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Wie neutral?
Österreich läßt an seiner immerwährenden Neutralität nicht rütteln: nicht durch den angestrebten EG-Beitritt, nicht durch die Ereignisse rund um die Golfkrise. Aber wie neutral ist Österreich? Und ist Neutra- lität überhaupt noch zeitge- mäß?
Tatsache ist, daß die das Verhalten eines neutralen Staa- tes bestimmenden Rechtsfor- men sich im wesentlichen im 18. und 19. Jahrhundert her- ausgebildet haben. Vor allem die beiden Haager Konventio- nen von 1899 und 1907 regeln das Verhältnis kriegführender zu neutralen Staaten und umgekehrt.
Tatsache ist ebenfalls, daß das Rechtsinstitut der Neutra- lität erst entstehen konnte, als die Höchstautorität eines über- nationalen Reiches, also des Sacrum Imperium Romanum, verfiel und moderne Territo- rialstaaten in umfassenden Wettbewerb zueinander traten.
Neutralität hieß in diesem Fall: Wenn ihr zwei euch um Grenzen oder Kolonien oder Erdöl streitet, will ich als Drit- ter nichts damit zu tun haben und von euch in Frieden gelas- sen werden!
Einer Weiterentwicklung dieser Form aktualitätsbezoge- ner Neutralität war dann die immerwährende, also prinzi- piell für jeden Konfliktfall gel- tende Neutralität. Diese kann entweder durch Vertrag errich- tet werden (Schweiz 1815, Vatikan 1929) oder durch ein- seitige Erklärung (Österreich 1955) oder sie wird von einem Staat einfach de facto prakti- ziert (Schweizvor 1815, Schwe- den seit 1815, Finnland seit seinem Verteidigungsvertrag mit der UdSSR 1948).
Die dahinter stehende Bot- schaft heißt in etwa: Wir ha- ben kein Vertrauen in die Konfliktlösungsfähigkeit eines Krieges, wir halten uns aus internationalen Händeln prin- zipiell heraus und verteidigen uns nur gegen Angriffe! Kein Zufall, daß nur Kleinstaaten eine solche Neutralität pfle- gen.
Mit jedem Versuch, durch internationale Zusammen- schlüsse eine Weltsicherheits- ordnung zu errichten, wuch- sen die Zweifel am Sinn und am ethischen Wert der Neutra- lität. Das war zur Zeit der Völkerbund- wie auch bei der UN-Gründung so. Der Ost- West-Konflikt machte die Neutralität als Entspannungs- signal wieder sinnvoll.
Heute peilt die Völkerge- meinschaft zumindest in Euro- pa wie nie zuvor in der Ge- schichte eine durch Vielfach- verklammerung der National- staaten wirkende übernationa- le Sicherheitsordnung an. Krieg ist zunehmend nur noch als Abwehr aggressiver Außen- seiter der Völkergemeinschaft denkbar. Die Rechtswissen- schaft ist zur Weiterentwick- lung des Völkerrechtes auch in puncto Neutralität herausge- fordert.
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