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Wie gleich, wie ähnlich?

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Das Bild glich einer Idylle: glücklich lächelnd wie es sonst nur stolze Verwandte tun, winkten Breschnew, Podgorny und Kossy-gin dem das Flugzeug nach Belgrad besteigenden Tito ihre Abschiedsgrüße nach. Das gleichzeitig veröffentlichte Schlußkommunique attestierte eine „erfolgreiche Erweiterung und Vervollkommnung der sowjetisch-jugoslawischen Zusammenarbeit“; wieder in Belgrad angelangt, äußerte Tito nochmals, auch er sei „sehr zufrieden“.

Er kann es schon allein mit dem äußeren Anschein seines Besuches sein. In Moskau hatte man dem gerade 80jährigen „erbärmlichen Henegaten“ und „Steigbügelhalter des Monopolkapitalismus“ von einst, den Stalin noch „mit einem Wink des Fingers“ hatte verschwinden lassen wollen, den Lenin-Orden angeheftet und sogar Peking bescheinigte dem so Geehrten, der dort bisher stets als Buhmann Nr. 1 galt, er sei „ein großer Staatsmann und Friedensfreund“. In der Tat, alles keine Gründe für Unzufriedenheit.

All dies kam freilich nicht über Nacht. Es konnte nur im Lichte einer neuen Weltlage geschehen, deren bisher am besten sichtbare Signale die Nixon-Besuche dn Peking und Moskau, die Ratifizierung der deutschen Ostverträge, die ersten Ergebnisse der SALT-Konferenzen, die Akzeptierung der EWG durch Moskau und die allmählich heraufdämmernde europäische Sicherheitskonferenz sind.

Die in Moskau eingekehrte Zufriedenheit war schon vor Jahresfrist vorbereitet worden, als Breschnew nach Belgrad reiste. Dort „räumte man die Schwierigkeiten aus“. Titos Staat befand sich dabei in keiner beneidenswerten Lage. Im Inneren gärte es nationalistisch, die wirtschaftliche Situation, in welche „sozialistische Selbstverwaltung“ und „sozialistische Marktwirtschaft“ geraten waren, glich einem Desaster, die Partei lebte in einer Krise. Die alte, von Churchill mit Stalin vereinbarte Interessenformel von 50:50 war längst anachronistisch geworden — ob die USA weiterhin mit gleicher Unbedingtheit dahinter stehen würden wie vormals die Briten, schien mehr als zweifelhaft. Nixon strebte einem höheren Ausgleichsverfahren zu, in welchem, das war nicht nur Tito klar, Jugoslawien nicht mehr dieselbe hervorragende Rolle spielen würde wie einst.

Damals begann Tito die ideologischen Zerwürfnisse endgültig zu begraben. Man wurde sich in Belgrad klar darüber, daß es weithin eine auch internationale Verbundenheit des „sozialistischen Lagers“ geben werde und daß eine Voraussetzung, diese wieder herzustellen, die „Rückkehr der Partei“ in Jugoslawien werde sein müssen. Mit anderen Worten: die staatliche Eigen- und Selbständigkeit Jugoslawiens mußte durch einen höheren Konsens „grundsätzlicher sozialistischer Auffassungen“ unterbaut werden. Erst nach diesem Konsens konnte man von effektiven Vereinbarungen, zum Beispiel auch wirtschaftlicher Art sprechen. Auch für die Sowjetunion war das nicht ohne Wichtigkeit. Denn erstens mußte ihr die erfolgreiche Häresie Titos stets ein Gefühl der Unsicherheit hinsichtlich des „inneren Ge-füges“ im Ostblock vermitteln, zweitens konnte ihr, die längst auch Mittelmeerpolitik treibt, die Qualität ihrer Beziehungen zum großen Adria-Staat nicht gleichgültig sein und drittens muß sie ihre spezifischen „Lagerinteressen“ noch vor Beginn einer Sicherheitskonferenz ins reine bringen.

Soweit sich heute Ergebnisse der Moskau-Reise Titos erkennen und in Kürze darstellen lassen, sehen sie folgendermaßen aus:

• Der ideologische Konsens wurde verdichtet (Tito in Moskau: „Lenin ist mir beim Aufbau des Sozialismus eine Quelle der Inspiration“) — der „eigene Weg“ Jugoslawiens wird dabei zum „sozialistischen Experiment“ (Arbeiterselbstverwaltung, demokratisierte Rätepartei, ein höherer Grad an Dezentralisation), doch werden die „sozialistischen Grundsätze“ nicht außer acht gelassen. Die nationalistischen Schwierigkeiten, angesichts der umliegenden sozialistischen Länder auch für Moskau nicht zu allen Zeiten hochwillkommen, muß Jugoslawien im „sozialistischen Sinne“ überwinden.

• Die Wirtschaftsbeziehungen zwischen der Sowjetunion und Jugoslawien werden intensiviert, der seit langem von Belgrad gewünschte Kredit wird nicht mehr auf sich warten lassen. Die Sowjetunion kann vieles dringend brauchen, was Jugoslawien in Westeuropa und speziell in der EWG nicht mehr so gut absetzen kann, nicht zuletzt Agrar-produkte; und Jugoslawien darf hoffen, damit zu einem höheren Beschäftigungsgrad zu gelangen und so die keinem sozialitischen Land angenehme Abwanderung von Arbeitskräften nach dem Westen ein wenig einzudämmen. Auch etwas „Osttouristik“ wird in Schwung kommen, zunächst freilich noch sehr „gefiltert“.

• Hinsichtlich der europäischen Sicherheitskonferenz, die man im Osten lieber eine „für Entspannung und Zusammenarbeit“ nennt, zeigten sich noch deutliche Unterschiede. Jugoslawien ist darauf bedacht, eine „Konferenz von Staaten“ und nicht eine von „Blöcken“ entstehen zu lassen. Die Sowjetunion gibt allerdings der „Blockkonferenz“, in welcher ihre Leitfunktion weitaus drastischer sein würde, den Vorzug. Ähnlich wie Bruno Kreisky, möchten auch die Jugoslawen nicht etwa nur von Mitteleuropa sprechen, sondern ebenso vom Mittelmeer, wozu ja eigentlich auch der Nahe Osten gehört — das aber wollen die Sowjets nun wieder nicht; und ob es die USA wollen werden, muß sich erst zeigen (und damit auch eines der Ergebnisse der Nixon-Reise!). Gerade in dieser Frage scheinen in Moskau noch längst nicht alle Karten auf den Tisch gelegt worden zu sein, auch von Tito nicht. Man behalf sich mit der umschreibenden Formulierung, zu allen Punkten „gleiche oder ähnliche Ansichten“ zu haben.

Wie gleich, wie ähnlich — das wird sich, wie stets bei solchen Besuchen, deren „harter Kern“ immer noch die gute, alte Geheimdiplomatie geblieben ist, erst in einiger Zeit zeigen. Doch Zeit hat Tito freilich weniger als die Troika im Kreml. Das weiß er — aber das weiß auch Moskau.

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