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Wie in Wien

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„Die publizistische Vielfalt vor allem auf lokalem und regionalem Gebiet soll erhalten beziehungsweise wiederhergestellt werden.“ Das forderte vor sieben Monaten ein außerordentlicher Parteitag der SPD in einer medienpolitischen Entschließung. Er stellte fest, die Konzentration im Pressewesen widerspreche der im Grundgesetz (5) festgelegten Meinungs- und Informationsfreiheit.

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„Die publizistische Vielfalt vor allem auf lokalem und regionalem Gebiet soll erhalten beziehungsweise wiederhergestellt werden.“ Das forderte vor sieben Monaten ein außerordentlicher Parteitag der SPD in einer medienpolitischen Entschließung. Er stellte fest, die Konzentration im Pressewesen widerspreche der im Grundgesetz (5) festgelegten Meinungs- und Informationsfreiheit.

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„Die wirtschaftlichen Tatsachen waren leider stärker als unser Wille, in Berlin eine Zeiftung mit politischem Profil weiterzuführen.“ So lautete die lapidare Begründung für die Einstellung der Berliner Tageszeitungen „Telegraf“ und „Nachtdepesche“. Verfügt wurde sie von der „grauen Eminenz“, dem SPD-Schatzmeister Alfred Nau, und der parteieigenen Holding-Gesellschaft „Deutsche Verlags- und Druck GmbH. Die beiden — bis auf die Titelseite seit drei Jahren identischen — Blätter hatten mit einer Verkaufsauflage von zusammen über 110.000 immerhin fast 12 Prozent der Berliner Zeitungsaufflagen bestritten.

Seit dem 1. Juli beherrscht Axel Springer den Berliner Markt zu

85 Prozent, 650.000 Zeitungen kamen bereits Ende des vergangenen Jahres aus seinem Veriagshaus an der Kochstraße (die Boulevardblätter „BZ“ und „Bild-Berlin“, die Abonnentenzeitung „Berliner Morgenpost“). Außerdem gibt es den „Tagesspiegel“, der mit einem sicheren Leserkreis aus der gehobenen Bildungsschicht und etwa 100.000 verkauften Exemplaren vorläufig noch ziemlich sicher steht. Der „Abend“, Berlins einzige Mittagszei-tumg, lebt mit 65.000 Lesern und untertariflich bezahlten Mitarbeitern schlecht und recht als U-Bahn- und Buslektüre.

Der übermächtige Druck des Springer-Konzerns und die Verbreitungsbeschränkung auf West-Berlin seit dem Mauerbau hatten aus den beiden Zeitungen schon seit vielen Jahren ein Zuschußgeschäft gemacht. Dazu kam in den letzten Jahren eine allgemeine Senkung der Zeitungsauflage in Berlin, verursacht zum einen durch die Konkurrenz des Regionalfernsehens („Berliner Abendschau“), zum anderen durch eine Verminderung der Bevölkerung. Vor allem war es den SPD-Blättern nicht gelungen, die wichtigste Einnahmequelle jeder Tageszeitung (im NormalfaM etwa 60 Prozent), das Anzeigengeschäft, entsprechend auszubauen.

Der Tod einer Zeitung ist aber deshalb besonders bedauerlich, weil die Presse durch die Herstellung der Öffentlichkeit eine der wesentlichen Grundlagen unserer „pluralistischen“ Gesellschaft und damit der relativen Freiheit unserer Bürger ist.

Der Tod der beiden Berliner Zeitungen ist dafür ein besonders deutliches Symptom. Womit die Parallele zur Wiener Zeitungsentwicklung deutlich wird.

Den Tatbestand eines Skandals erfüllten die Umstände: die 200 Mitarbeiter, die ihren Arbeitsplafe verlieren, erfuhren die sicherlich seit längerer Zeit beschlossene Einstellung durch den Rundfunk und die Fernschreiber ihrer eigenen Arbeitsstätte, ehe sie durch den Arbeitgeber informiert wurden.

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