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Wie man Bestseller schreibt

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Ein Erfolgsautor ist seinem Ruf verpflichtet, auch wenn er sechs bis sieben Pseudonyme trägt und anonym in einer Hochhauswohnung lebt. Dr. Hermann Schreiber, 1920 in Wiener Neustadt geboren und seit 1960 in München wohnhaft, achtet auf konsequente Einhaltung eines genau geregelten Arbeitstages: Von 9 bis 12 Uhr wird zusammen mit der Sekretärin die Korrespondenz, Dispositionen und Ähnliches erledigt. Daran schließt sich das Mittagessen, meist verbunden mit irgendeiner Besprechung im Stammbeisel bei österreichisch-böhmischer Küche. Bis 16 Uhr Siesta, manchmal gefolgt von einer kurzen Kaffeepause — und anschließend bis 19.30 Uhr intensive Schreibarbeit von sechs bis sieben Seiten pro Tag. — Die Leistungsgesellschaft in der Poetenstube? Der Dichter am Gängelband eines Arbeitsstreß? „Ich habe mich nie übernommen“, verteidigt sich der Autor, „in meinem ganzen Leben habe ich keine Zeile nach 21 Uhr geschrieben.“

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Ein Erfolgsautor ist seinem Ruf verpflichtet, auch wenn er sechs bis sieben Pseudonyme trägt und anonym in einer Hochhauswohnung lebt. Dr. Hermann Schreiber, 1920 in Wiener Neustadt geboren und seit 1960 in München wohnhaft, achtet auf konsequente Einhaltung eines genau geregelten Arbeitstages: Von 9 bis 12 Uhr wird zusammen mit der Sekretärin die Korrespondenz, Dispositionen und Ähnliches erledigt. Daran schließt sich das Mittagessen, meist verbunden mit irgendeiner Besprechung im Stammbeisel bei österreichisch-böhmischer Küche. Bis 16 Uhr Siesta, manchmal gefolgt von einer kurzen Kaffeepause — und anschließend bis 19.30 Uhr intensive Schreibarbeit von sechs bis sieben Seiten pro Tag. — Die Leistungsgesellschaft in der Poetenstube? Der Dichter am Gängelband eines Arbeitsstreß? „Ich habe mich nie übernommen“, verteidigt sich der Autor, „in meinem ganzen Leben habe ich keine Zeile nach 21 Uhr geschrieben.“

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Hermann Schreiber hat mit etlichen seiner Bücher jene Auflagenzahlen erreicht, die die Bezeichnung „Bestseller“ durchaus rechtfertigen. Seine Karriere lief vom Literaturkritiker über den Chef eines französischen Kulturbulletins im Wien der Nachkriegszeit bis zum Romancier und Sachbuchautor. Aufgewachsen als Sohn eines evangelischen Pfarrers und einer Industriellentochter, inskribierte er an der Universität Wien Germanistik im Hauptfach und Philosophie und Kunstwissenschaft im Nebenfach. Seine Dissertation schrieb er im zweiten Weltkrieg auf einer Funkstelle im Böhmerwald — die Rigorosen legte er während eines Erholungsurlaubes ab. Sein erster Roman mit dem Titel „Sturz in die Nacht“, der sich mit der französischen Politik in Indochina auseinandersetzte, brachte ihm neben einem schönen Erfolg auch den Verlust des recht lukrativen Chefredakteurspostens, da die französische Militärregierung nicht Leute beschäftigen wollte, die so wenig Schmeichelhaftes über ihr Land verbreiteten. Hermann Schreiber übersetzte daraufhin Bücher aus dem Französischen ins Deutsche (zwischen 1949 bis 1962 allein über vierzig) und schrieb kleine, amüsante Romane. Der wirkliche Durchbruch allerdings gelang ihm mit seinem ersten Sachbuch „Versunkene Städte“, erschienen im Paul-Netf-Verlag, das er zusammen mit seinem Bruder, dem Altphilologen Georg Schreiber, verfaßte.

„Und von diesem Augenblick an“, so meint der Schriftsteller in seiner recht repräsentativen Schwabinger

Wohnung mit Blick bis zu den Türmen der Innenstadt, „war ein Leben in Österreich nicht mehr möglich, weil ich jeden Tag hundert Anrufe von erfolglosen Kollegen bekam, die gerne wissen wollten, wie man einen Bestseller schreibt.“ Schreiber setzte sich also ab in ein Land, „wo der Erfolg nicht so auffällt“. Zuerst ging er nach Augsburg, später nach München, wo er in Schwabing einen „gewissen Abglanz“ dessen findet, was er an Paris so liebt.

Denn Frankreich ist für den ausgezeichneten Kenner französischer Literatur und Lebensweise immer so etwas wie ein gelobtes Land gewesen. Schon an der Mittelschule besaß er perfekte Französischkenntnisse und las sämtliche französischen Romane im Original. Auch seine jährlichen Reisen, die „nicht mehr so sehr ein Hobby, als fast schon ein Laster sind“, führen ihn meist nach Frankreich, wo er sich dann von Kunstdenkmälern und Land und Leuten inspirieren läßt. Daneben sucht sich der vielseitig engagierte Autor, der so nebenbei mit der Bemerkung überrascht, ihn interessiere Handels- und Verkehrsgeschichte am meisten, seine Anregungen aus Literatur-, aus alten Textsammlungen, Anthologien und Briefen. Hier zeigt sich jene Liebe zum abgegriffenen Buchantiquariat, die nur ein Bibliophiler verstehen kann. „Im Umgang mit solchen Schriften bekomme ich auch das Kolorit vergangener Zeiten heraus.“ Etwa 10.000 Bände umfaßt seine Bibliothek, die sich an den Wänden entlang durch sämtliche Räume zieht. Ein im Bau befindliches Häus chen am Lago Maggiore soll jetzt demnächst einen Teil davon aufnehmen, da ihm Gedrucktes ansonsten im wahrsten Sinne des Wortes über den Kopf wächst.

Das Sammeln von Graphiken und der Erwerb schicker Appartements (augenblicklich besitzt er sieben) gehören zu seinen weiteren Hobbys. Ersteres ist für das ästhetische Vergnügen gedacht und letzteres für die Altersversorgung, da sich ein freischaffender Künstler ja nicht auf den geruhsamen Polster einer angemessenen Pension freuen kann.

Belletristik schreibt Hermann Schreiber durchwegs im Ausland — „wenn möglich in einer Stadt, in der ich die Sprache nicht verstehe“. Es sind brillant geschriebene, meist heiter- satirische Romane oder Erzählungen mit einem Schuß Erotik und sehr viel Handlung versehen. Doch liegt da auch oft eine gewisse Schwermut über regenverhangenen Pariser Bildern oder in Erzählungen, die in rätselhafte Tode münden. Als „ausgesprochen extrovertiert“ bezeichnet sich Schreiber und meint, daß er sich für „Seelenspaltungen und Psychologie“ wenig interessiere. Auf die lebendige Art der Darstellung ist wohl auch der Erfolg seiner Sachbücher zurückzuführen. Denn es sind ausschließlich Sachbücher, die in den Bestsellerlisten stehen. Laut Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ „Land im Osten“, 1961 bei Econ erschienen, ein Versuch einer Neubewertung des Verhältnisses zwischen Deutschen und Slawen, der zu heftigen Diskussionen führte. „Die 10 Gebote“, eine populäre Rechtsgeschichte, ebenfalls bei Eeon, und ein Buch bei Ullstein, das der Autor unter einem seiner zahlreichen Pseudonyme veröffentlichte, und dessen Titel er aus diesem Grunde nicht verraten möchte. Der Sachbuchautor hat den Romancier verdrängt. Dies zu bedauern ist eine Sache des Geschmacks. Daß Schreiber noch immer lieber an Belletristik arbeitet, beweist die dominierende Rolle, die alles Schöpferische besitzt. Neben vier bis fünf Sachbüchern pro Jahr ist demnach auch ein belletristisches Buch die Regel.

Schreiber bezeichnet sich als „bürgerlicher Liberaler“. „In Österreich galt ich als Linker — hier sagt man, ich sei .grauenhaft reaktionär. Sie sehen — das ist das Klima“, meint er mit dem gewissen pfiffigen Lächeln, das ihn als amüsierten Betrachter eines oft recht sonderbaren Weltgeschehens charakterisiert. Zu Wien unterhält er jenes schizophrene Verhältnis, wie es für Auslandswienef typisch ist: „Mir fehlt Wien wahnsinnig! Aber ich muß für 48 Stunden hinfahren, um davon geheilt zu sein.“

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