel. Es offenbart ein Grundproblem unserer heutigen gesellschaftlichen Situation: Ein Abbau der Vertrauenswürdigkeit auf allen Ebenen. Was soll sich denn der einfache Staatsbürger denken, wenn er mit solchen Widersprüchen konfrontiert wird? In Gesprächen hört man immer wieder, es seien ohnedies alle Gauner, die Politiker und die Experten. Auch die Wissenschaft sei käuflich.

Keine Frage, daß es so etwas auch geben dürfte. Warum sollten gerade unter den Wissenschaftlern nur lautere Charaktere anzutreffen sein? Ich erinnere mich noch gut an ein Gespräch mit dem Oberbürgermeister einer deutschen Stadt: Er sagte mir, daß man ein positives Gutachten für beinahe jedes Projekt bekommen könne. Man müsse sich nur lang unter den Experten umschauen.

Das erschien mir damals übertrieben und tut sicher auch heute der überwiegenden Mehrzahl der Wissenschaftler unrecht. Wie kommt es aber sonst zu so merkwürdigen Entscheidungen wie jetzt in Niederösterreich? Der Politiker Brezovszky stützt seine Entscheidung auf die Autorität von Experten: Zwölf zu eins seien die Gutachten zugunsten des Baus ausgegangen. Nun spricht tatsächlich einiges dagegen, daß diese Relation richtig ist. Von drei bis vier Naturschutzgutachten weiß man, daß sie negativ für den Bau ausgegangen sind. Die Naturschutzexperten waren sich somit im wesentlichen einig, daß Kraftwerksbau und Erhaltung der Au nicht unter einen Hut zu bringen sind.

Dieselbe Meinung hatten auch 25 vom Land Niederösterreich als Naturschutzsachverständige anerkannte Experten vor längerer Zeit in einer Resolution an den Landeshauptmann zum Ausdruck gebracht. Diese einhellige Äußerung hätte das Projekt eigentlich zu Fall bringen müssen. Statt dessen wurden die Experten als befangen eingestuft und man zog andere heran.

'Dazu mußte man sich in anderen Bereichen umsehen: Wasserrechts- und Energiefragen hielten ihren Einzug in das Naturschutzverfahren, wo sie nichts verloren haben. Durch ihre Einbeziehung wurde aber der Expertenkonsens im Naturschutz verdeckt, und es entstand der falsche Eindruck, als seien sich die Biologen uneins.

Hier hat Politik die Wissenschaft mißbraucht: Die Fragestellung wurde solange verändert, bis die vorgefaßte Meinung wissenschaftlich abgesegnet erschien.

Wieso sind sich aber nicht alle Wissenschaftler einig? Weil Wissenschaft eben nicht wertfrei ist, wie wir irrtümlicherweise lange geglaubt haben. Bis in die frühen siebziger Jahre wurden Gutachten als Weisheit letzter Schluß behandelt. Spätestens die Zwenten-dorf-Kontroverse hat aber vielen klargemacht, daß auch die Wissenschaft nicht über den Weltanschauungen steht. Warum sollte sie auch?

Sie war auch in den goldenen sechziger Jahren nicht objektiver, nur fiel ihre Parteilichkeit weniger auf. Denn damals hatten wir Konsens über die gesellschaftlichen Prioritäten: Wirtschaftswachstum, Bezähmung der Natur und rationale Gestaltung unseres Lebensraumes waren als Ziel unbestritten.

Diese Zeiten sind vorbei. Tiefgreifende Meinungsunterschiede über unseren Weg in eine Welt von morgen sind aufgebrochen — auch unter den Wissenschaftlern. Diejenigen, die weiterhin an die Machbarkeit des menschlichen Glücks glauben, gehen anders an die Fragen heran als die, die unsere Umweltprobleme als Menetekel, als Grund zur Änderung unseres Fortschritts ansehen. Beide Gruppen stellen andere Fragen, stellen anderes außer Frage.

All das sind aber weltanschauliche und nicht wissenschaftliche Fragen. Beides sollte man streng auseinanderhalten. Vielfach wird aber die Autorität des Wissenschaftlers für Wertentscheidungen in Anspruch genommen. Und das ist eindeutig Mißbrauch.

Ob die Erhaltung seltener Tierund Pflanzenarten wichtiger ist als die Erzeugung von Strom, den wir in dieser Menge demnächst vielleicht gar nicht brauchen, das ist eine Wertung, für die jeder ebenso zuständig ist wie der Wissenschafter. Experten, die hier objektive Schiedsrichter spielen wollen, verlieren ebenso an Glaubwürdigkeit wie Politiker, die sich mit solcher Autorität schmücken.

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