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Wie kann die Familie vor der Isolation bewahrt werden?

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Daß die Familie der bevorzugte Raum ist, in welchem der Mensch von heute Geborgenheit, Angenommensein, Selbstfindung erfahren kann, daß sie sich als „Problemloser“ in vielen Fragen anbietet, ist fast schon Allgemeingut geworden. Aus dieser Erkenntnis folgt jedoch der zweite Schritt: Wie sollen die Familien befähigt werden, diese von ihr erwarteten Aufgaben auch tatsächlich befriedigend zu erfüllen? Diesem Ziel haben alle familienfördernden Maßnahmen in der Familienpolitik, Ehe- und Familienbildung sowite die Stützung von überforderten Familien zu dienen. Doch das Versagen vieler Familien ist evident. Die Anforderungen, die heute an die Kleinfamilie gestellt werden, sind so hoch, daß sie von einer durchschnittlichen Familie sehr schwer ohne Stützung erfüllt werden können.

Dabei geht es nicht nur um staatliche oder andere gesellschaftliche Einrichtungen. Kompetente Vertreter der Humanwissenschaften - Psychologen, Psychiater, Soziologen - geben als eine wichtige Ursache für das Versagen an, daß die Kleinfamilien oder „Nuklearfamilien“ isoliert sind. Die wenigen Familienmitglieder sind völlig aufeinander angewiesen und haben bei Schwierigkeiten und Konflikten, mit denen sie selbst nicht mehr fertig werden, kaum Hilfe von dritten Personen.

Bei mehreren Studientagungen in letzter Zeit, aber auch in Publikationen verlangen diese Wissenschaftler die Einbindung der Kernfamilie in größere Gemeinschaften. Dadurch könne erreicht werden, daß durch Erfahrungsaustausch, gegenseitige Hilfe, Aussprachemöglichkeit bei Konflikten, Verbreiterung der emotionalen Versorgung die Familie vor ihrer - oft verhängnisvollen - Isolation bewahrt wird.

Der Zukunftsforscher Hans Millen-dorfer fordert die „Wiedereinbettung der Kemfämilie in größere soziale Zusammenhänge,, wie sie vor der Industrialisierung in den Großfamilien oder den dörflichen Gemeinschaften

bestanden“. Er meint damit „überschaubare Gruppen, die, den Gruppenmitgliedern geistige Heimat sind und darüber hinaus auch einen Rückhalt in weltlichen Problemen darstellen“ und nennt das eine „Familie der Familien“.

Der Psychiater Heimo Gastager spricht die christlichen Gemeinden an, wenn er sagt: „Die Kleinfamilie muß neu in die Basisgemeinde eingebunden werden, um wiederum mehr Kommunikationsmöglichkeiten zu haben. Es wäre gerade für die christlichen Kirchen von eminenter Bedeutung, diesen Gedanken systematisch auszubauen (Familienrunden, Babysitterdienste, Nachbarschaftshilfe, Wohnviertelapostolat).“ Der Soziologe Leopold Rosenmayr stellt fest, daß „das wachsende Unbehagen mit einer

phantasielosen Vermehrung und Ausbreitung geschlossener Anstalten, die den Menschen deponieren und kasernieren, die Aktivierung selbstverantwortlicher kleiner Gruppen der Gesellschaft sowohl sozialpsychiatrisch als auch ökonomisch attraktiv erscheinen läßt“. Der Soziologe Klaus Zapotoczky hält die Schaffung von „Zwischeninstanzen“ zwischen der einzelnen Familie und der Gesamtgesellschaft für wichtig.

Aber nicht nur Wissenschaftler katholischer Herkunft stellen solche Forderungen auf. Auch der Sozialist Egon Matzner ruft nach der Aktivierung selbstverantwortlicher kleiner Gruppen, und Ernst Gehmacher verlangte erst kürzlich in der „Furche“ (Nr. 12/1978) „die Einbettung der Familie in größere, aber auch noch persönlich verknüpfte Gemeinschaften“ und „eine eng verwobene Gemeinschaft kooperierender Freundesfamilien in einem sozialen Wirkungskreis“.

Es wird also der Wert der kleinen Gruppe, der Gemeinschaft von Familien sowohl für die einzelne Familie und ihre Mitglieder als auch für die Gesellschaft betont. Als Lösungen werden derzeit vor allem drei verschiedene Gemeinschaftsformen angeboten:

• Die Kommunen mit Aufhebung der monogamen Ehe und Ausdehnung der sexuellen Beziehungen auf alle Mitglieder. Um diese Art von Kommunen ist es recht still geworden. Sie haben sich als ungeeignet für eine menschenwürdige Gestaltung familiärer Beziehungen erwiesen. Die wenigen Kommunen, die noch existieren, leiden unter starker Fluktuation.

• Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaften mehrerer Familien bei Aufrechterhaltung der einzelnen Ehen und Familien werden in zunehmender Zahl von jungen Familien gegründet. Sie zeigen - vor allem in den Anfangsphasen der Familie - gute Erfolge. Auch die Österreich-Synode bejahte diese Formen. Wegen des besonderen Anspruchs, der starken Bindung und der selten vorhandenen räumlichen Voraussetzungen werden diese Formen jedoch wahrscheinlich vorwiegend auf Eliten beschränkt bleiben.

• Die Familienrunden beschreiten einen Mittelweg zwischen der Isolation der Kleinfamilie und der stark gebundenen Wohngemeinschaften. Sie geben ihren Mitgliedern die freie Wahl, daß Maß der Gemeinsamkeit, Offenheit, Intimität und Bindung sowie die gemeinsamen Ziele selbst zu bestimmen. Das ist sicher auch der Hauptgrund für den Anklang, den sie derzeit finden. Ihre Förderung ist daher nicht nur für die Kirche und ihre Basisgemeinden, sondern auch für die Gesellschaft von besonderer Bedeutung. Es ist allerdings nötig, den Menschen die Kenntnisse zu vermitteln, daß sie ihr Gruppenleben auch nutzbringend zu gestalten vermögen. Die dafür nötige Bildungsarbeit müßte daher wesentlich verstärkt werden.

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