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Wie war das nur mit Josef Hoffmann?

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Ein Kunstsammler fragte Milena eines Tages, was sie beruflich denn mache, ob sie nicht vielleicht in der Wiener Werkstätte mitarbeiten wolle, er sei mit dem Gründer und Leiter, Professor Josef Hoffmann bekannt.

Der Kunstfreund gab ihr ein Brieflein an Professor Hoffmann, damit solle sie sich in der Döblergasse im 7. Bezirk vorstellen, wo Hoffmann Werkstätte und Büro besaß. Schüchtern wagte Milena sich beim ersten Mal nur bis zum Haustor, das zweite Mai schon ins Stiegenhaus vor. Schon wollte sie wieder umdrehen, als sie ein freundlicher junger Mann fragte, wohin sie denn wollte? „Zu Professor Hoffmann“, war die kleinlaute Antwort. Ja, der sei zufällig hier, sie solle nur mitkommen. Dieser freundliche Herr war - wie Milena später erfuhr - der kongeniale Hoffmann-Partner und Architekt Dagobert Peche.

Da stand sie nun im Allerheiligsten, vor dem berühmten Hoffmann, der seit 1903 nicht nur die „Wiener Werkstätte“ führte, sondern das gesamte Kunsthandwerk beeinflußte und als Begründer eines vom Jugendstil ausgehenden neuen, dekorativen Baustils galt. Er war damals schon an die fünfzig Jahre alt. Kleines Bäuchlein unterm eleganten Dreiteiler. Mit einem stark mährisch gefärbten „Kiss die Hand“, das Milena von ihrer Reichenberger Zeit her noch sehr vertraut war, begrüßte er sie.

Hoffmann lasdasmitgebrachte Brieflein und erklärte zufrieden: „Na ja, mein liebes Fräulein, da werde ich Ihnen halt etwas zu arbeiten mitgeben, etwas zum Sticken. Wenn Sie das fertig haben, kommen Sie wieder her, damit wir sehen, was Sie können, nicht? Material bekommen Sie nebenan“. Sie bekam Tüll und bunte Wolle, die sie zu Hause auseinanderzupfen mußte.

Das auf dünnes Tüllmaterial mit dik- ken Wollfäden gestickte Muster, das später Handtaschen oder Diwanpölster zierte, war eine der Werkstätten-Spe- zialitäten, die auch nach Amerika verkauft wurde. Meist stammte der Entwurf dazu vom fleißigen Dagobert Peche. Als sie die ersten Probearbeiten fertig hatte, erschien sie in der Döblergasse vor Professor Hoffmann. Ihm gefielen die Arbeiten. „Aber ja, das ist doch sehr gut“ lobte er, „Arbeiten Sie doch mit uns“.

Vor allem war sie von da an auch persönlich zu den besonderen „Donnerstagen“ im Kaffeehaus „Kremser“ geladen, in das Stamm-Kaffeehaus gleich neben der Oper am Ring, das damals der Treffpunkt der Freunde rund um Hoffmann war.

Jetzt war Milena mitten unter den Künstlern, deren Namen sie schon lange kannte und deren bloße Nennung sie schon in Verzücken setzte: Herbert Boeckl war da, der damals noch junge Maler des österreichischen Expressionismus; Anton Faistauer, Albert Paris Gütersloh, Franz Elsner, die Professoren von der Akademie am Schillerplatz, darunter bereits Clemens Holzmeister. Maler kamen und besprachen Aufträge mit Hoffmann. Gudrun Saudisch, die hervorragende österreichische Bildhauerin und Keramikerin, war bereits damals eine auffallend begabte Künstlerin. Für die Wiener Werkstätte gestaltete sie neben vielen Ton-, Glas- und Gipsgegenständen auch den Schutzumschlag für das große repräsentative Wiener Werkstätte-Buch zum fünfundzwanzigjährigen Jubiläum im Jahre 1928.

Oskar Kokoschka zählte zum engeren Kreis um Hoffmann. Den großen, knochigen Menschen hielt Milena in den ersten Momenten eher Tür einen Sportler, so wenig „vergeistigt“ erschien er ihr.

Der Maler Franz von Zülow war ebenfalls ein enger Freund Josef Hoffmanns. Hier dazuzugehören war eine Auszeichnung. Die Mädchen wurden allerdings weniger in die Gespräche über Kunst einbezogen. Sie sollten der Blickfang der Runde, die lebenden Visitekarten, die Puppen der Wiener- Werkstätte-Haute Couture sein. Sie mußten einfach blendend aussehen und waren bekannt als die legendären „Wiener-Werkstätte-Katzen“, die Wunderwesen mit phantasievollen Kleidern und mit mal winzigen, mal radgroßen Hüten.

Gänzlich auf den Wolken schwebte Milena aber erst, wenn sie wirklich ein Kleid aus der Werkstätte tragen durfte, was selten vorkam. Doch manchesmal mußten/durften sie für ausländische Abendgäste eines vorführen, als Kaufreiz.

Zusammen mit Hans Böhler, dem Sohn der angesehenen „Stahl-Familie“, die zu den größten Privatkunden der Wiener Werkstätte zählte, war Milena eines Tages in Hoffmanns Wohnung geladen. Hoffmann war damals gerade wieder Junggeselle und lebte in einer Parterrewohnung in der Schleifmühlgasse 3 im 4. Bezirk. Milena freute sich: endlich würde sie eine mustergültige Hoffmarin-Wohnung bewundern,

das Jugendstil-Refugium des verehrten Meisters, das inspirierende Privatissimum des großen Hoffmann sehen! Harmonie - von der Tapete über die grünen Farnpflanzen in selbstentworfenen Übertöpfen, von den goldenen Bilderrahmen bis hin zu den gußeisernen Aschenbechern.

Nichts von alledem. Hoffmann lebte in einer kleinen, mit einer Vitrine voll böhmischer Spitzendeckerl, mit altmodischen Stühlen, mit einem Papierwust auf einem kaum als Hoffmann-Kreation auszunehmenden Schreibtisch angeräumten Wohnung. In der Küche schreckte Milena vor der Galerie ehrwürdiger Biedermeierporträts zurück, die düster und ohne Rahmen über einem Berg schmutzigen Geschirrs hingen. Im Kabinett stand nur ein schlichtes Feldbett. Ein Werkstätten-Pyjama für Damen lag allerdings darauf...

Trotz des ihr völlig fremden Umgangstones wurde die Wiener Werkstätte für Milena dennoch so etwas wie die Werkstätte für ihr Ich. Längst wußte sie, daß die Welt der schönen Stoffe, der prächtigen Tapeten, der erlesenen Teekannen und Lampenschirme, der zierlichen Rauchgarnitu ren und imposanten Anrichten auch ihre Welt war.

In der Zeit von 1919 bis 1921, in der Milena zum ersten Mal dort arbeitete, waren die künstlerischen Initiatoren eindeutig Hoffmann und Peche. Beide waren täglich in den Arbeitsräumen, obwohl Peche viel jünger war als Hoffmann, haben die beiden einander wunderbar ergänzt, sodaß die Mädchen von einem Entwurf oft nicht sagen konnten, von welchem der beiden er nun stammte. Ihr künstlerisches Zusammenwirken war großartig, so verschieden sie äußerlich auch waren.

Hoffmann war nicht sehr groß; und immer tadellos gekleidet. Der elegante Dreiteiler vom besten Schneider, Krawatte und Schuhe immer passend, so als wäre Hoffmann Vorsteher einer Bankniederlassung, -gezeichnet von Arthur Schnitzler. Am charakteristischsten war bis ins hohe Alter seine Frisur. Auf der linken Seite waren die wenig verbliebenen weißen Deckhaare tief gescheitelt, so daß sie in ihrer vollen Länge die Glatze verbergend, von links unten nach rechts unten gekämmt werden konnten. Dennoch standen sie oft unordentlich unter dem Hut hervor.

Dagobert Peche war meist nur „irgendwie“ angezogen. Selten war sein Anzug elegant. Über dem offenen Revers baumelte ein langer Wollschal. Rein äußerlich entsprach Peche jenem Klischee vom schlampigen Künstler, der völlig verknittert herumläuft.

Milena brachte Begeisterung Tür schöne Musik, Literatur und bildende Kunst mit, in der Wiener Werkstätte hat sie aber vor allem eines dazugelernt: Die Eigenverantwortungdes Künstlers. Josef Hoffmann war in seiner Arbeit unkorrumpierbar. Oft haben Leute ihn um einen bestimmten Entwurf gebeten, darunter sichere Geldgeber. Doch er stellte seine absolute künstlerische Freiheit höher und arbeitete auf Dauer nur mit solchen Kollegen und Firmen zusammen, die sich bedingungslos seinen Anweisungen fügten und die sich in allem - Material, Farbe, Muster,- absolut nach seinem Entwurf richteten. Von der Richtigkeit der Ausführung überzeugte er sich immer wieder persönlich.

Dazu muß gesagt sein, daß diese Erlesenheit des Anspruchs von einer Klientel ermöglicht wurde, die es in Wien in diesem Jahrhundert nur vor und kurz nach dem Ersten Weltkrieg gab. Seine Kunden stammten aus den reichsten und vornehmsten Bürgerhäusern, vornehmlich aus jüdischen.

Daß das Kunsthandwerk der klassischen Wiener Werkstätte nach dem Zweiten Weltkrieg nicht wieder aufleben konnte, obwohl Professor Hoffmann noch bis ins hohe Alter von 86 Jahren hier gelebt hat, lag nach Milenas Meinung vor allem daran, daß dieser gewisse Kundenstock vollkommen fehlte. Die Einrichtungsgegenstände der Wiener Werkstätte waren mit ihrem hohen künstlerischen Anspruch, ihrer Individualität und ihrer präzisen händischen Ausführung für die Brieftaschen einer finanziellen Oberschicht ausgelegt, die es nach 1945 nicht mehr gab.

Alle drei Geschäfte mußten schließlich aufgelassen werden. Nach Verlust der Straßenläden blieb Josef Hoffmann von der 1903 gegründeten Werkstätte nur noch ein kleines Büro im ersten Stock eines vornehmen Hauses in der Kärntnerstraße, in dem er bis zur endgültigen Auflösung der Wiener Werkstätte wirkte. Doch 1932 war es damit endgültig vorbei.

Aus dem Manuskript eines Buches von Senta Ziegler, das unter dem Titel „Milena, Gefährtin Güterslohs - Von der Wiener Werkstätte zum Phantastischen Realismus“, im österreichischen Bundesverlag erscheinen wird.

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