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Wie weiter in Afghanistan?

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Nur kurz vor der letzten Runde der Genfer Afghanistan- Gespräche hatte eine Meldung vom Kriegsgeschehen am Hindukusch einige Verwirrung gestiftet. Der „Löwe vom Pandschir“, das Tal hundert Kilometer nordöstlich von Kabul und als die eigentliche Festung des islamischen Widerstandes gegen die sowjetischen Besatzer bekannt, habe mit der Roten Armee einen Waffenstillstand geschlossen, lauteten damals die Meldungen.

Das Erstaunen war groß. Denn Guerillaführer Masoud Ahmed, von dem die Rede war, hatte seit Kriegsbeginn in Afghanistan sieben oder acht kombinierte Land- und Luftangriffe der Russen auf das strategisch wichtige Pand- schir-Tal erfolgreich abgewehrt. Masoud, ein ehemaliger Ingenieurstudent, gelang es aber auch, aus den früher zersplitterten Mu-

jahedins einen in Ansätzen organisierten Kampftrupp zu schmieden.

Wo immer sich die Angriffe der afghanischen und sowjetischen Einheiten gerade konzentrierten, eilte sich der Widerstand gegenseitig zu Hilfe. Grundlage von Masouds Erfolg war nach seinen Angaben eine „Guerilla-Akademie“, an der er fünftausend Streiter ausgebildet haben will. Soll derselbe Masoud, der zum Symbol des afghanischen Widerstandes wurde, plötzlich mit den eigenen Feinden am selben Strick ziehen?

Rückkehrer aus dem afghanischen Kampfgebiet, allen voran ein schwedischer Journalist, der sich im April und Mai sechs Wochen in Ost-Afghanistan und im Pandschir-Tal selber aufhielt, konnten die im pakistanischen Peshawar stationierten Mujahe- din-Führer beschwichtigen. Tatsächlich war der Norden Kabuls, wo die Guerillas sonst in regelmäßigen Abständen ihre Attacken auf die Hauptzufahrtstraße vom

Norden in die Hauptstadt lancierten, in den vergangenen Wochen und gar Monaten auffallend ruhig gewesen.

Dies führte zu den Spekulationen, Kabuls Babrak Karmal-Re- gime habe mit Hilfe der Russen die Region fest unter Kontrolle und gleichzeitig sei auch der Widerstand in der Festung Pandschir erlahmt.

Nach den neuesten Nachrichten, die in Peshawar eintrafen, weiß nun allerdings jedermann dort, daß der Herrscher über die Schluchten von Pandschir so aktiv ist wie nie zuvor. Während ihn die westlichen Medien als „besiegt“ erklärten, gab Masoud seinem Widerstand eine durchwegs neue Struktur:

Pandschir ist seither in mehrere kleine Militärbezirke aufgeteilt, die operationelle Leistungsfähigkeit der Mujahedins, der heiligen Krieger des Islams, ist .durch ihre Organisation in mobile Kommandos, Stoßtruppen und in Felsenhöhlen verlagerte Verteidigungsstellungen eindeutig verbessert worden.

Masoud hat auch die Infrastruktur ausgebaut. Schon früher war er um einen pausenlosen Lebensmitteltransport aus Pakistan besorgt und unterhielt Schulen und Spitäler. Nun mußte er noch den Landdienst neu regeln, nachdem eines der Hauptprobleme des muslimischen Widerstandes die gezielte Vernichtung ihrer Landwirtschaft durch feindliche Bombardierungen darstellt.

Schließlich war es den Mujahe- din in Pandschir, immer nach den Meldungen des schwedischen Besuchers dort, auch noch möglich, den umliegenden Widerstandsgruppen mit Mannschaft auszu helfen. Masoud unterhalte im Moment Kontakt mit 20 der insgesamt 28 afghanischen Provinzen. Persönlich versicherte er dem schwedischen Journalisten, daß die Spannungen zwischen den verschiedenen Mujahedin-Grup- pierungen weitgehend überbrückt seien.

Wenn der „Löwe vom Pandschir“ die Lage des afghanischen Widerstandes möglicherweise eine Spur zu optimistisch zeichnet, so stellt sich doch die Frage, wie er zumindest aus seiner Region Ka-- bul und Moskau fernhalten konnte. Wieso erlaubten ihm das Regime Karmai und der Kreml eine solche Verschnaufpause?

Fest steht, daß sich Kabul an Pandschir schon zu oft die Zähne ausgebissen hat, um leichtfertig zuzuschlagen. Der Guerillakampf im Hochgebirge ist trotz besserer Ausrüstung nicht seine Stärke. Masoud hat zudem jede Provokation vermieden. Er brauchte die militärische Umstrukturierung dringend, denn Artillerie und Luftwaffe haben auch bei seinen Leuten Spuren hinterlassen.

Für die Sowjets war es schließlich wichtig, ihre Konvois ungestört aus den Nachschubstellungen im Süden der Sowjetunion nach Kabul zu bringen. Und zuletzt wohl sind die afghanischen und russischen Militärs mit den Provinzstädten Kandahar und Herat, aber auch mit den Nordprovinzen zu sehr beschäftigt, um für Masoud noch freie Hand zu haben.

Die Annahme aber, die Sowjets hielten das Kampfgeschehen in Westasien aus Rücksicht auf die Genfer Afghanistan-Gespräche auf kleiner Flamme, gehört hingegen wohl eher ins Reich der

Spekulationen. Die dritte Genfer Runde, wiederum inszeniert von den Vereinten Nationen, brachte Mitte Juni Vertreter aus Afghanistan und Pakistan in die Schweizer Konferenzstadt.

Sie saßen nicht an einem Tisch, sondern verhandelten via ihren UN-Briefträger Diego Cordovez. Dessen Kommentar war diesmal bedeutend weniger euphorisch als nach der April-Runde, wo er glaubte, 95 Prozent seines Abkommensentwurfes seien fertig ausgearbeitet. Diesmal wagte er nicht einmal, einen Termin für die Fortsetzung der Gespräche festzulegen.

Kein Wunder: das UN-Papier sieht den Abzug der sowjetischen Truppen in Afghanistan bereits bis Ende 1984 vor. Dafür will Cordovez auch schon die westliche Garantie in der Tasche haben, sich nicht mehr in die inneren Angelegenheiten Afghanistans einzumischen. Auch Pakistan will hier geradestehen. Und bei den 95 Prozent gesicherten Abkommens, für die Cordovez ursprünglich verbürgte, wäre schließlich auch das Versprechen aus Kabul, nach Rückkehr der afghanischen Flüchtlinge eine neue Koalitionsregierung zu erlauben.

Wie gesagt, Ende Juni und nach der letzten Genfer Runde wiederholte Cordovez seinen früheren Optimismus nicht mehr und sagte lediglich persönliche Konsultationen in Moskau, Washington und in-Westasien voraus.

Neben Cordovez UN-Initiative sind aber auch anderweitig Gespräche über die Zukunft in Afghanistan im Gange: man spricht von Kontakten mit dem einstigen afghanischen Ministerpräsidenten Mohammed Yussuf, der in der Bundesrepublik weilt, und auch mit dem kränkelnden König Zahir Shah, der dereinst die ersten Beziehungen zwischen Kabul und Moskau inszenierte und heute in Rom im Exil lebt.

An möglichen Wegen für die Befriedung Afghanistans fehlt es wahrlich nicht. Doch ob Genfer oder sonstige Diplomatie, Afghanistan befindet sich immer noch am Fuße des Hindukusch, das Volk, das dort lebt und für seine Freiheit kämpft, wird das letzte Wort zu seinem Schicksal sagen müssen. Die militärische Aufrüstung von Masouds Pandschir- Guerillas läßt keinen Zweifel daran, daß der afghanische Widerstand auch voll gewillt ist, über seine Zukunft mitzubestimmen.

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