6935935-1983_10_01.jpg
Digital In Arbeit

Wie geht die Uhr?

Werbung
Werbung
Werbung

Die deutschen Wähler fiaben bei der Bundestagswahl am 6. März mitten im (Krisen-)Fluß die Pferde gewechselt - und damit ein in der Politik häufig verwendetes Bild zerstört.

Insoferne ist dje vom stellvertretenden SPÖ-Vor sitzenden. Karl Blecha noch am Wahlabend angebotene Erklärung für den klaren Wahlerfolg der Unionsparteien CDU/CSU unter Helmut Kohl, unsere Nachbarn hätten eben die „Kontinuität gewählt", nicht stichhaltig.

Vielmehr wollte eine eindrucksvolle Mehrheit der Wähler — mit 48,8 Prozent Stimmenanteil erreichten die Unionsparteien das ‘ zweitbeste Ergebnis seit 1949 — die Wende: Die Deutschen trauen es der „Partei des Wirtschaftswunders" eher als anderen zu, mit Wirtschaftskrise und Arbeitslosigkeit fertig zu werden.

Dem verdankt die CDU auch den Zustrom aus dem Lager ehemaliger SPD-Anhänger: Erste Wahlanalysen sprechen von rund zwei Millionen Wählern, die unmittelbar zu den Christdemokraten wechselten, wobei Kohl entscheidende Einbrüche in traditionelle SPD-Hochburgen, etwa im Ruhrgebiet, gelangen.

Nur mit Sympathie ist dies, ohne den persönlichen Anteil des Wahlsiegers schmälern zu wollen, sicher nicht zu erkären: auch SPD-Kandidat Hans Jochen Vogel wirkte, soweit man dies aus österreichischer Sicht beurteilen kann, nicht unsympathisch. Vogel lag sogar noch im heurigen Jänner, wie Elisabeth Noelle-Neu-mann, Leiterin des Instituts für Demoskopie Allensbach, am Wahlabend auch hierzulande den Fernsehern vor Augen führte, als Wunschkanzler der Deutschen vor Kohl.

Daß am Wahlabend Kanzler Kohl triumphieren konnte, spricht nicht gegen die Fähigkeit der Demoskopen, sondern für den

Wahlkampf der Unionsparteien: Sie haben auf Sachfragen gesetzt - Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, Belebung der Wirtschaft, Bündnistreue in der Außen- und Sicherheitspolitik - und damit gewonnen.

Kohl, der das vertreten und von seinen Wählern dafür auch Opfer verlangt hat, wurde zu einer berechenbaren Größe: Das honorierten die Wähler.

Bundeskanzler Bruno Kreisky hat diesen Gesichtspunkt auch für

sich reklamiert und im Ergebnis der Bundestagswahl die Richtigkeit des SPO-Grundsatzes bestätigt gesehen, den Österreichern vor der Wahl die notwendigen künftigen Belastungen anzukündigen. Sonst aber, meint er, habe der Ausgang der Bundestagswahlen für Österreich keine Bedeutung: Hierzulande gingen die Uhren eben anders.

Was aber nicht heißen kann,. daß die Entscheidung vom 6. März für uns gar so bedeutungslos wäre: Kommt es im Gefolge des Kohl-Wahlsieges und der neuen Regierungspolitik in der Bundesrepublik Deutschland zu einem Wirtschaftsaufschwung, sind wir (und auch jede österreichische Regierung) selbstverständlich Nutznießer dieser Wende.

Bedeutsam für den weiteren Verlauf des österreichischen Wahlkampfes könnte auch die Einsicht sein, daß Wahlen durch den Wettbewerb mit sachlich fundierten Lösungsvorschlägen entschieden werden können. In diesem Fall muß man heute leider befürchten, daß bei uns die Uhren anders gehen.

Zugegeben: Auch wenn der SPÖ ein besseres Abschneiden der SPD besser ins Konzept gepaßt hätte, demoralisiert sind die

Funktionäre durch die Vogel-Schlappe keineswegs.

Die ÖVP darf sich zwar über den Erfolg der Gesinnungsfreunde freuen, darf auch darauf verweisen, daß man den Christdemokraten beim Nachbarn mehr als anderen den Kampf gegen die Arbeitslosigkeit zutraut, doch mehr als ein moralischer Rückenwind für die eigenen Funktionäre - immerhin auch etwas - fällt nicht ab. Ähnliche Hoffnungen hegt auch die FPÖ, dankbar dafür, daß die Deutschen die „dritte Kraft" doch im Bonner Bundestag haben wollten.

Gewaltigen Auftrieb erhalten durch die Wahl am 6. März aber sicherlich die Grünen und Alternativen, auch wenn sie mit. den deutschen Grünen nur beschränkt vergleichbar sind: Eine vierte Partei neben den etablierten ist fortan auf Bundesebene hoffähig.

Die deutschen Grünen haben durch ihren Einzug in den Bonner Bundestag eine absolute Mehrheit der Unionsparteien verhindert. Mit diesem Argument könnten jetzt Grüne auch bei uns werben: Grüne gegen Absolute. Schaffen sie aber den Sprung ins Parlament nicht, nützen sie der Mehrheitspartei auf Kosten der Mitbewerber — wie dies in Deutschland auch der Fall gewesen wäre.

Es den alten Parteien zeigen: Das zieht bei kritischen Jungwählern, zog am 6. März. Ein Drittel der Erstwähler setzte in Deutschland auf die neue Kraft, zwei Drittel der Grün-Wähler waren noch keine 30 Jahre alt. Eine Wende bei der Jugend - weg von den etablierten Parteien?

Die hiesigen Parlamentsparteien sollten diese Mahnung ernst genug nehmen: So gänzlich verschieden gehen da die österreichischen Uhren nicht.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung