
Gedanken zum Karfreitag.
In einer pluralistisch denkenden Gesellschaft kommen die Medienverantwortlichen zu den großen christlichen Festen oft in arge Verlegenheit. Ein Fest wie Ostern prägt noch immer stark die Lebensgewohnheiten der Menschen; der Sinn des Festes ist aber für viele längst entschwunden. So kann man dieses Fest nicht übergehen, es läßt sich aber andererseits auch nicht leicht dem Erholung- und Unterhaltungsuchenden verkaufen. Gott sei Dank gibt es noch immer eindrucksvolle Standardübertragungen: Den Segen Urbi et Orbi von der Loggia des Petersdomes und die Osterwünsche des Papstes in 14 Sprachen, die Karsamstagliturgie aus dem Salzburgischen (freilich nur noch im Hörfunk) und sonst so manches Besinnliche und viel Folklore, von Palmsonntagsbräuchen bis zu den Ratschenbuben, vom Eierbemalen bis zu den Osterfeuern. Musikkenner kommen durch ein reichliches Angebot unsterblicher Passionsmusik auf ihre Rechnung, und Tageszeitungen ziehen sich lieber durch die Darstellung verschiedener Symbole des erwachenden Lebens wie Palmkätzchen, junger Lämmer und strahlende Kinderaugen aus der Affäre.
Hat das Leiden und Sterben des Herrn uns heute wirklich nicht mehr zu sagen? Hat die Passion Christi das gleiche Schicksal wie der Jedermann in Salzburg, den man aus Pietät immer wieder aufführt, obwohl man ihn doch nicht mehr ganz ernst nimmt? Ist Ostern nun vollends zum großen „Spaziergang“ geworden, nur daß die Idylle Goethes inzwischen einem gigantischen Massentourismus gewichen ist?
Meliton, im zweiten Jahrhundert Bischof von Sardes in Kleinasien, hat das Leiden Jesu in einem ungeheuren Realismus in Verbindung mit der Welt gesehen. In seiner Osterpredigt sagt er: „Er trug in vielen Vieles: Er wurde in Abel gemordet. In Isaak wurden ihm die Füße gefesselt, in Jakob mußte er auswandern. In Josef wurde er verkauft, in Mose ausgesetzt, im Lamm erstickt, in David verfolgt, in Propheten geschmäht. Er wurde Mensch in der Jungfrau, ans Holz gehängt, in die Erde begraben. Am Holz zerbrach man ihn nicht, und im Grab verweste er nicht. Er stand von den Toten auf und weckte den Menschen aus dem Grab der Unterwelt.“
Bischof Meliton würde heute vermutlich anders predigen: In denen, die Angst haben vor Terror und Gewalt, vor Krankheit, Alter und Tod und vor einer vielfach bedrohten Zukunft, würde er Jesus in seinem Angstschweiß auf dem Ölberg wiedererkennen. Vielleicht würde er dann weiter sagen: „In den Menschen, die heute so vielen Zwängen von innen und außen ausgeliefert sind, wird Jesus neuerdings gefesselt. In zehntausend Ehen, die in einem Jahr geschieden werden, wird er wiederum verlassen. In 75.000 Kindern, die in Österreich regelmäßig gezüchtigt werden, wird er auch heute noch gegeißelt. In den Gastarbeitern, die zuerst zu niedrigsten Diensten verwendet und dann bei Nichtbedarf abgeschoben werden, bricht man nochmals den Stab über ihn. In den Alten und Kranken, die hilflos sind und einsam, stürzt er immer wieder schwer zu Boden. In den Menschen, die Sexualität ganz ohne Liebe entwürdigt haben, wird er heute noch nackt zur Schau gestellt. In allen, die vergebens nach einem Sinn in ihrem Leben Ausschau halten, leidet er unstillbaren Durst. Für jene, denen die Enttäuschungen des Lebens den Glauben geraubt haben, ruft er neuerlich aus: ,Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen?' In all den ungeborenen Kindern, die jährlich abgetrieben werden (die genaue Zahl kann ja auch nach der "Fristenlösung" niemand sagen), wird er immer wieder ganz ohne Schuld getötet“
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