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Wie tragen Christen Konflikte aus?

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Martin Scorseses Jesus-Film könnte Anlaß dazu sein, eine christliche Konfliktkultur zu entwickeln. Der Autor vertritt dazu fünf (kursiv hervorgehobene) Thesen. v

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Martin Scorseses Jesus-Film könnte Anlaß dazu sein, eine christliche Konfliktkultur zu entwickeln. Der Autor vertritt dazu fünf (kursiv hervorgehobene) Thesen. v

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Nachdem am 11. November der Film „Die letzte Versuchimg Christi“ der Öffentlichkeit in Österreich in seiner deutschen Fassung vorgestellt wurde, könnte sich ein Christ auf die ethischen Grundlagen besinnen, die er in einer öffentlichen Diskussion mit anderen einhalten soll. Gerade an der Art und Weise, wie er mit Konfliktgegnern umgeht, sollte für den Beobachter eine sozusagen „christliche Konfliktkultur“ ablesbar sein.

Ein Urteil, das ich von anderen übernehme, ohne es selbst geprüft zu haben, ist — in einem wertneutralen Sinn - ein „Vorurteil“. Ohne solche Vorurteile kommen wir schon deshalb nicht aus, weil wir unmöglich alles selbst überprüfen können, was unsere Urteilskraft herausfordert. Doch wenigstens können wir die Personen und Autoritäten auf ihre Vertrauenswürdigkeit hin prüfen, wenn wir von ihnen ein Urteil als Vorurteil, als Entscheidungshilfe übernehmen. Uber vielerlei Mittelspersonen weitergereichte „Vorurteile“ dieser Art sind besonders problematisch, wenn man in einer Kette der Uberliefernden nicht mehr erkennen kann, wer was aufgrund welcher Kriterien beurteilt hat.

Im Unterschied zu „Verurteilungen“ von Personen hat auch die Bibel — „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet“ - keinen Einwand gegen solche Urteilsbildung zur Entscheidungsfindung. So sehr „blinde Vorurteile“ aus der Sicht christlicher Ethik zu vermeiden sind, so sehr haben „sehende Vorurteile“ den Charakter des Unvermeidbaren: Im privaten Bereich muß ich mich gelegentlich auch auf das Urteil einer vertrauenswürdigen Person oder Instanz verlassen können.

Ganz anders im öffentlichen Bereich: Wer öffentlich, etwa in den Massenmedien, auftritt, sollte nicht mit Urteilen aus zweiter Hand hantieren. Urteile in der Öffentlichkeit sollten nur Personen abgeben, die sich durch direkte und persönliche Befassung mit dem Konfliktgegenstand informiert haben. Sollte es aus irgendeinem Grund nötig sein, sich sozusagen „vorläufig“ zu einem Konfliktfall zu äußern, so müßte man wenigstens seinen „Gewährsmann“ nennen und sicher sein, daß auch dieser nicht bloß eine Vorverurteilung anderer weitergibt.

öffentliche Verurteilungen sollten sich um höchste Genauigkeit des Vorwurfes und um sachliche Diktion bemühen. So sollte etwa das Wort Blasphemie (Gotteslästerung) nur dann gebraucht werden, wenn zweifelsfrei feststeht, daß die Akteure Gott beschimpfen wollten. Wenn aber ohne deren Absicht ein Effekt entsteht, der religiöse Gefühle Gläubiger kränken könnte, dann ist dies ein anderer Sachverhalt, der entsprechend präzise ausgesprochen werden sollte. Die Empörung, die man beweisen will, durch öffentliche Äußerungen erst hervorzurufen, ist ein besonders abstoßendes Beispiel intellektueller Unredlichkeit.

Ein um intellektuelle Redlichkeit bemühtes Urteil bedenkt und bespricht auch das kulturelle Umfeld des Konfliktes. So sollte eine Romanverfilmung auch aufgrund der Lektüre des Romans beurteilt werden — vor allem wenn einem an einem gewissen „Lerngewinn“ aus der öffentlichen Diskussion liegt. Die kulturellen Gegebenheiten anderer Länder, anderer Konfessionen, anderer Religionen sind ebenso zu bedenken, wie die Mißverständnisse durch Ubersetzungen und Übertragungen in die Sprache der Bilder.

Es sollte unter Christen nicht vorkommen, daß ein Werk, das in bester Absicht geschaffen wurde, ohne wenigstens die Anerkennung dieser Absicht anzusprechen, verurteilt wird. Es ist übrigens nicht recht einzusehen, warum ein Christ, der an die Gottheit Jesu glaubt, gleich beleidigt ist, wenn ein anderer mit großer Wertschätzung — jedoch „nur“ vom Menschen Jesus spricht.

Eine intellektuell redliche Konfliktkultur vermeidet medienwirksame Vereinfachungen. Obwohl die Medien aufgrund ihrer Eigengesetzlichkeiten auf knappe und prägnante Aussagen dringen, sollte man nicht der Versuchung erliegen, einen komplizierten Sachverhalt durch Vereinfachung billiger konsumierbar zu machen. Wenn ein Konfliktfall eben viele „Wenn und Aber“ enthält, dann ist ein Weglassen dessen nicht nur Vereinfachung, sondern auch Verfälschung. Wer sich der subtilen Verführung zu gefälschter Einfachheit beugt, darf sich nicht wundern, wenn er sich unversehens im Kreis von Fanatikern und Fundamentalisten wiederfindet.

Christen sollten steh im Konfliktfall nicht einem vielleicht vordergründigen oder diffamierenden Stil des Gegners anpassen. Zugegeben: Es ist nicht leicht, ein plumpes Machwerk auf hohem Niveau zu besprechen. Es fällt schwer, bei unsachlichen Angriffen sachlich zu bleiben. Und es ist erst recht schwer, einem intoleranten Gegner tolerant gegenüberzutreten. Doch sollte der Christ im Konfliktfall eben daran erkennbar sein, daß er „nicht Böses mit Bösem vergilt“. Man sollte uns Christen unter anderem daran erkennen, daß wir unseren Gegnern nicht zu Feinden werden. So paradox es klingen mag: Auch an der Konfliktpraxis der Christen müßte man ihre Liebesethik erkennen.

Tabuverletzung

Und nun einige persönliche Anmerkungen zum Konflikt um Scorseses Film „Die letzte Versuchung Christi“: Ich halte diesen Film, der sich eng an den Roman von Nikos Kazantzakis hält, mehrfach für schwer mißglückt. Filmisch — weil die Regie dem Stoff nicht gewachsen ist. Historisch — weil schon der Roman mehr in Phantasien schwelgt, als den Fakten gerecht wird. Und zuletzt theologisch — weil der schwächliche, fast neurotisch in Selbstzweifel verfangene Jesus nicht der Jesus der Bibel ist.

An keiner einzigen Stelle des Films (und auch des Romans) ist zu erkennen, daß sich die Autoren über Jesus lustig machen oder Gott lästern wollen. Man sollte auch einem schlechten und mißglückten Film jene Gerechtigkeit widerfahren lassen, die er verdient: indem man ihn sachlich qualifiziert und ihm durch unnötige Proteste nicht jene Zuschauermassen zutreibt, die er ohne Proteste nie bekäme.

Zuletzt eine Vermutung zum inhaltlichen Diskurs des Konfliktes - der hoffentlich nicht in Polemik und Agitation erstickt: Roman und Film stellen - wenn auch auf einseitige Weise - die uralte Problematik der „Christologie“ zur Diskussion, inwieweit Jesus Gott und Mensch zugleich ist.

Der Streit um den Film hat jedoch zusätzlich ein anderes Thema: Inwieweit gehört zum ganzen und ungebrochenen Menschsein Jesu auch die Sexualität? In dieser Fragestellung dürfte auch die Tabuverletzung begründet sein, die den Film so brisant macht. Denn die Vorstellung eines Jesus von Nazaret, dessen Menschsein auch die sexuelle Erfüllung in einer Liebesbeziehung denkbar macht, erschüttert viele Christen in ihren religiösen Denkgewohnheiten.

Obwohl der Film (wie schon der Roman) das „Liebesleben Jesu“ in gnostisch-manichäischer Sicht als Versuchung des Satans darstellt, der Jesus zuletzt auch widersteht, kann hier das religiöse Empfinden mancher Christen gekränkt sein. Doch gerade dieses „heimliche Thema“ des ganzen Konfliktes ist eines ruhigen und gelassenen Diskurses unter Theologen und intellektuellen Christen wert.

Ob es zu diesem Gespräch über das heimliche Thema des Konfliktes überhaupt kommen wird, mag als Indikator dafür gelten, ob die intellektuelle Redlichkeit der Christen in einer fairen Konfliktkultur eine Chance hat.

Der Autor ist Geistlicher Assistent der Katholischen Filmkommission für Osterreich und Akademikerseelsorger in Linz. Er hat sich für diesen Beitrag sowohl mit der Romanvorlage befaßt, als auch die englische Original- und die deutsche Synchronfassung des Films „Die letzte Versuchung Christi“ gesehen.

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