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Wie kostbar sind für uns Kinder?

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Wie viele Abtreibungen werden jährlich in Österreich durchgeführt? Darüber existieren alle möglichen Schätzungen, aber genaue Zahlen kennt niemand.. Die Förderung nach einer ano-. nymen statistischen Erhebung wurde erst vorige Woche vom Gesundheitsminister Herbert Salcher gegenüber der „Aktion Leben” endgültig abgelehnt. Warum? Nur, „weil die beteiligten Ärzte um die Steuerfreiheit ihres Einkommens zittern”, wie Renata Erich von der „Aktion Leben” beim Seminar „Fünf Jahre Fristenlösung Bilanz und Folgerungen,, der Katholischen Medienakademie in Seggauberg bei Leibnitz vermutete?

Die Forderung nach einer Statistik bekam Salcher auch prompt in der Schlußerklärung der Seminarteilnehmer aufs neue serviert. Vorderhand konnten aber Salchers Parteifreunde, die steirische Landtagsabgeordnete Annemarie Zdarsky und der Wiener Gynäkologe Univ.-Doz. Primarius Alfred Rockenschaub, der im übrigen für eine Statistik eintritt, auf dem Seminar behaupten, die Zahl der Abtreibungen sei durch die Fristenlösung sicher nicht gestiegen.

Die Zahlen, die gleichzeitig in Wien die „Aktion Leben” aus England und Wales vorlegte, sprechen aber eine andere Sprache: Dort ist die Zahl der (legalen) Abbruche von 49.829 (1969) in knapp zehn Jahren auf 111.851 (1978) gestiegen, wobei in fast 50 Prozent der Fälle Frauen betroffen sind, die noch keine Kinder geboren haben, ein Viertel der abtreibenden Frauen ist unter 20 Jahre alt.

Für Österreich mußte man sich in Seggauberg mit den Schätzungen Rok-kenschaubs begnügen, die für 1977 bei 86.300 Geburten mindestens 78.000 Abtreibungen ergaben. Das macht die quantitative Dimension des Problems deutlich, sollte aber die qualitative der grundsätzlichen Ablehnung jeder einzelnen nicht aus einer zwingenden medizinischen Indikation vorgenommenen Abtreibung nicht verdecken. Gleichzeitig mit der Statistik forderten die Seminarteilnehmer auch eine Intensivierung der Motivationsforschung.

Währendder-JnnsbruckerMoraltheo-loge Univ.-Prof. Hans Rotter betonte, es handle sich bei der Abtreibung nicht um ein Rechtsgut, sondern nur um einen unter bestimmten Voraussetzungen straffreien Tatbestand, meinte der Gra-zer Diözesanbischof Johann Weber, in Österreich würden staatliche Normen sehr leicht mit moralischen gleichgesetzt, und darin liege die große Gefahr dieses Gesetzes.

„Mit diesem Gesetz sind Dämme gebrochen”, erklärte auch Renata Erich, die im übrigen diese Materie aus dem Strafrecht herausgehoben sehen wollte. Daß der sozialistische Slogan „Helfen statt Strafen” seine Wirkung nicht verfehlt hat, zeigte sich darin, daß sich fast niemand für eine Bestrafung aussprach. wohl aber für mehr soziale Hilfe, was in folgenden Forderungen gipfelte:

• Beitragsfreie Anrechnung der ersten drei Jahre der Erziehung des Kindes für den Pensionsanspruch der Frau .

• Familiengerechter Wohnungsbau

• Ausbau kirchlicher und öffentlicher Hilfsaktionen

• Karenzgeld für Selbständige und in Ausbildung Befindliche

• Familiengerechtes Steuersystem.

• Nachbarschaftshilfe in den Pfarren für werdende Mütter und Alleinstehende mit Kinder.

Weitere Wünsche gingen in Richtung stärkerer Bewußtseinsbildung, vor allem in Sachen Sexualerziehung, Stärkung des Selbstbewußtseins der Frau und Anerkennung ihrer Rolle als Mutter und Wissen über die Entwicklung des ungeborenen Lebens.

Natürlich wurden auch zur Praxis der vorgeschriebenen Beratung, die, wie man weiß, oft nur als Abtreibungsvermittlung gehandhabt wird, Vorschläge gemacht:

• Trennung zwischen beratendem und rührendem Arzt (bisher von Minister Salcher abgelehnt)

'• Zeitlicher Zwischenraum zwischen Beratung und Durchführung (Rockenschaub), spricht von einer „Denkpause”, die an seiner Klinik üblich ist und schon manche zum Umdenken gebracht hat)

• Einbeziehung des Partners in die Beratung.

Wieder zeigte sich: Das Thema kann im kleinen Kreis unerschöpflich diskutiert werden, in der Öffentlichkeit wird es weggeschoben, „tabuisiert”. Abg. z. NR Friedrich Probst (FPÖ) sprach zwar von „Instinktperversion”, aber auch davon, daß keine Partei sich eine Rücknahme des Gesetzes leisten könne. Kein Wunder, wenn eine von Rockenschaub zitierte Umfrage unter Frauen stimmt, die angeblich auch Tür die Gesamtbevölkerung repräsentativ ist: 63 Prozent pro Fristenlösung, 17 Prozent für deren Modifizierung, 20 Prozent für deren Einschränkung.

Abg. z. NR Hans Hafner (ÖVP) schien denn auch peinlich berührt, als er nach einem ÖVP-Alternativvor-schlag gefragt wurde: „Diese Frage stellt sich für uns angesichts der gegenwärtigen Mehrheitsverhältnisse nicht”.

Aber einmal werden die Gegner der Fristenlösung doch Farbe bekennen müssen, wie sie sich eine andere gesetzliche Regelung vorstellen. „Kinder sind kostbar” hat die „Aktion Leben” heuer zum „Tag des Lebens” verkündet. Wie soll man die ungeborenen Kinder schützen? Flankierende Sozialmaßnahmen sind gut, um echte Not zu lindern. Wo aber das Kind in der Werteskala erst nach Berufskarriere, Wohnung, Auto, Karibik-Urlaub, Farbfernseher und Geschirrspüler kommt, wird nur eine Bewußtseinsänderung helfen. Hier liegt noch ein weiter Weg vor allen engagierten Gegnern der Abtreibung.

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