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Wie Moskau unser Land „begraben“ will

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Erst machte er eine militärische Traum-Karriere, dann sprang der tschechische Generalmajor Jan Sejna in den Westen ab. Nun schrieb er seine Memoiren - mit viel Interessantem zu Österreich.

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Erst machte er eine militärische Traum-Karriere, dann sprang der tschechische Generalmajor Jan Sejna in den Westen ab. Nun schrieb er seine Memoiren - mit viel Interessantem zu Österreich.

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Generalmajor Jan Sejna verließ im turbulenten Frühjahr 1968 seine Heimat Tschechoslowakei auf geheimen Wegen und suchte in Rom bei der dortigen US-Bot- schaft um politisches Asyl nach, was ihm auch gewährt wurde. Seither lebt Sejna in den USA.

Seine Memoiren, ein in jeder Hinsicht interessantes Buch, sind unlängst in London erschienen. Er legt darin Rechenschaft über seinen Werdegang und sein Leben ab. Zudem informiert er uns über wesentliche Aspekte und Zusammenhänge der sowjetischen Militärpolitik in der Zeit von 1955 bis 1968.

Sejna nahm an vielen wichtigen Treffen des Warschauer Paktes teil und hatte von Amtes wegen die Möglichkeit, die sowjetischen Pläne sowohl in bezug auf seine Heimat als auch gegenüber dem Westen kennenzulernen.

Auch wenn diese strategischmilitärischen beziehungsweise politischen Ausarbeitungen bereits mehr als ein Jahrzehnt alt sind, umfassen sie nicht wenige Grundelemente, die auch in den achtziger Jahren noch gültig sind. Denkweise und Methodik der Hauptplaner in Moskau und in anderen Ostblockstaaten bleiben ja bekanntlich ziemlich konstant.

In 19 Kapiteln legt Sejna sein Wissen und seine Erlebnisse mit osteuropäischen Militärs und Spitzenpolitikern vor. Die Kommentare und Analysen zu den Ereignissen der fünfziger und sechziger Jahre in Europa und in den anderen Teilen der Welt sind aufschlußreich.

Eingehend behandelt er in seinem Buch auch die „deutsche Frage“, welche für die Sowjets sowohl politisch als auch militärisch eine Zentralfrage war und bleibt. In weiteren Kapiteln werden Moskaus Vorstellungen über Großbritannien, Australien, Kanada und die USA dargelegt. Auch die europäischen Neutralen haben - laut Sejna - einen festen Platz in der sowjetischen Militär strategie. Uber Österreich steht folgendes im Buch:

„Chruschtschows Entscheid, die sowjetischen Besatzungstruppen 1955 aus Österreich zurückzuziehen und einen Vertrag abzuschließen, in dem die österreichische Neutralität akzeptiert wurde, stieß auf den starken Widerstand der sowjetischen Marschäl- le…

Chruschtschows hauptsächlichster Kritiker war Marschall Schukow, einstmals seine stärkste Stütze. Schukow war der Ansicht, Chruschtschow spiele in die Hände der sozialismusfeindlichen Kräfte in der Tschechoslowakei, Ungarn und Polen.

Der Ausbruch des ungarischen Volksaufstandes im Oktober 1956 schien die Argumente Schukows zu bestätigen, und seine unmittelbare Reaktion war die Forderung nach einer abermaligen Besetzung Österreichs, um einer Ausweitung des .ungarischen Bazillus zu begegnen. Chruschtschow jedoch sah in der Verwirklichung dieser Idee eine Gefahr für seine neue Politik der .friedlichen Koexistenz und lehnte ab …

Chruschtschow selbst war der Ansicht, daß dank dem verzweigten sowjetischen Agentennetz, das in Österreich verbleiben würde, die sowjetischen Absichten ohne militärisches Eingreifen verwirklicht werden könnten. Trotzdem fabrizierten der tschechische und der sowjetische Nachrichtendienst .Beweise , wonach die Österreicher in Ungarn intervenierten: Dies für den Fall, daß eine Wiederbesetzung Österreichs wünschbar würde.

General Jepischew (Chef der Politischen Hauptverwaltung im sowjetischen Verteidigungsministerium) versicherte mir im März 1967 in Moskau kategorisch: .Die Sowjetunion wird entscheiden, ob Österreich neutral bleibt oder nicht. Nicht die österreichische Regierung!

Die Sowjets hätten Österreich 1955 gerne finnlandisiert, aber das politische Klima war gegen sie. Die Kommunistische Partei Österreichs konnte gegen den angestammten Konservatismus in Österreich nur geringe Erfolge erzielen …

Aber die sowjetischen Führer glaubten immer noch an ihr Recht, Österreichs Neutralität zu .schützen . Im besonderen haßten sie den Bruno Kreisky wegen seiner dem rechten Flügel der SPÖ verbundenen Führung und wegen seines Einflusses in der sozialistischen internationalen Bewegung. Die Sowjets versäumten keine Gelegenheit, seine Partei zu infil trieren und ihm Schwierigkeiten zu bereiten.

Im militärstrategischen Plan wurde dann zugegeben, daß wenig Hoffnung darauf bestand, im parlamentarischen Verfahren eine progressive Partei in Wien an die Macht zu bringen. Würde eine solche aber durch einen Staatsstreich ans Ruder gelangen können, so sollte der Warschauer Pakt bereit sein, einen derartigen Versuch mit militärischen Kräften zu unterstützen.

Der Plan enthielt eine gewisse Anzahl Varianten für militärische Intervention in Österreich. Zwei wichtige Beispiele seien hier angeführt:

Beim ersten sah man vor, daß die Rote Armee nach Marschall Titos Tod oder während der unmittelbar vorausgehenden, politisch unsicheren Monate zur Unterstützung prosowjetischer Gruppierungen in Jugoslawien einmarschieren würde.

KGB und osteuropäische Nachrichtendienste würden .Zeugenaussagen fabrizieren, die zu .beweisen hatten, daß Kräfte der rechtsextremen Emigrantenbewegung .Ustascha über Österreich in Jugoslawien eingedrungen seien. Der Kreml würde so behaupten können, daß Österreich seine Neutralitäts- und anderen

Vertragsverpflichtungen durch die Einwilligung, sein Territorium faschistischen Elementen als Basis überlassen zu haben, verletzt habe; Elemente, die in Belgrad eine Konterrevolution zu starten beabsichtigten. Der Sowjetunion bliebe daher nichts anderes übrig, als den jugoslawischen Kommunisten zu Hilfe zu eilen.

Unter dem Decknamen .Polar- ka waren dann militärische Operationen durch die tschechische und die ungarische Armee zur Besetzung West- und Süd-Österreichs vorgesehen. Zweck dieser Operationen wäre die Sicherung des Einmarsches einer sowjetischen Streitmacht von 400.000 Mann aus dem Karpaten-Militär- bezirk nach Jugoslawien gewesen. Diese Truppen hätten Österreich durchqueren und Jugoslawien mittels einer Zangenbewegung besetzen sollen.

Die österreichische Grenze wäre abgeriegelt worden, um zu verhindern, daß über sie Verstärkung nach Jugoslawien gelangte. Da tschechische und ungarische Kräfte die ersten gewesen wären, die die österreichische Neutralität verletzt hätten, war das Risiko einer Konfrontation der Supermächte verringert…

Der zweite Plan sah die Besetzung Österreichs als Vorausaktion im Zuge des Ausbruchs eines konventionellen Krieges in Westeuropa vor, um einer ähnlichen Aktion seitens des Westens zuvorzukommen. Dies war grundlegender Bestandteil der Operation .Dunaj — so der Deckname für einen Generalangriff auf Westeq- ropa durch den WarschauerPakt.

Marschall Jakubowskij (damals Oberbefehlshaber des Warschauer-Pakts) teilte uns mit, daß die Sowjets in Österreich über mehr als 4000 Kollaborateure verfügten, die uns beim Zusammentreiben mißliebiger Zivilpersonen nach der Besetzung des Landes helfen würden. Das KGB würde die ausführende Gewalt unter dem Schutz der Warschauer- Pakt-Armeen übernehmen.

Beiden Varianten lag die Annahme zugrunde, daß es möglich sei, die meisten österreichischen Truppen in ihren Kasernen gefangenzunehmen …“

Das Buch des abgesprungenen tschechischen Generals ist flüssig und detailliert geschrieben und gewährt uns einen Blick in die Denkweise der sowjetischen Militärmacht, ihre Planungssysteme und Probleme. Auch wenn man nicht mit allen politischen Folgerungen General Sejnas einverstanden ist, sollte man die Memoiren lesen. Eine deutsche Übersetzung wäre hier am Platz!

WE WILL BŪRY YOU. Von Jan Sejna. Sid- wick & Jacksorr, London 1982.205 Seiten, 11 Illustrationen, geb., öS 398,—.

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