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„Wie ist das mit Privilegien?“

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Eines der letzten Gesetze, das der im Juli aufgelöste Nationalrat beschloß, war die 26. Novelle zum Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz (ASVG), die eine wesentliche Entschärfung der vieldiskutierten Ruhensbestimmungen brachte. Die Novelle hat eine interesante Vorgeschichte.

Im Herbst 1970 führten die im Zusammenhang mit dem Budget 1971 geführten Verhandlungen zwischen SPÖ und FPÖ auch zu einer Vereinbarung über den § 94 ASVG. Beide Parteien vereinbarten, daß bei den Pensionen dann kein Ruhen eintritt, wenn der Pensionist 540 Beitragsmonate erworben hat. Das Sozialversicherungsrecht kennt Beitragsmonate, also durch echte Beitragsleistung erworbene Monate, und sogenannte Ersatzzeiten, das sind zum Beispiel Hochschul- und Studienzeiten, Kriegsdienstzeiten und ähnliches. Nach dem Willen von SPÖ und FPÖ sollten bei den 540 Monaten nur die Beitragsmonate, nicht aber alle übrigen Versicherungszeiten berücksichtigt werden. Bei den Angestellten mag die Zahl jener, die 540 echte Beitragsmonate erworben haben, verhältnismäßig hoch sein. Bei den Arbeitern erreicht derzeit aber noch kein Versicherter 540 Beitragsmonate, denn für ihn hat die Pflichtversicherung erst am 1. Jänner 1939 begonnen. Ihm werden aber auf Grund des

ASVG für die Jahre vor 1939 eine bestimmte Anzahl von Monaten angerechnet, für die keine Beiträge entrichtet wurden.

Abgeordnete der ÖVP brachten im Frühjahr 1971 im Parlament einen Initiativantrag ein, der besagt, daß ein Ruhen der Pension dann nicht eintritt, wenn jemand insgesamt 540 Versicherungsmonate erworben hat. Bei der Behandlung dieses Antrages kam es zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Vizekanzler Ing. Häuser und den Rednern der beiden Oppositionsparteien. Sozialminister Ing. Häuser sprach sich leidenschaftlich dagegen aus, daß es im ASVG statt „Beitragsmonate“ nunmehr „Versicherungsmonate“ heißen soll. Der Antrag wurde dann von ÖVP und FPÖ gemeinsam beschlossen. Der Bundesrat erhob keinen Einspruch, und daher wird die Novelle geltendes Recht. Damit tritt zwar eine weitere Milderung des umstrittenen § 94 ASVG ein, aber er bleibt als solcher bestehen.

Bei den Betroffenen ist vielfach die Meinung verbreitet, sie dürfen als Pensionisten überhaupt nichts zur Pension dazuverdienen. Das gilt aber nur für Märmer, die mit sechzig Jahren, und für Frauen, die mit 55 Jahren in die sogenannte „Frühpension“ gehen. Dieser Personenkreis darf tatsächlich nichts dazuverdienen, weil in solchen Fällen die

Pension zur Gänze entzogen werden muß. Wer dagegen die normale Alterspension bezieht, kann derzeit bis zu 2500 Schilling monatlich dazuverdienen und es tritt keine Kürzung der Pension ein. Wenn Pension und Nebeneinkommen zusammen 4300 Schilling monatlich nicht übersteigen, tritt ebenfalls kein Ruhen ein. Im Falle eines höheren Nebeneinkommens kann die Pension höchstens bis zur Höhe des Grundbetrages gekürzt werden.

Die ASVG-Pensionisten fordern immer wieder eine völlige Aufhebung der Ruhensbestimmungen. Sie verweisen dabei auf den öffentlichen Dienst, denn der öffentlich Bedienstete kann neben seiner Pension ein Einkommen in unbegrenzter Höhe erwerben, ohne daß deswegen seine Pension auch nur um einen Schilling gekürzt wird. In dieser Richtung müßte die Bundesregierung ernste Überlegungen anstellen, denn der derzeitige Bundeskanzler hat ja den Abbau von Privilegien auf seine Fahne geschrieben. Damit es kein Mißverständnis gibt und etwa der Anschein erweckt wird, als würde einer Kürzung der Pensionen der öffentlich Bediensteten das Wort geredet, soll klargestellt sein, daß die Überlegungen in ganz andere Richtung gehen müßten: Die Zahl jener ASVG-Pensionisten, die heute noch von den Ruhensbestimmungen betroffen sind, ist sehr klein. Bei einem Gesamtaufwand von etwa 50 Milliarden Schilling im Jahre 1972 würde sich durch eine vollkommene Beseitigung der Ruhensfoestimmun- gen kein ins Gewicht fallender finanzieller Mehraufwand ergeben. Vor allem aber sind die Ruhensbestimmungen bei den Witwen echt unsozial.

Bei den Überlegungen um die Ruhensbestimmungen wird man allerdings eine andere Tatsache nicht übersehen dürfen. Auch das Gewerbliche Selbständigen-Pensions- versicherungsgesetz (GSPVG) und das Bauerr»-Pensionsversicherungs- gesetz (B-PVG) kennen Ruhensbestimmungen. Der Selbständige kann seine Pension überhaupt erst dann erhalten, wenn er vorher den Gewerbeschein oder die Konzession zurückgelegt hat. Nimmt er aber dann etwa eine Beschäftigung als Unselbständiger an, gelten für die GSPVG- Pensionisten ähnliche Ruhensbestimmungen wie für die ASVG-Pensionisten. Die Bauempension wird erst dann gewährt, wenn der Bauer vorher den Hof übergeben hat. Fallen nun die Ruhensbestimmungen im ASVG, wird man Überlegungen anzustellen haben, ob es sinnvoll ist, die Ruhensbestimmungen für die Selbständigen aufrechtzuerhalten.

In Wahlzeiten werden immer wieder neue Schlagworte geboren. Vor den Wahlen dieses Jahres sprach man von einem Abbau aller Privilegien. Die vorstehenden Darlegungen aus dem Bereich der Sozialversicherung zeigen aber mit aller Deutlichkeit, daß es hier viele Ungereimtheiten, aber auch manche Privüegien gibt. Und daher sollte es eines der Hauptziele der kommenden Bundesregierung sein, viel mehr dafür zu sorgen, daß echtes Unrecht beseitigt wird und den altgewordenen Staatsbürgern ein Mindestmaß an sozialen Rechten gesichert und garantiert wird.

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