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Wie oder Was

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Als — zum 75. Geburtstag K. H. Waggerls — kürzlich im Fernsehen ein „Porträt“ des Dichters ausgestrahlt wurde, konnte man von diesem die folgende Äußerung hören: „Es kommt beim Schreiben immer nur auf das Was, nicht auf das Wie an!“ Der Jubilar hatte sie seinem Bekenntnis hinzugefügt, mit seinem Werk dem Leser etwas geben zu wollen, eine Lebenshilfe, nicht bloß schöne Form. Was er da sagte, klang daher nicht überraschend, eher selbstverständlich. Und doch hätte niemand etwas daran gefunden, nach entsprechender Vorbereitung, von Waggerl den entgegengesetzten Satz zu vernehmen: daß es immer nur auf das Wie, nicht auf das Was ankomme.

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Als — zum 75. Geburtstag K. H. Waggerls — kürzlich im Fernsehen ein „Porträt“ des Dichters ausgestrahlt wurde, konnte man von diesem die folgende Äußerung hören: „Es kommt beim Schreiben immer nur auf das Was, nicht auf das Wie an!“ Der Jubilar hatte sie seinem Bekenntnis hinzugefügt, mit seinem Werk dem Leser etwas geben zu wollen, eine Lebenshilfe, nicht bloß schöne Form. Was er da sagte, klang daher nicht überraschend, eher selbstverständlich. Und doch hätte niemand etwas daran gefunden, nach entsprechender Vorbereitung, von Waggerl den entgegengesetzten Satz zu vernehmen: daß es immer nur auf das Wie, nicht auf das Was ankomme.

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Nach einem Wort Herrmann Hesses lassen sich ja überhaupt nur solche „einseitige“ Wahrheiten aussprechen, deren Gegenteil genauso wahr sei. In einem berühmten Beispiel vom guten und schlechten Reisen hat Schopenhauer die Lenkbarkeit des logischen Schließmechanismus jedem sichtbar und das gleichzeitige Wahrsein entgegengesetzter Behauptungen verständlich gemacht. Sein Hohn auf die dialektischen Praktiken hinderte ihn selbst aber nicht, sie ebenfalls anzuwenden und in der eigenen Philosophie gerade jener Wahrheit ans Licht zu verhelfen, ohne die er gar nicht philosophiert haben würde. So ist niemand, der nicht imstande wäre, die Unmöglichkeit einer absoluten Wahrheit einzusehen, niemand aber auch, der nicht aus der Absolutsetzung irgendeiner Wahrheit seinen Lebensinhalt zöge. Denn das Leben selbst schreibt uns unsere Wahrheit vor, zu der wir uns, vor jedem Urteil, durch Vorurteil bekennen. Daher sind wir auch für jede Logik taub, die sie uns als „einseitig“ hinstellen möchte. Wir fischen im Trüben, das wir uns selbst erzeugen, damit man unsere Wahrheit nicht als unser Vorurteil durchschauen soll. Wer einen weißen Knopf verliert, wird beim Suchen dann leicht einen roten übersehen. Wer entdeckt zu haben glaubt, daß das Abendland untergehen wird, und diesen Schatz nun heben möchte, wird die Gefahr zu meiden wissen, die ihn wieder zu verschütten droht. Auch solcher Glaube versetzt Berge, setzt ins Werk, übersetzt die gefundene Wahrheit ins Wort. Ob Oper oder Operette dem Humanen adäquates Musiktheater sei, ist für den Opernfreund keine Frage. Für den Operettenfreund auch nicht. Daß es sich dabei keineswegs, wie der Opernfreund glauben möchte, um eine Sache des geistigen und musikalischen Niveaus handelt, bewies Nietzsche, der Offenbach über Wagner setzte. Gescheite Leute glauben an Gott und gescheite Leute sind oft Atheisten. Wahrheit bedeutet eben Entscheidung über Wert und Unwert, nicht über richtig und falsch.

Es ist darum auch nicht von Belang, ob die in jener Fernsehsendung vom Dichter mit so großem Nachdruck vertretene Meinung, daß es beim Schreiben nur auf das Was, auf den Inhalt, ankomme, nicht dagegen auf das Wie, auf die besondere Formulierung, oder ob nicht die entgegengesetzte Meinung richtig sei — beide Meinungen ließen sich beweisen —, sondern man muß fragen, weshalb wohl der Fünfundsiebzig-jährige vor der Kamera gerade so und nicht anders urteilte, welcher innere Beweggrund ihn den Wert des Was so eindeutig über den des Wie stellen ließ? Denn so gewiß er auch wirklich meinte, was er sagte, so gewiß hatte er seine Wahrheit nicht nach reiflichem Erwägen von allem Für und Wider, sondern auf Anhieb, durch ein Vorurteil, gefunden. Das heißt, er war nicht frei, als er das Was über das Wie stellte. Und warum? Scheint nicht mit der vorausgegangenen Erklärung, durch seine Schriften eine Lebenshilfe geben zu wollen, Antwort genug gegeben? Oder sollte diese Lebenshilfe, der tröstliche Inhalt, nicht das Trübe sein, durch die jene andere Wahrheit verborgen bleiben konnte, daß nämlich um tröstlich, um als Lebenshilfe zu wirken, es einer ganz besonderen Form, eines besonderen Wie bedürfe? Was wäre Waggerls Dichtung ohne den Waggerlschen Ausdruck? Ist nicht das eigentliche Was, das ein Dichter zu geben hat, eben sein Wie? Und sollte da nicht die Uberbetonung des Was, des Inhalts, eine Vertrauenskrise in das eigene Wie, in die eigene Form, bedeuten?

Seit mehr als 15 Jahren, heißt es, hat Waggerl nichts mehr geschrieben. Schon immer, gestand er, habe er lieber gelesen, am liebsten Bücher nur eingebunden. So etwas ist bei Schriftstellern selten. Die Regel sind die unablässig Schaffenwollenden und Schaffenden. Verhältnismäßig jung starben Flaubert am Schreibtisch, Proust schreibend im Bett, und Heine, bis auf einen körperlichen Rest von Krankheit verzehrt, über seinen Manuskripten. Aber B. Shaw glaubte mit 94 Jahren sein Werk noch nicht beendet. Entrüstet gab der 75jährige Csokor einem jugendlichen Besucher auf dessen Frage, wie er, wäre er noch jung, wohl heute schreiben wollte, zur Antwort: er schreibe selbstverständlich ohnehin. Und das stimmte. Auch der Dichter des „Hauptmann von Köpenick“ konnte es sich an seinem 75. Geburtstag nicht versagen, dieses Werk vor den Fernsehern als den Höhepunkt nur seines bisherigen Schaffens zu bezeichnen, weil er ja noch weiterschreibe.

Ist es vermessen, die Frage zu stellen, warum Waggerl anders ist, warum er nicht schreibbesessen ist wie die andern, und darauf eine Antwort geben zu wollen? Aber er gab sie ja selbst schon bei jener Geburtstagsbefragung, mit jenem resignierenden „Jung müßte man sein. Alter ist nichts!“, womit er, wohl unbewußt, Hamsun, das Vorbild seiner Jugend, noch einmal kopierte. Auch der große Norweger hatte zu seiner Zeit sich über die Weisheit des Alters mokiert. Aber er hatte weitergeschrieben. Auch Goethe hatte der Jugend allein das Recht auf Produktion eingeräumt, aber bis zuletzt am „Faust“ geschrieben. Warum also hält Waggerl Wort?

Der in Betriebsamkeit um jeden Preis verliebte Zeitgenosse ist wohl versucht, es als eine Schwäche zu erkennen. Wir deuten es als eine Stärke. Und dies obschon, ja mehr noch, weil wir das Schweigen dieses Schriftstellers, weil wir seine Hervorhebung des eigenen Inhalts vor der eigenen Form als Ausdruck des tiefen Bewußtseins einer Krise erkennen. Und diese Krise ist kein leerer Wahn, entspringt sie doch dem gestörten Verhältnis von Natur und Leben, unseres äußeren Lebens zu unserer inneren Natur. Daß wir der Natur aus der Wiege gefallen sind, wer weiß es nicht? Es wird viel darüber gejammert: Kinder hört ich greinen... ! Würdige Klage ist wohl nur: Verstummen. Schwalben stürben im Käfig: Schwäche oder Stärke der Natur? In der Kunst jedenfalls ist Anpassung Schwäche. Waggerls Weg freilich liegt zu weitab von der Heerstraße der Modernen, als daß er da jemals hätte einmünden können. Er hätte natürlich immer schon ein anderer, hätte Prophet sein können, wie so viele. Und er hätte nicht, obgleich 40 Jahre jünger, mit seinem Erstlingsroman den Erstling Hamsuns wiederholen müssen. Aber man kann auch das wirklich sein. Und er war es wirklich, war kein Ableger, war es nur noch einmal, an anderer Stelle der Erde. Und ist es geblieben. Worum alle jammern, er hat es noch, hat es behalten, das Menschenwürdige, das niemand mehr zu nennen wagt, seit alle Würde sich als unwürdig erwies. Und wohl am menschenwürdigsten, am menschlichsten ist nun sein Schweigen. Wie sollte er noch einmal die Blumen, die Wiesen, das Brot, das Jahr des Herrn besingen? Die er, wohl wissend, wie es um sie steht, einst auch ironisch-wehmutstief besungen? Wie sollte er es noch einmal, wie sollte er es heute noch können! So können, daß es wieder Lebenshilfe wäre, Trost für die Leser? Und Lebenshilfe ist sein Werk tatsächlich; doch nicht, weil Blumen und Gräser, geistlich und weltlich Brot sein Inhalt, seine Themen sind, sondern weil er, Waggerl, es ist, der davon spricht.

Weil es auf das Wie und nicht auf das Was ankommt beim Schreiben.

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