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Wie Frauen versuchen, ihren Schritt zu „bewältigen"

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Drei Mechanismen lassen sich mehr oder weniger klar ausmachen, mit denen Frauen versuchen, die psychischen Spätfolgen einer Abtreibung zu verarbeiten: die Verdrängung, die Projektion und die Konfrontation.

Verdrängung

Besonders die Verdrängung zieht viele psychisch verursachte Krankheiten wie Rückenschmerzen, Kopfschmerzen, Bruststechen, Schwindel oder Ziehen im Unterleib nach sich. So klagten dreißig Prozent befragter Frauen seit der Abtreibung über gehäufte Unterleibsschmerzen ohne somatischen Befund.

Was ist seit der Abtreibung geschehen? Eine relativ große Gruppe sind Frauen, die im Gespräch aussagen, daß die Abtreibung sie psychisch nicht verändert habe. Dennoch versuchen sie, den Gedanken an die Abtreibung aus ihrem Bewußtsein zu verdrängen. So war es bei einer Erhebung interessant zu sehen, daß Frauen das Abbruchjahr „vergessen" hatten, auch wenn die Abtreibung erst ein Jahr zurücklag. Hingegen konnten sie für Operationen vor sehr viel längerer Zeit das richtige Jahr angeben. 61 Prozent der befragten Frauen schieben den Gedanken an die Abtreibung beiseite und verdrängen ihn. Es kommen Äußerungen wie: „Soll ich denn das Problem ein ganzes Leben mit mir rumschleppen?" oder „Ich habe mich nach der Abtreibung in die Arbeit gestürzt, um zu vergessen." Aber auch „Wissen Sie, der Abbruch lastet auf meiner Seele. Ich quäle mich jetzt schon die ganzen Jahre, den Gedanken an den Abbruch immer wieder zu verdrängen. Es geht nicht." Die Erinnerung an die abgebrochene Schwangerschaft beim Anblick schwangerer Frauen ist 52 Prozent der befragten Frauen lästig. Bei siebzig Prozent der Frauen kommt immer wieder der Gedanke hoch, wie es

wohl wäre, wenn das abgetriebene Kind jetzt lebte.

Projektion

Andere Frauen versuchen die Verantwortung für den eigenen Abbruch anderen anzulasten. Das ist der Mechanismus der Projektion. Psychisch labile Frauen, besonders aber Frauen in finanzieller Abhängigkeit vom Kindesvater - meist die nichtberufstätige Ehefrau oder die Schwangere, die mit dem Kindesvater in freier Partnerschaft zusammenlebt und von ihm abhängig ist - geben häufig dem psychischen Druck nach und treiben ab. In ihren Rechtfertigungsversuchen geben sie dann anderen die Schuld für den Abbruch, den sie doch letztlich selbst zu verantworten haben. „Ich gebe meiner Umgebung einen großen Teil der Schuld für diese Entscheidung" und „Der Kindesvater wollte das Kind auf keinen Fall haben" lauten die entsprechenden Aussagen im Fragebogen, die mit „stimmt" von einem hohen Prozentsatz der Frauen bejaht wurde.

Haßgefühle, Gefühlskälte, Launen und Depressionen kennzeichnen das

ehelich-sexuelle Miteinander mancher Frauen nach dem Abbruch. Häufig sind Sexualstörungen die Folge. Der bekannte Gynäkologe Meyer schrieb schon vor vierzig Jahren: „Eine besondere Bereitschaft zu Sexualneurosen scheint da zu bestehen, wo der Mann stark auf den Schwangerschaftsabbruch drängte, aber die Frau mehr ihm zuliebe nachgab, der Not gehorchend, nicht dem eigenen Triebe. Hier erscheinen die Störungen als eine Art Rache gegenüber dem Eingriff in die Freiheit der Persönlichkeit und als eine Art harter Belehrung des Mannes über sein Unrecht."

Doch „nicht nur die Männer werden zum äußeren Verfolger", schreibt etwa Jürgensen, sondern „auch die Ärzte". Bei Befragungen werden immer wieder heftige Vorwürfe und Aggressionen gegen den oder die Ärzte laut, die die Patientin zum Beispiel wegen einer möglichen oder wahrscheinlichen Behinderung des Kindes übertrieben geängstigt oder zum Abbruch gedrängt haben. Unter Tränen meint eine Patientin: „Die Ärzte haben über meinen Kopf hinweg entschieden. Sie haben mich geängstigt, das Kind könne geschä-

digt sein. Wäre ich nochmals in der gleichen Situation von damals, ich würde austragen, auch wenn mein Kind geschädigt wäre. Es ist mein Fleisch und Blut, ich würde es lieben."

Insgesamt stehen 45 Prozent der befragten Frauen nicht mehr zu ihrer früheren Entscheidung und würden, wenn sie könnten, die Abtreibung rückgängig machen, weil sie ihre damalige Entscheidung als falsch und ungut betrachten. Die Bestärkung der Entscheidung zum Abbruch - von Seiten des Arztes oder des Beraters -ist für viele Frauen vor dem Abbruch keine Entscheidungshilfe und danach nicht von psychotherapeutischer Relevanz.

Tatsächlich klagen viele Frauen nach der Abtreibung Ärzte und Berater an, vorher nicht genug über die möglichen psychischen Folgen aufgeklärt worden zu sein.

Konfrontation

Gewöhnlich läuft der Mechanismus der Konfrontation in mehreren Phasen ab. Erste Phase: Die Frau versucht, zu ihrer Schuld zu stehen. Sie verdrängt sie nicht, projiziert und ergeht sich auch nicht in Rechtfertigungen. Der nächste Schritt besteht in der Reue über den Eingriff. Nun trauert die Frau um ihr totes ungeborenes Kind wie um einen lieben geborenen Menschen, der gestorben ist.

Allerdings erschwert unsere Gesellschaft der Frau diese Trauerphase, weil man das Ungeborene, vor allem in seinem embryonalen Frühstadium, als Mensch noch nicht akzeptieren möchte. Ähnlich wie nach einer Früh-, Tot- oder Fehlgeburt sollen oft billige Trostworte wie „Sie können ja noch Kinder bekommen" die Frau über den schweren Verlust ihres Kindes hinwegtäuschen. Wird die für die psychische Verarbeitung der Abtreibung so wichtige Trauerphase verdrängt oder einfach nicht gelebt, so trauert die Frau in der Regel ein Leben lang um ihr ungeborenes totes Kind.

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