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Wie sie die Zeichnung sahen

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Frankreichs Superstars der Zeichnung in der Wiener Albertina - „Von Ingres bis Cezanne“ heißt die kleine, aber auserle^ sen kostbare Sammlung von 67 Zeichnungen und Aquarellen, die der Pariser Louvre für drei Monate nach Wien geschickt hat. Als Gegengabe für jene selbst im kunstverwöhnten Paris heute schon als legendär geltende Ausstellung von Renaissance-Meisterblättern der Wiener Albertina, die bei ihrer Eröffnung 1975 von den Franzosen spontan bejubelt wurde.

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Frankreichs Superstars der Zeichnung in der Wiener Albertina - „Von Ingres bis Cezanne“ heißt die kleine, aber auserle^ sen kostbare Sammlung von 67 Zeichnungen und Aquarellen, die der Pariser Louvre für drei Monate nach Wien geschickt hat. Als Gegengabe für jene selbst im kunstverwöhnten Paris heute schon als legendär geltende Ausstellung von Renaissance-Meisterblättern der Wiener Albertina, die bei ihrer Eröffnung 1975 von den Franzosen spontan bejubelt wurde.

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Eher merkwürdig mag es heute klingen, wie diese Tauschaktion zustande kam: 1972 pilgerten die Direktoren der größten graphischen Sammlungen der Welt nach Wien zu einem Kongreß. Allgemein kam man überein, daß die Schätze der großen Museen viel zu kostbar, zu empfindlich und auch zu sehr gefährdet seien, als daß man sie noch weiterhin in alle Welt verleihen, zu irgendwelchen kleinen Ausstellungen verschicken könnte. Konzentration auf wenige große Ausstellungen, lautete damals der Vorschlag. Die Albertina und das „Cabinet des Dessins“ des Louvre wollten vorexerzieren, wie dergleichen aussehen sollte: In gemeinsamer Arbeit wurden in Paris und Wien Kollektionen zusammengestellt. Und was nun die Albertina in ihren Sälen vorzeigt, ist ein Versuch, ein paar ausgewählte Meisterstücke der größten französischen Zeichenkunst seit Beginn des vorigen Jahrhunderts zu dokumentieren.

Einer der markantesten Momente für die Entwicklung der Zeichenkunst war dabei unleugbar die Erfindung des Bleistifts 1795. Jacques Conte hat ihn geschaffen. Und für die Meister des beginnenden Jahrhunderts, also für Ingres (1780 bis 1867), Granet (1775 bis 1849) oder Corot (1796 bis 1875) wird er zum bevorzugten Werkzeug. Eine subtile Lebendigkeit breitet sich über deren Blättern aus, als eine Form der Reaktion gegen die etwas starre Klassik napoleonischer Hofkunst. Mit Leidenschaft und Akribie stürzten sich die Künstler in diese Studienarbeiten, die für sie eine Art künstlerisches Gewissen bedeutete - Von .,Gewissenhaftigkeit der Kunst“ sprach e'twa Ingres, für den „der StÜ die Natur“ war. Mit seinem überpräzisen Zeichenstil, der einen bewußt unpersönlichen Ausdruck kultiviert und zeichnerische Perfektion höher stellt als alles andere. Was zum Beispiel Odi-lon Redon zur Bemerkung veranlaßte: „Ingres schafft ja Ungeheuer!“ Damit ist Ingres aber zum Vorläufer eines ganzen Traditionsstroms geworden, für den die Albertina auch charakteristische Beispiele parat hat (wenn auch natürlich nicht die Matisse oder Modigliani, auf die Maurice Serullaz in seinem knappen Katalogvorwort hinweist).

Von Ingres ausgehend zeigt die Schau aber vor allem eines: daß es in der Zeichnung Frankreichs im 19. Jahrhundert weniger um stilistische Entwicklungslinien als vielmehr um zentrale Ereignisse geht. Um Ereignisse, wie Künstler das Medium Zeichnung verstehen ... Degas etwa: „Die Zeichnung ist nicht die Form, sondern die Art, die Form zu sehen“. Oder Delacroix: „Die Natur ist ein einziges Wörterbuch“ - er vermerkt, daß der „Geist etwa nicht die Hand des Künstlers lenken könnte“. Cezanne, der mit zwei wunderbar duftigen, sehr typischen Aquarellen vertreten ist: „Wenn die Farbe ihre höchste Intensität erreicht hat, ist die Form am vollendetsten.“ Wobei Strukturprobleme und Darstellung von Volumen ihn mehr interessierten, als die „geschlossene Zeichnung“.

Aber auch so kann man Zeichnung betrachten: In ihrem stenogrammatischen Charakter, vom Lernprozeß des Künstlers her, von seinem Versuch, Konstruktions- oder Strukturprobleme zu bewältigen, vom skizzierenden Festhalten von Details, die später wieder aufgenommen werden. Und so sollte man wohl vieles von Künstlern wie Delacroix betrachten. Er ist mit seiner gewalttätig aufs Papier gekratzten Federskizze zum „Tod des Sarda-napal“ und der Bleistiftzeichnung „Hockender Araber“ vertreten. Da wird Zeichnung zur Tagebucheintragung.

Zeichnung als in sich vollendete ro-mantisch-historisierende Schöpfung sind hingegen die Blätter Gustave Mo-reaus (1826 bis 1898), der mit seiner „Salome“ (Feder in Braun, Aquarell, Gold- und Gouache-Höhungen!) und seiner „Kleopatra“ den Triumph des Imaginären, Mystisch-Phantastischen, Byzantinischen malte, um dem Naturalismus seiner Zeit Paroli zu bieten. Er wurde damit zu einem Hauptahnherren der Surrealisten.

Was alles in allem eigentlich nur ein paar Aspekte sind, Zeichnungen zu betrachten, zu kategorisieren. Möglichkeiten zur kritischen Betrachtung bietet gerade diese Ausstellung, in der mich vor allem die Vielfalt der Einzelpersönlichkeiten fasziniert, die im Grunde nicht in Stilschubladen gehören. Allerdings, grob gesehen kann man natürlich Stüentwicklungen verfolgen. Zum Beispiel zwei Wege zur Moderne: einen „realistischen“ über Millet, Daumier, Courbet zu Cezanne, und einen historisch-illusionistischen, fast „neobarocken“, der von Delacroix über Puvis de Chavannes, Moreau zu Redon, zum Symbolismus und Surrealismus führt. Die Blätter der Impressionisten Degas, Pisarro und Renoir bis zu Cezanne, Manet und Gauguin sind allerdings einzigartige Höhepunkte der Kollektion.

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