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Wie war das möglich?

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Zu diesen Zeiten war es geschehen, daß Gottfried Hofer den igroßen Schritt von der Anonymität aur Popularität machte.

Geheiiminisvoll sind die Wege Gottfried Hofers und geheimnisvoll die Wege der Popularität; aus der Multiplikation zweier Geheimnisse entstand die überraschende Wendung, daß plötzlich jeder den Namen Gottfried Hofens im Ohr und im Auge hatte, ohne Rechenschaft geben au können, wie und wann er zum ersten Mal dahin gekommen sein mochte.

Du hörst ein Lied; neulich hättest du es noch als unbekannt bezeichnet, heute saigst du: „Das hört man ja überall, dias kenne ich.“ — Du siehst einen Menschen regelmäßig immer wieder; du niimmstJhn beim ersten Mal nicht zur Kenntnis und auch beim zweiten Mal nicht — und eines Tages ist seine Erscheinung dir wohl vertraut. Wie geht das zu? Wir wissen es nicht. Wüßten wir's, dann könnten wir durch Plakate und ■Inserate umd Reden bewirken, daß alle Menschen der Welt nur die von uns erzeugte Seife kaufen, danin würden wir zielbewußt, auf dem kurzen Umweg über eine Zeitung unid Vereinskanzlei, durch Plakate und Inserate und Reden auf die Herrschaft über die Menschen lossteuern können.

Vielleicht liegt es am Namen. Wahrscheinlich gibt es Namen, die so klingen, daß auch der, der einen solchen Namen zum erstenmal hört, meint, er müsse ihn schon oft gehört haben. Möglicherweise eignen sich manche Namen, Namen von Seifen und von Meistern, in hervorragender Weise dazu, Begriffe zu werden, und andere Namen nicht. Aber der Name allein kann es nicht sein. Denn gewiß hatten von den zahlreichen Ehepaaren namens Hofer schon viele einen ihrer Söhne Gottfried gemannt, ohne daß der darum zum Begriff geworden wäre. Ebenso wie die noch so heftig propagierte Seife neben den Qualitäten des Propagandabüros und neben dem populären Namen schließlich ja denn doch auch eine gewisse Tauglichkeit zum Reinigen aufweisen muß, um sich dauernd mit Erfolg durchzusetzen. Das ganze Geheimnis liegt in der unbekannten Relation zwischen der absoluten Qualität und der Qualität der Propaganda. Es bleibt ein ungelöstes Problem, ob der Fabrikant besser dran tut, sein Kapital mehr für die Produkte oder mehr.für die Propaganda aufzuwenden — was mehr nützt: für eine relativ gute Seife relativ schlechte Propaganda oder für eine relativ schlechte Seife relativ gute Propaganda zu machen. In neuerer Zeit scheint sich eine verstärkte Entwicklung zugunsten der Propaganda und zuungunsten der Qualität abzuzeichnen.

Gottfried Hofer hatte bestimmt über diese Fragen viel nachgedacht. Es kann aber nicht gesagt werden, Ob seine Popularität in irgendeinem Zusammenhang mit den Ergebnissen seines Nachdenkens stand ober cb sie, ihren eigenen Gesetzen gehorchend, aus sich. selbst wirkend, ebenso plötzlich und überraschend über ihn gekommen war wie über seine Mitmenschen.

Von einem geheimnisvollen Tag an, der sich nachträglich nicht mehr fixierein ließ, war die Persönlichkeit Gottfried Hofers allgemein sichtbar, sein Weg zu überblicken, seine Entwicklung zu verfolgen. Die Historiker der Bewegung, die Biographen des Meisters, konnten in ihren Artikeln, Studien und Brosahüren mühelos alle Stationen aufzeichnen und hymnisch bejubeln, die nach jenem Tag der beginnenden Popularität erreicht wurden, einem Tag, der etwa mit dem Eintritt Dora Hart-man.ns in das Vereinissekretariat zusammenfiel. Doch in größte Verlegenheit gerieten Historiker und Biographen angesichts ihrer totalen Unsicherheit bezüglich aller vor diesem Tag gelegenen Stadien, der Bewegung sowohl, wie auch des meisterlichen Lebensgangs. Gottfried Hofer gefiel sich in rätselvoller Verschwie-

genheit, und was er selbst an Andeutungen manchmal von sich gab, war zu ungreifbar und widerspruchsvoll, um als Material für ernsthafte Biographien zu dienen. Auch die Befragung seiner intimsten Mitarbeiter führt regelmäßig nur zu der Feststellung, daß der Meister ebenso plötzlich eines Tages da gewesen sei, daß die ganze Bewegung, als der Befragte seihst dazugekommen war, im Prinzip schon bestanden habe unld daß seither alles Weitere nur noch eine Formsache gewesen sei.

Je tiefer man auch in die Vergangenheit vorstieß, immer war die Bewegung schon dagewesen, immer war alles im Prinzip schon vorbereitet und nur noch auszuführen gewesen. Die Zeit, da es keine Bewegung gegeben hatte, damit also ein Annäherungswert für den Tag ihrer Entstehung, ließ sich nicht mehr feststellen. Die Herren vom ehemaligen Präsidium des ehemaligen Tierscbutzvereins ebensowenig wie der von einem übereifrig Forschenden im Verpackungsraum der Zeitung „Der Kurier“ entdeckte ehemalige Sekretär des ehemaligen V. V., ein gewisser Herr Käfer, vermochten zu sagen, wie der Meister und die Bewegung eigentlich zueinander gefunden hätten. Es drängte sich der Gedanke auf, daß da nicht alles mit verstandesmäßig erfaßbaren Dingen zugegangen sei, daß Bestimmung und schicksalsmäflige Sendung vorliege. Und selbst wenn rational denkende und wirklieh-keitserpratote Journalisten solche Gedanken innerlich ablehnten und lächerlich fanden, brachten sie sie doch in ihren Artikeln, Studien und Broschüren reichlich vor, da sie rein metierimäßig keinen anderen Weg sahen, das Thema anzupacken.

Wäre es damals auch gelungen, die ganze Wahrheit in allen Einzelheiten dokumentarisch zu erfassen, so wäre eine solche Darstellung schon zu jenem Zeitpunkt als unglaubwürdig und tendenziös bezeichnet worden. Man kannte sich mit einer so einfachen, unmysteriösen Erklärung für derart überraschende Tatsachen nicht zufriedengeben. Man witterte das Geheimnis, man wollte es wittern, man empfand mit neugierigem Schauer das 2u-kunftsträchtige der Bewegung, man wollte das schauervolle Geheimnis um keinen Preis entbehren und projizierte es mit Behagen auch in die hierzu höchst geeignete Vergangenheit. Daß anderseits die dunklen Vermutungen bezüglich der magischem Entstehung der Bewegung und der geheimnisvollen Zwecke des Meisters auch in ablehnendem Sinn gelegentlich lautwuriden, daß von Verschwörung, Hintermännern urjd bösen Absichten böser Kreise geraunt wurde, schadete der Bewegung nicht, sondern war nur eine fast nötige Gegenistimme im Orchester der Propaganda.

Ihren Ausdruck fanden diese gegnerischen Stimmen besonders deutlich anläßlich der sensationellen Strafklage Gottfried Hofens gegen Hans Kraut.

Hans Kraut, der etwas eigenbrötlerische Herausgeber einer politisch-literarischen Zeitschrift „Der Turm“, hatte längst dias Aufkommen und die Entwicklung der „pflanzlich-tierischen Welle“, wie er es mannte, ironisch glossiert, ohne daß er dadurch allzu große Aufmerksamkeit erregt oder gar Einfluß gewonnen hätte. Auch sein großer Artikel „Hat Gottfried Hofer wirklich gelebt?“ wurde erst dadurch allgemein bekannt, daß „Der Kurier“ ihn zum Anlaß heftiger Polemik machte und daß Gottfried Hofer den. Autor verklagte.

Hans Kraut hatte in dem Artikel auf Grund angeblich authentischen Materials behauptet, das Dunkel über Gottfried Hofers Person und Vergangenheit lüften zu können. Er hatte, immer in der ihm eigenen ironischen wohlgeschliffenen Form, voll stilistischer Feinheiten und Lichter, eine Biographie des sogenannten Meisters vor Beginn seiner Popularität skizziert. „Die Freund-

schaft zu den Tieren“, hieß es zu Anfang des Artikels, „scheint seine Rache dafür au sein, daß die Menschen seine Freundschaft verschmähten. Eine Freundschaft mit Menschen au schließen, ist ihm nie gelungen; dafür gelang es ihm schon in jungen Jahren, eine höchst bedeutsame Bekanntschaft zu machen, die großen Einfluß auf seinen Lebensgang haben sollte, nämlich die Bekanntschaft mit den schwadischen Gardinen.“ Der Autor fuhr, nachdem er über die näheren Umstände dieser Bekanntschaft „die Gardine christlicher Nächstenliebe“ breiten au wollen vorgab, in seinem Bericht fort: „Gottfried Hafer ist gegen den Fleisehgerauß. Aber es ist mit ihm auch nicht gut Kirschen essen. Er hat viele Schulen besucht, er schwirrte bienengleich von einer aur anderen, aber nicht der Fleiß, sondern nur das Schwirren war es, das ihn den Bienen vergleichbar machte — und daß er die Schulen so oft wechselte, entsprang weniger seinem Willen 'als dem der Schulen. Er trat eine Stelle als Lehrling in einem vornehmen Exporthaus an; was die Stelle ihn alles gelehrt haben mag, ist nicht festzustellen, mit einer Ausnahme: Das vornehme Experthaus sah es bald als seine vornehmste Pflicht an, ihn Mores zu lehren, und unterbrach für kurze Zeit den Export anderer Güter, um ihn aus dem Haus zu exportieren.“

Auf diese Art fuhr Hans Kraut fort, Gottfried Hofers Vergangenheit launig zu zerpflücken und ihm auf artige Manier eine Fülle der ärgsten kriminellen und ans Kriminelle streifenden Handlungen vorzuwerfen, dies alles im Ton eines,, der es genau wissen muß. Besonders informiert schien der Autor über die politische Tätigkeit des Attackierten, die einen ausgedehnten Platz in dem Artikel wie in Gottfried Hofers Lebensgang einnahm. Daß hier, laut Hans Kraut, Begabung für das Metier von krimineller Veranlagung schwer au unterscheiden war, muß nicht Herrn Hofer, sondern den politischen Sitten unserer Zeit zur Last

gelegt werden. Im Anschluß an diese Feststellung wunde Gottfried Hofer eine besonders ausgeprägte Begabung für das politische Metier nachgerühmt. Zum Schluß ging der Schreiber 'auf die Gegenwart über und ergoß seinen Spott über die Scheinheiligkeit und Undurchsich-tiigteeit von des sogenannten Meisters gegenwärtiger Betätigung, deren kriminelles Motiv awar noch nicht enkenrtbar, sicherlich aber im Hintergrund vorhanden sei. „Hier wind aus einer Mücke ein Elefant gemacht! Warum schneitet der Tierschutzvenband nioht dagegen ein? Es kann der Mücke nicht guttun, daß man sie so gewaltsam behandelt, und auch unserer Stadt wird diese Metamorphose nicht guttun!“ Der Kult, den Gottfried Hafer mit sich treiben ließ, „als sei er schon ein Gott und kein -fried Hofer mehr“, wurde gebührend hergenommmen, jene Neigung, aus sich selbst eine legendäre Gestalt zu machen, dem Alltag entrückt, für spätere Generationen auim Objekt der Verehrung geeignet, künftigen Forschem die Frage als Dissertatioosthema nahelegend: „Hat Gottfried Hof er wirklich gelebt?“ Mit der Feststellung, daß man leider genötigt sei, diese Fnage vorwegnehmend au bejahen, daß Gottfried Hafer zwar kein Prophet sei, daß aber er, Hans Kraut, au seinem Bedauern den Propheten spielen und als Folge der bedauerlichen Tatsache, daß Gottfried 'Hafer wirklich lebe, manches Unheil prophezeien müsse, schloß Hans Krauts Artikel in der Zeitschrift „Der Turm“.

Wegen dieses Artikels strengte Gottfried Hofer die Verleumdungsklage gegen Hans Kraut an, genauer gesagt: nicht wegen des Artikels, sondern nur wegen eines einzigen Satzes draus, des Satzes von der Bekanntschaft mit den schwedischen Gardinen. Der „Kurier“ bnachte die Nachricht von der erfolgten Klage in großer Aufmachung und nährte auch weiterhin durch polemische und propagandistische Hinweise das Interesse an der Fehde. Der Prozeß werde eine erwünschte Gelegenheit bieten — auf diesen Ton waren die Äußerungen abgestimmt —, ein für allemal mit gewissen übelwallenden und durchsichtigen Verdächtigungen der Bewegung und ihres Leiters abzurechnen. Man sei dem an sich völlig

unbedeutenden und lächerlichen Henm Kraut dankbar für diese Gelegenheit. — Hans Kraut anderseits, ebenso siegesgewiß, äußerte in seiner Zeitschrift ebenfalls Dankbarkeit für diese Gelegenheit und versprach sich von seinem Sieg über den Prozeßgegmer eine Stärkung seiner beabsichtigten Front gegen die sagenannte pflanzlich-tierische Bewegung. Überdies, so gab er offen und mit heiterer Selbstironie zu, mache jetzt Herr Hafer im „Kurier“ gratis Reklame für ihn und den „Tunm“, ausgezeichnet, wie alle Reklame, die er mache, Reklame die ein idealistisches, sich auf keinerlei Inserenten und Hintermänner stützendes Organ gut brauchen könne und die sich auch bereits in einer erfreulichen Steigerung der Verkaufszahlen auswirke. Daraufhin warf der „Kurier“ dem „Turm“ vor, sein Süppchen auf fremdem Feuer zu kochen und dem Aasgeier zu gleichen, der davon lebe, daß andere Lebewesen augrunde gingen. — Hans Kraut replizierte, daß Gottfried Hofier gegen das Kochen von fremden Süppchen auf fremden Feuern nichts einwenden dürfe, sofern es sich nur um kein Fleisch-, sondern ein Gemüsepüppchen handle, daß übendies das Bild vom Aasgeier als mißglückt anzusehen sei, da bei einem Vergleich Hans Krauts mit einem Aasgeier notwendigerweise Gottfried Hofer das Aas sein müsse, was festzustellen wohl kaum die ■Absicht der Redaktion des „Kuriers“ gewesen sein mochte, und daß schließlich auch die Aasgeier nur Tiere seien, würdig des allumfassenden tierschutzvereinlichen Vereins-sohutzes, daß also der Vergleich eines Gegners mit einem Tier aus solchem Mund mehr das Tier als den Gegner beleidige — und so ging die Polemik fort, beiderseits sehr ernst genommen und unter Anspruch auf höchstes öffentliches Interesse geführt,- von der Öffentlichkeit kaum bemerkt und keineswegs nach Gebühr gewürdigt.

Es muß gesagt wenden, daß Hans Kraut tatsächlich Idealist war. Und so seltsam das auch klingen mag, diese seine Eigenschaft machte ihn verdächtig und verurteilte sein Tun zur Unwirksamkeit.

Denn niemand konnte es sieh vorstellen, daß einer da wirklich Gutes und Gerechtes nur um des Guten und Gerechten willen tat. Irgendwelche Hintengründe und Interessen hatte doch alles und jeder. Anderwärts sah man sie, ahnte sie, konnte mit ihnen rechnen und ihnen Gleichwertiges, Gleichartiges entgegensetzen. Hier aber? Blieben sie im Dunkel, falls es sie gab, dann waren sie zu geheimnisvoll, als daß man der Sache trauen konnte. Waren sie aber, was wahrscheinlicher schien, wirklich nicht vorhanden, so sprach das gegen den Mann. Dann mußte wenig oder gar nichts an ihm dran sein, wenn es ihm, im Gegensatz zu der gesamten übrigen Welt, nicht gelungen war, Anschluß und Stützung bei irgendeiner Partei, Richtung oder Interessentengruppe zu finden. Und damit war das, was er schrieb, mochte es tausendmal wahr sein, kompromittiert. Daß man die Wahrheit sagte, war nicht so entscheidend wie: warum man sie sagte, in wessen Interesse man sie sagte.

Kraut war überflüssig und lästig. Er verriß im „Turm“ beispielsweise den erfolgreichen Roman eines angesehenen Schriftstellers, in einem führenden Verlag erschienen. Warum labten alle Blätter den Roman und nur Hans Kraut machte eine Ausnahme? Weil alle anderen Kritiker auf gute Beziehungen mit dem angesehenen Schriftsteller und dem führenden Verlag Wert legten, weil nur Hans Kraut einen Mangel einen Mangel nannte? Nein! Gewiß, weil Hans Kraut dem Autor seine hohen Auflagen und großen Einkünfte neidete und seinen eigenen Roman bei dem führenden Verlag nicht angebracht hatte.

So schloß man von sich auf Hans Kraut, projizierte die eigene Geistesart auf ihn; das brachte ihn um jeglichen ernsthaften Einfluß. Und da nur Enttäuschte und Verbitterte ihm ernsthafte Gefolgschaft leisteten, war er mit seiner Zeitschrift in eine ähnliche Lage manövriert wie der Fuchs, dem die Trauben zu sauer sind, und war statt einer Autorität eine Kuriosität geworden.

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