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Wie oft der Wiener wohin geht

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Der am Karlsplatz erlebte Fall, daß sich nach der Umstellung auf einen neuen Umleitungszirkus statt der erwarteten kleineren Katastrophe eine wesentliche Verflüssigung des gesamten Verkehrs in der näheren und weiteren Umgebung des neuralgischen Punktes einstellt, soll sich nicht wiederholen. Künftig will man genauer wissen, woran man ist — zu diesem Zwecke wurde bekanntlich die Verkehrserhebung 1970 durchgeführt. Die Hauptauswertung im Institut von Professor Dorfwirth ist in vollem Gang, aber eine im mit der Befragung betrauten Wiener Institut für Standortberatung (WIST) zur Kontrolle der Stichproben durchgeführte Linearauswertung führte bereits zu einigen ersten, zum Teil überraschenden Ergebnissen.

Was niemand zu schätzen gewagt hätte, aber auf Grund erster Hochrechnungen festzustehen scheint: 30 Prozent aller Wiener machen an einem durchschnittlichen Wochentag überhaupt keinen Weg. Ein knappes Drittel aller Wiener im Alter von über sechs Jahren bleibt zu Hause. Geht allenfalls einmal um die Ecke, um etwas zu kaufen (derartig kurze Wege wurden nicht erfaßt).

Die Stichprobe, die 10 Prozent aller Wiener von über sechs Jahren erfassen sollte, stimmt innerhalb der geforderten plus/minus 10 Prozent von den 10 Prozent: 9,2 Prozent wurden erreicht und befragt.

Auf Grund der Hochrechnung auf die Gesamtzahl der 1,5 Millionen Wiener über sechs machen diese täg lich 3,4 Millionen Wege, wobei Hin- und Rückweg (zur Arbeit, zur Schule usw.) jeweils als eigener Weg zählt. 46 Prozent der Befragten unternahmen am Stichtag zwei Wege, 6 Prozent deren drei, 10 Prozent vier Wege, 6 Prozent mehr als vier Wege. Auf einen Weg (nur hin? Oder nur zurück?) brachten es 2 Prozent.

Auch wie sich der durchschnittliche Wiener an einem durchschnittlichen Werktag fortzubewegen pflegt, geht aus ersten Hochrechnungen hervor. Ein Drittel fährt mit öffentlichen Verkehrsmitteln, ein weiteres Drittel mit dem Pkw, ein letzteres Drittel geht zu Fuß, fährt mit Rad, Roller oder aber als Mitfahrer in einem Pkw. (Wahrscheinlich hat der statistisch zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht erfaßte Prozentsatz der Mitfahrer die Zahl der Fkw-Benfit- zer stark nach unten rutschen lassen.)

Kernstück der Untersuchung war eine Haushaltsbefragung über de» Wochentagsverkehr der Wiener Bevölkerung, dazu kamen außerdem eine einprozentige Haushaltsstichprobe, eine Innenkordonzählung Individualverkehr (Juni 1970), eine Außenkordonzählung Individual- und Massenverkehr (Juni 1970), eine Innenkordonzählung Massenverkehr (Oktober 1970), eine Dauerpegelzählung (Oktober 1970), eine Straßengüterverkehrszählung und eine Zählung des Feiertagsverkehrs.

Erfaßt wurden die Wege der Wiener an einem durchschnittlichen Wochentag innerhalb Wiens, unter Angabe der exakten sachlichen, räumlichen und zeitlichen Bestimmungsmerkmale jedes Weges sowie der benützten Verkehrsmittel. Die ermittelten Daten sollen der Erstellung einer kleinräumigen Quell-Ziel-Matrix der Wege der Wiener, die durch die Wege der Nichtwiener (Außenkordonzählung Juni 1970) ergänzt wurde, dienen und der Stadtplanung Unterlagen für die Dimensionierung der zukünftigen Verkehrswege liefern. Außerdem wird das ermittelte Zahlenmaterial für zahlreiche Sonderauswertungen herangezogen.

Auf eine Postwurfsendung oder Vollerhebung mittels Fragekartenverteilung wurde wegen der geringen Rücksendequote und der schwindenden Bereitwilligkeit der Bevölkerung zur Beantwortung solcher Fragebogen verzichtet. Die Befragung einer Stichprobe aus der Gesamtheit der Wiener Haushalte bedurfte zwar eines erhöhten Organisationsaufwandes, brachte dafür aber echte repräsentative Werte. Bleibt zu hoffen, daß die Stadtväter, die so manches Problem eher stief- väterlich behandeln, nun dem Großstadtverkehr den nötigen Tribut zollen. Sonst wäre es möglich, daß jenes umstrittene Plakat, auf dem eine barbusige Maid um Geduld während des U-Bahn-Baues warb („Oben ohne”), zum Bumerang für die Stadtplanung wird, und man demnächst einen kopflosen Stadtplaner („Oben ohne”) auf den Plakatwänden um Wählerstimmen werben sieht.

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