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Wie wird Österreich ein EG-Mitglied?

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In Anbetracht der großen Sachfragen, die in der Perspektive einer österreichischen EG-Mitgliedschaft zu lösen sind, ist vielfach der prozedurale Aspekt des Beitrittsantrags in den Hintergrund des Bewußtseins gerückt. Dabei verdient gerade das komplizierte Beitrittsverfahren in der politischen und juristischen Wirklichkeit Aufmerksamkeit.

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In Anbetracht der großen Sachfragen, die in der Perspektive einer österreichischen EG-Mitgliedschaft zu lösen sind, ist vielfach der prozedurale Aspekt des Beitrittsantrags in den Hintergrund des Bewußtseins gerückt. Dabei verdient gerade das komplizierte Beitrittsverfahren in der politischen und juristischen Wirklichkeit Aufmerksamkeit.

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Das Bemühen um Klarheit über die wesentlichen Etappen, die Österreich auf dem Weg nach Brüssel zu durchschreiten hat, wird gelinde gesagt durch die kurzfristigen Entwicklungen beim Abschluß des Vertrags über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) und durch die längerfristigen Aussichten einer Europäischen Union (EU) aufgrund der Maastrichter EG-Beschlüsse vom 11. Dezember 1991 nicht eben erleichtert. So erscheint es nützlich, das Verfahren in Erinnerung zu rufen, welches im Hinblick auf die österreichische Bewerbung für Wien und Brüssel maßgeblich ist.

Ohne Zweifel stellt der Antrag vom 17. Juli 1989 auf Aufnahme Österreichs in die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS), und die Europäische Atomgemeinschaft (EURATOM) die richtungsweisende Wegmarke dar. Der an den Präsidenten des Rates der EG gerichtete, häufig als „Brief nach Brüssel" bezeichnete österreichische Beitrittsantrag wurde vom Rat der EG-Kommission mit dem Auftrag übermittelt, hiezu ein Gutachten zu erstellen. Nach einer zwei Jahre dauernden Prüfung sprach sich die Kommission am 31. Juli 1991 im sogenannten „Avis" für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Österreich ab 1993 aus. Es obliegt dem Rat der EG, der Kommission ein Mandat über diese Beitrittsverhandlungen zu erteilen. In formaler Hinsicht stellt sich das Beitrittsabkommen als völkerrechtlicher Vertrag zwischen Österreich und den Mitgliedstaaten der EG dar. Das Abkommen hat die Aufnahmebedingungen und die erforderlichen Anpassungen der EG-Verträge zu regeln. Seitens der EG bedarf das Beitrittsabkommen für sein Inkrafttreten eines einstimmigen Beschlusses des EG-Rates und der Genehmigung durch das Europäische Parlament. Zusätzlich ist das Abkommen durch alle zwölf EG-Mitgliedstaaten jeweils nach deren verfassungsmäßigen Verfahren zu ratifizieren. In Österreich unterliegt der EG-Beitritt dem Vertragsab schlußverfahren nach der Bundesverfassung.

Dies bedeutet, daß es für die Beitrittsverhandlungen und für die Unterzeichnung des Beitrittsabkommens eines Beschlusses der Bundesregierung und einer Vollmacht durch den Bundespräsidenten bedarf. Nach erfolgter Unterzeichnung ist das Abkommen vom Nationalrat zu genehmigen und der Bundesrat muß ihm zustimmen. In beiden gesetzgebenden Körperschaften liegt für ein Zustandekommen der betreffenden Beschlüsse das Erfordernis einer Zweidrittelmehrheit vor. Da der Beitrittsvertrag seinem Inhalt nach wesentliche Prinzipien der Bundesverfassung berührt, wird er einer Volksabstimmung zu unterziehen sein. Wenn das Bundesvolk dem österreichischen EG-Beitritt zustimmt, steht einem Abschluß des Abkommens durch den Bundespräsidenten in Form der Ratifikation nichts mehr im Wege. Synchron mit dem Beitritt zur EG hat Österreich rechtliche Schritte zu setzen, um ein Ende seiner EFTA-Mit-gliedschaft herbeiführen. Dies hat durch Kündigung des EFTA-Vertrags zu geschehen. Überdies wird das von Österreich 1972 mit der EWG und der EGKS abgeschlossene Freihandelsabkommen zu kündigen sein.

„Gehschule" EWR-Vertrag

Es ist nicht ausgeschlossen, daß das beschriebene Beitrittsverfahren zeitlich noch nicht abgeschlossen ist, wenn der Vertrag über die Europäische Union bereits in Kraft stehen wird. Dieser Vertrag mit seinen weitreichenden Bestimmungen über eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EG und über die Schaffung einer gemeinsamen Wirtschafts- und Währungsunion hebt den Prozeß der europäischen Integration auf eine neue Stufe und ändert den EWG-Gründungsvertrag.

Österreich wird somit gegebenenfalls dem Vertrag über die Europäische Union und nicht mehr wie vorgesehen den drei Gründungsverträgen der EG beizutreten haben, ein Umstand, welcher in der öffentlichen Diskussion noch wenig Beachtung gefunden hat. In formaler Hinsicht wäre das Beitrittsverfahren in bezug auf die Europäische Union weitgehend mit dem weiter oben dargestellten Prozedere vergleichbar.

Es würde zu weit führen, im Rahmen dieses Beitrags auch den am 2. Mai 1992 von Österreich mitunterzeichneten Vertrag über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) näher darzustellen. Nur soviel sei in formaler Hinsicht gesagt, daß dem EWR-Vertrag, der Österreichs volle Teilnahme am Europäischen Binnenmarkt der EG ermöglicht, als Vertragsparteien die EFTA-Staaten, die EWG, die EGKS sowie die EG-Mitgliedstaaten angehören werden. Damit der EWR-Vertrag in Kraft treten kann, muß er von allen Vertragsparteien ratifiziert oder nach deren jeweiligen verfassungsrechtlichen Verfahren genehmigt werden. In Österreich wird der EWR-Vertrag nach der parlamentarischen Genehmigung vom Bundespräsidenten zu ratifizieren sein.

Eine Volksabstimmung ist nach Auffassung der Bundesregierung für den Abschluß des EWR-Vertrags nicht erforderlich. Das heißt freilich nicht, daß die Auswirkungen des EWR-Vertrags für die innerstaatliche Rechtsordnung unbeträchtlich wären. Österreich ist nämlich durch den EWR-Vertrag dazu verhalten, den für den Europäischen Wirtschaftsraum maßgeblichen Rechtsbestand - das sind 1.700 Rechtsakte der EG - in die österreichische Rechtsordnung einzufügen. Diese Verpflichtung wird die Anpassung von über 140 Bundesgesetzen, 140 Verordnungen und rund 70 Landesgesetzen nach sich ziehen.

Nicht unzutreffend wurde der Verhandlungsprozeß rund um den EWR-Vertrag als Gehschule für Österreichs EG-Beitrittsbemühungen beschrieben. Es erweist sich, daß die Aufgabe, Österreich als vollberechtigtes Mitglied in die Familie der EG-Staaten hineinzuführen, nicht nur für die Ökonomen, sondern auch für die Juristen unseres Landes eine gewaltige Herausforderung darstellt.

Der Autor ist stellvertretender Leiter des Völkerrechtsbüros im Außenministerium.

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