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Wie in Nahost?

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Als Präsidentenberater Kissinger am 26. Oktober, kurz vor der Präsidentschaftswahl, jene Pressekonferenz hielt, die in der etwas optimistischen Feststellung „peace is at hand“ kulminierte, da hatte Hanoi Washingtons Hand bereits in der Klammer. Heute sieht es so aus, als ob diese damalige Erklärung ein wahlbedingtes Prononciamento — mithin eine Irreführung der Wählerschaft — gewesen wäre.

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Als Präsidentenberater Kissinger am 26. Oktober, kurz vor der Präsidentschaftswahl, jene Pressekonferenz hielt, die in der etwas optimistischen Feststellung „peace is at hand“ kulminierte, da hatte Hanoi Washingtons Hand bereits in der Klammer. Heute sieht es so aus, als ob diese damalige Erklärung ein wahlbedingtes Prononciamento — mithin eine Irreführung der Wählerschaft — gewesen wäre.

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Es wird jedoch übersehen, daß dieser Pressekonferenz Kissingers eine Veröffentlichung des vertraulichen Entwurfes eines amerikanisch-nordvietnamesischen Rahmenabkommens (vom 22. Oktober) durch Hanoi vorausgegangen war, wodurch die amerikanische Seite zu der erwähnten Stellungnahme gezwungen wurde. Vermutlich hätte die amerikanische Regierung ohne diese nordvietnamesische (gezielte) Indiskretion vor den Wahlen überhaupt keine Erklärung abgegeben. Denn erstens war vereinbart worden, daß man den Inhalt vertraulich behandeln wolle und zweitens lag Nixon zu diesem Zeitpunkt wahlpolitisch schon so im Vorsprung, daß er eine zusätzliche Injektion gar nicht brauchte. Hanoi wollte ihn jedoch noch vor den Wahlen zu einer prinzipiellen Zustimmung zwingen, die Nixon dann durch Kissinger mit dem Hinweis ablehnte, der Friede sei zwar nahe, doch müßten noch einige Punkte geklärt und präzisiert werden. Nach dem überwältigenden Wahlsieg Nixons hatte sich schließlich die taktische Situation Hanois erheblich verschlechtert und der Versuch, Nixons Hand zur Unterschrift zu zwingen, war zumindest für den Augenblick gescheitert.

Hanoi forderte wohl noch lautstark die Unterzeichnung des Rahmenentwurfes vom 22. Oktober, bequemte sich dann aber bald zu Verhandlungen, die schließlich scheiterten, weil — wie die amerikanische Seite erklärte — immer neue nord-' vietnamesische Forderungen das bereits Erreichte und Beschlossene wieder zur Diskussion stellten. Hanoi wieder behauptet, Washington wolle — von Saigon beeinflußt — neue Elemente interpolieren. Wahrscheinlich sind beide Vorwürfe gerechtfertigt und durch das stets wechselnde Kriegsgeschehen und die internationale Konstellation motiviert.

Jedenfalls fielen kurz darauf Bomben auf Hanoi und Haiphong und lösten eine neuerliche akute Diskussion aus, wobei die Schärfe dieser Diskussion in Europa weit größer ist als in den Staaten selbst.

Was das ausschließlich Moralische betrifft, könnte man der Regierung Nixon vorwerfen, daß sie die Situation auf der Pressekonferenz vor der Wahl etwas zu schön gefärbt habe. Aber schließlich gab es ja auch keinen Grund für Pessimismus — und, wie man wiederholen muß, die amerikanische Regierung hatte gar nicht daran gedacht, den als vertraulich zu behandelnden Entwurf eines Rahmenabkommens zu veröffentlichen.

Nun liegen nicht nur Leichen, Trümmer und Scherben in den Straßen von Hanoi, es wurde auch viel diplomatisches Porzellan zerschlagen. Schweden wurde höflich ersucht, keinen neuen Botschafter nach Washington zu entsenden. Die neue sozialistische Regierung Australiens erhielt eine massive Drohung von Seiten der amerikanischen Schiffsgewerkschaften, gefolgt von einer diplomatischen Demarche. Schweden und Australien hatten Präsident Nixons Bombardierungsbefehl so polemisch kritisiert, als ginge es um ihre eigenen inneren Angelegenheiten. Auch andere Staaten drückten ihr Mißfallen aus, ohne daß das Weiße Haus diese Proteste besonders ernst zu nehmen scheint. Kritik und Polemik sind ein Kulissengeräusch der Weltpolitik, an das sich die Regierung Nixon bereits gewöhnt hat.

Ernster nimmt das Weiße Haus die Versuche des Kongresses, dem Präsidenten die finanziellen Mittel zum Kriegführen zu entziehen. Im Hintergrund dieser Bestrebungen schwelt das Gefühl der Ohnmacht einer Körperschaft, die fürchtet, daß sich immer mehr Macht im Weißen Haus konzentriert. Es ist fraglich, ob im Kongreß die für drastische Schritte notwendige Mehrheit zustande kommt. Die Bevölkerung verhält sich nämlich eher apathisch, einige Versuche, Antikriegsdemonstrationen zu organisieren, verzeichneten sehr dürftige Resultate. Schließlich ist noch Nixons Wahltriumph in frischer Erinnerung und letztlich hat Hanoi — trotz der Bomben — sich wieder an den Verhandlungstisch gesetzt.

Jedenfalls war das massive Bombardement als neue Waffe und als Druckmittel in den Konflikt eingeführt worden und eine Wiederaufnahme der während der Verhandlungen eingestellten Luftangriffe konnte

„Und wie, Mr. Kissinger, war dtrotz internationaler Proteste nichl auszuschließen sein.

General Taylor hat kürzlich vorgeschlagen, man möge Bombardements mit der Freilassung amerikanischer Kriegsgefangener junktimie-ren und dann den Konflikt den beiden Vietnams überlassen. Dieser Weg scheint fast vorgezeichnet, wenn eine Einigung zwischen Hanoi, Saigon unc Washington nicht möglich ist. Denr während in Hanoi das Chaos herrscht, festigte sich die Lage Saigons.

Man könnte sich daher einem vertragslosen De-facto-Waffenstillstanc temporärer Natur (ähnlich wie irr Mittleren Osten) nähern, der sicherlich beiden Seiten (Hanoi und Saigon) angenehmer wäre als ein vertragliches Zwangsmieder.

Was ein Abkommen so schwierig macht, ist allerdings die schwankende Lage an den Fronten. Während der kommunistischen Frühjahrsoffensive hätte Saigon ein Abkommen ä la 22. Oktober vermutlich mit Handkuß angenommen. Seithei ist diese Offensive fehlgeschlagen das nordvietnamesische Herzlanc verwüstet und der Beweis erbracht, daß der Nachschub nach dem Süden doch recht effektiv beeinträchtigt werden kann. Da Saigon heute die drittstärkste Luftwaffe der Welt besitzt, müßte es in der Lage sein, sein Schicksal ohne direkte amerikanische Intervention — zumindest auf nahe Sicht — selber zu kontrollieren.

Jedem wäre durch so eine Entwicklung geholfen: Die USA könnten ihr Vietnamengagement abschließen und die Genugtuung mitnehmen, daß ihr Klient lebt oder zumindest auf absehbare Zeit lebensfähig bleibt; dem Klienten werden nicht gleich im Anfang schwere Hypotheken auferlegt; Hanoi muß weder eingestehen, eine Aggression begangen zu haben, noch muß es auf seine langfristigen Pläne einer Kontrolle über die gesamte Halbinsel verzichten.

Da Diplomatie die Kunst des Möglichen ist und ein Dreiecksvertrag im Augenblick wenig Aussichten zu haben scheint, ist eine „Nationalisierung des Vietnamkonflikts“ im Sinne General Taylors nicht bloß eine Möglichkeit, sondern sogar wahrscheinlich.

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