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Wie überleben ?

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In einem — nicht zuletzt durch seine bildhafte Aufbereitung — beachtenswertenBeitrag zeichnet der Ökologe Karl Burian im druckfeuchten Sammelband Politik für die Zukunft" Schwerpunkte einer Umweltpolitik der Zukunft vor. Unter anderem schreibt er:

Der sogenannte Homo „sapiens" hat sehr früh die Physik des Neanderthalers übernommen (Hitze, Frost, Hebel, Keile, Beile, Pfeile), die Chemie entwickelt (Metallegierungen), die Religion anthropozentriert (bei ihm gibt es immer „Auserwählte"), Vater -und Mutterverantwortlichkeit in Herrschaftlichkeit verwandelt (seither gibt es Matriarchate und Patriarchate und Sklavinnen und Sklaven und Feministinnen und Machos und weiters geistiges Grünzeug), er hat seine noch fehlenden Dissidenten minderwertig plagiiert (Science-fiction), ein paar echte Sapientes hervorgebracht, denen er nach ihrem eher überstürzten Tod durch Schierling und ähnliche Hilfsmittel polierte Marmorbüsten stiftete; er hat viele Ideologien zur Freude der Beteiligten und zum Kummer der Betroffenen geschaffen, er freut sich und leidet an Kriegen, an der Kunst, an seiner eigenen Gesellschaft und an sich selber.

Er hat eines dank seinem Intellekt nie gelernt: andere und anderes in Frieden leben zu lassen. Er ist etwas Unvergleichliches, etwas Gottähnliches auf verbal erschaffener Vergleichsbasis. Er ist der Erfolg.

Ist er der Erfolg? Sein unbestritten höchstentwickeltes Denken ist nicht mehr ein Denken nach Funktionen, sondern ein Denken nach Wertigkeiten, nicht mehr ein Denken für das bestmögliche Uberleben, sondern eins für das längstmögliche Beherrschen.

Er ist weder mehr sanft noch, gar sozial, seine Familie verschwindet in der Technik und den

Lehrbüchern des Familienlebens; Kunst ist für ihn zur Fähigkeit einer Elite entartet, statt tägliche Einkehr zu sein; Religionen gibt es schon mehr als Sprachen und Dialekte zusammengenommen; es gibt mehr eifersüchtig bewachte Eingötter als sich jemals Vielgötter in Baumkronen und Hainen umhergetrieben haben; es gibt vermutlich mehr Morde aus Haß oder geldgieriger Gleichgültigkeit in einem einzigen Jahr als Morde im ganzen Magdalenien: Hat er einen Auftrag zum Uberleben, der Homo „sapiens"?

Welche Schwerpunkte sollte daher eine Umweltpolitik der Zukunft haben ? Wie könnte eine globale Alternative aussehen?

1. Stabilisierung des Menschenanteils an der gesamten Biomasse: Das bedeutet Abwertung solcher Begriffe wie Auserwähltheit, Herrschaft, Minderwertigkeit, unabdingbare Forderung, Vertagung, verständliche Empörung, gezielte freundschaftliche, aber offene Aussprache, versteckte Drohung, Sündigkeit bei der Empfängnisverhütung, Nationalismus. All das sind Begriffe, die im Gebrauchtplanetenkatalog aufzufinden sind, aber ohne Gewähr, ob sie schon von der Begriffsverwirrung erfaßt worden sind oder nicht.

2. Stabilisierung des Energieverbrauchs pro menschlichem Individuum: Das bedeutet Sparen für die Verschwender und ein bis-serl — ein Bisserl — mehr Nahrung für den Rest der Sapienswelt. Es kostet in den USA 900 Liter Erdöl je Hektar, um den Boden zu bewirtschaften; eine Kalorie technischer Energie ergibt 0,5 Kalorien chemischer Energie in Nahrungsmitteln. In Indien ist die Relation 73 Liter je Hektar, und eine Kalorie erzeugt 16 Kalorien in Nahrungsmitteln. Die USA pflügen die Lebensmittel des Menschen ein, in Indien hungert man üblicherweise.

3. Restauration der Ernährungsgewohnheiten, oder anders ausgedrückt: öfter Linsen und Bohnen als Beefsteak und Speck. Von der Weltgetreideernte gehen etwa 30 Prozent im Weltdurchschnitt an das Vieh des Menschen, über 400 Millionen Tonnen. In den industrialisierten Ländern sind es 62 bis 67 Prozent Getreide, die in Eßfleisch umgewandelt werden, in China sind es 7,5 Prozent.

4. Ein Weltaufforstungsprogramm: Es ist ja nicht wahr, daß in weiten Teilen der Welt, die von uns so gern die Dritten Teile genannt werden, der Mangel an Elektrizitätswerken der Grund der Armut ist. Es fehlt an Holz und Wasser. Wer Holz und Wasser bringen kann, ist ein besserer Garant für die Zukunft als jeder, der eine „Ariane" in der Troposphäre zur Explosion bringt.

5. Angepaßte Technologien für die Erste und die Dritte Welt, da uns die Zweite zur Zeit nicht zugänglich ist. Das bedeutet Einsicht in die Tatsache, daß technische Präpotenz nicht machtpolitischer Dominanz gleichzusetzen ist, ob sie sich nun gegen Ibos, Schnecken, Polen, Seehunde, Ba-hais oder Wale richtet.

6. Umstrukturierung der wissenschaftlichen Forschung auf ein ökologisch orientiertes Grund-

, programm, also auf eine Welt mit wirklich sapienten Menschen, die noch Einsicht dafür aufbringen, daß ohne Wasser, Luft, Boden und Moral des Menschen das Leben ein kurzes, biochemisch erfaßbares Zwischenspiel in einer Planetenentwicklung gewesen sein könnte.

Der Autor ist Professor für Pflanzenphysiologie an der Universität Wien. Auszug aus dem Beitrag „Auftrag zum Uberleben" in: POLITIK FÜR DIE ZUKUNFT. Festschrift für Alois Mock. Hrsg. Koren/Pisa/Waldheim. Böhlau-Verlag, Wien 1984.

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