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Wie lernt man heute Literatur?

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Das Schulbuchangebot für den Deutschunterricht ist dreigeteilt, und zwar in Lesebücher, Literaturgeschichte und Ubungsbände zur Sprachlehre. Aufgrund der großen Zahl der vorhandenen Lehr- und Hilfsbücher beschränkt sich die kritische Durchforstung auf Beispiele zu literarischen Textsammlungen und literaturgeschichtlichen Darstellungen.

Die Literaturgeschichte von Karl Propst in zwei Bänden ist um Materialreichtum bei Daten und Fakten bemüht. Teils recht gute historisch-soziologische Einleitungen und der Versuch, durch vorangestellte Zusammenfassungen der historischen und kulturel-

len Grundlagen das literarische Geschehen jeder Epoche in einen breiteren Rahmen einzubetten, erweisen sich als informativ und verständnisfördemd. Die Flut von Namen allerdings (etwa Band I Seite 14, 15) mit stenogrammartig kurzen Erklärungen kann eher einer lexikalischen Wissensanhäufung denn einem Verständnis und einer Auseinandersetzung mit Literatur dienlich sein.

Wie überhaupt Deutung und Bewertung zu großen Teilen zu kurz kommen oder fragwürdig sind. Das Bestreben, soviel Information wie nur möglich zu geben, artet teilweise aus.

Andererseits fehlen erstaunlicherweise zum Teil Querverweise, die sich geradezu von selber aufdrängen (z. Bd. I S. 45, 85).

Eine besondere Vorliebe scheint der Autor für das Volkstümliche und für die Heimatkunst zu bezeugen, wie die stellenweise schwärmerische Darstellung schließen läßt (so etwa Bd. IS. 169, Bd. IIS. 75: Burschentum). Die eigene Begeisterung scheint ihn auch stilistisch hinzureißen (etwa Bd. II S. 78 über Nietzsche, S. 81 über Keyserling, S. 86 über Manns Novellen). Verzückter Schönschreiberei stehen apodiktische Urteile wie etwa Bd. II S. 120 (Kraus’ „Letzte Tage der Menschheit“), S. 141 und S. 157 (Kafka) gegenüber (daneben vage Formulierungen wie „Sehnsucht nach dem Guten und Schönen, nach etwas Romantik in der Kälte des Alltags“).

Die „Einführung in die Literatur des deutschen Sprachraumes“ von Herbert Pochlatko, Karl Ko- weindl und Josef Pongratz will, wie die Verfasser im Vorwort anmerken, eine „Orientierungshilfe“ sein und das Schrifttum einer Zeit im jeweiligen politischen und sozio-kulturellen Kontext darstellen. Gleich zur Einleitung wird ein sprachgeschichtlicher Überblick geboten. Zusammenfassende Übersichten, Verweise auf Sagenkreise (z. B. Bd. IIS. 33), Weltliteratur, Quer- und Längsschnitte erleichtern das Zurechtfinden und Benützen. Auch hier wäre allerdings mehr Beschränkung bei den angeführten Namen ratsam gewesen.

Die Deutsche Klassik wird in den literarischen Himmel gehoben, an klischeehaften Epitheta und vergröbernden Banalisierun- gen wird nicht gerade gespart.

In der bewertenden Darstellung fällt teilweise eine Tendenz zur Verharmlosung und übergroße Vorsicht auf. Bei politisch engagierten Dichtem wird immer ihre „harmlose“ Seite hervorgehoben (so Bd. II S. 140 Dichter des Vor-

märz, S. 139, auch S. 157: Wien der Biedermeierzeit, Zeit des Wiener Kongresses, Hinweis auf Metternich-Regime fehlt völlig).

Insgesamt tendiert die Literaturgeschichte von Pochlatko et al. zu einer starken Systematisierung, Zuordnung, Punktierung, wobei die Frage offen bleibt, wie weit damit vielschichtige Beziehungen und Zusammenhänge berücksichtigt werden. Zu Schlüsselworten des Deutungsaspekts werden Begriffe wie Größe, Kraft, Wert, Würde, ewiggültige Gesetze und echter Heldengeist (vgl. S. 141, 143 und öfter). Mit Vorsicht zu genießen sind auch gebrauchsfertig „abgepackte“ Charakterisierungen wie z. B. Bd. III S 15 „Ein praktisch-tatfroher Egoismus und optimistischer Fortschrittsglaube beseelteji (den Bürger).“ Fragwürdig in ihrer Tendenz sind Zusammenstellungen wie S. 16 („Häßliche, Unschöne… und die unteren Schichten“).

Wenig sinnvoll erscheint eine Aufzählung von Namen mit zweizeiligen Erläuterungen auf 15 Seiten wie im 3. Band (S. 113 ff), besser wären Gruppierungen und Zusammenfassungen. Wie insgesamt literaturgeschichtliche Deutung zugunsten des Datenreichtums vielfach fehlt. Die Darstellungsweise ist insgesamt recht antiquiert.

Zu den „Klassikern“ des Deutschunterrichts zählt das Werk von Wilhelm Sanz „Aus dem Reichtum der Dichtung“. Der erste Band bringt eine Zusammenstellung zu den Dichtungsgattungen, wobei etwa bei der Lyrik auffällt, daß nur klassische Beispiele angeführt sind. Texte der Moderne oder des Mittelalters fehlen. Ein eher begrenzter Dichterkanon wird immer wieder bemüht, zu den Favoriten gehören offenbar Paula Grogger und Anton Wildgans.

Die Bände 2 bis 5 sind nach Epochen gegliedert. In Band 2 sind teils auch Originaltexte abgedruckt und modernere Bearbeitungen des Stoffes oder Motivs gegenübergestellt. Band 5 bringt auch Texte ausländischer Autoren. Die Heimatliteratur wird recht ausführlich behandelt. Als Stoff- und Beispielsammlung ist der Sanz immer noch brauchbar, wenn auch die Zusammenstellungen ansprechender sein könnten.

Vor allem „Anregungen für die eigene Auseinandersetzung“ mit Fragen und Problemen will das Lesebuch „Impulse“ bieten, das von Norbert Griesmayer, Walter Klaus, Helmuth Lang und Christine und Paul Peter Wildner herausgegeben wird. Es enthält dichterische und nichtdichterische Texte zu verschiedenen Problem- kreisen. w

Ist das Prinzip der „Impulse“, Texte zu bestimmten Problemkreisen zusammenzustellen, durchaus gut, so fällt bei der Auswahl der Autoren eine überstarke Einseitigkeit auf. Die Namensli

ste der Schriftsteller (Jungk, Erich Fried, Brecht) läßt eine deutliche „Linkslastigkeit“ erkennen, die dem Buch Abbruch tut.

Plump tendenziös ist auch im zweiten Band, S. 40 f, die Gegenüberstellung des heutigen Schulunterrichtsgesetzes und der Studien- und Schulordnung der Jesuiten von 1599, wiederum gefolgt von einem Paragraphen über Schülermitverwaltung, ohne weitere Erläuterungen. Dem Schüler soll wohl mit der „Holzhammermethode“ klargemacht werden, welch gutes Schulsystem wir heute haben.

Ein breit gespanntes Spektrum zeigt der Abschnitt „Schule und Arbeitswelt“. Die Beispiele des ersten Bandes reichen von Goethe bis Grass. Mager ist dagegen das Kapitel „Die Frau in der Gesellschaft“ ausgefallen, das nur drei Textstellen aufweist. In den literarischen Beispielen erscheint die Frau jeweils als unterdrücktes oder langsam sich emanzipierendes Wesen (auch Abbildung S. 219: Tippfräulein). Zu begrüßen ist die Vielfalt der sprachlichen Ausdrucksmittel, anhand der unterschiedlichsten Texte bis hin zur Werbung, Gesetzesstellen und Zeitungsartikeln dargestellt.

Auch der zweite Band bringt Texte aus dem Mittelalter bis heute in Problem- und Motivgruppen. Der Abschnitt über Frauen ist allerdings auch hier schmal; breiterer Raum ist dagegen dem Hexenglauben gewidmet. Zwingendere Themenstellungen wären sicher zu finden gewesen. Der Übersicht dienlich ist die historische Einordnung der Autoren am Schluß des Bandes.

„Begegnungen“ mit verschiedenen literarischen Produkten verheißt schon der Titel des Lesebuches von Emanuel Bialonczyk und Otwald Kropatsch. Die Beispiele des ersten und auch zweiten Bandes rekrutieren sich weitgehend aus dem konventionellen Literaturkanon und sind mit nichtliterarischen Texten (Jeschko, Ceram, Tichy) ergänzt. Ausländische Literatur ist in eher bescheidenem Rahmen vertreten. Im Anhang ist ein Abriß zur Sprachentwicklung mit Mundartproben und eine Einführung in die Metrik enthalten. Auffällig ist, daß Dramenauszüge völlig fehlen.

In Band 2 ist die nach Epochen gegliederte Zusammenstellung mit einer motivgeschichtlichen verflochten, die jeweils durch einen Schlüsselbegriff verbunden sind. Ausländische Beispiele finden größere Beachtung.

Sehr viele moderne Autoren auch aus dem Ausland bringt der vierte Band. Vom literarischen Anspruch sehr unterschiedliche Beispiele enthält der Abschnitt „Gesellschaftliche Spannungen“. Ein weites Spektrum an Motiven und Sichtweisen bringt dagegen das Kapitel Jm Labyrinth der Gefühle“. Eine deutliche Tendenz zeigen Texte wie Hans Daibers „Argumente für Lazarus“.

Der Abschnitt „Das Böse“ bringt Texte, über deren Eignung für Jugendliche diskutiert werden kann. Borges’ Erzählung ist ohne Einführung des Lehrers kaum für Achtzehnjährige geeignet.

Insgesamt gelingt es den Herausgebern im vierten Band nicht ganz, Einseitigkeiten zu vermeiden. Die Texte sind zum Teil zu anspruchsvoll, zum Teil von fragwürdigem literarischem Wert, so daß die Gesamtkonzeption unausgewogen wirkt

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