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Wieder einmal großes Theater

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Etwas über drei Stunden dauert der erste Teil des Dramas „Heinrich IV.". Nun, ich spreche äußerst mangelhaft englisch, aber die drei Stunden verflogen wie im Zeitraffer. In - so wie gestern bei „Was ihr wollt" - schlichten, aber unendlich eindrucksvollen Bühnenbildern wird fabelhaftes Theater gespielt - so gespielt, daß ich vermute, daß wir auf unseren Bühnen im deutschsprachigen Raum da nicht mitkommen, das nie erreichen werden. Bei aller Präzision, bei aller Leichtigkeit merkt man die Schwerarbeit, auf der die Inszenierung von Adrian Noble basiert. Kampfszenen von atemberaubender Echtheit (auch Blut darf fließen!), passendes Pathos und umwerfende Komik zeichnen diese Vorstellung aus.

Vielleicht wird der eine oder andere Klugscheißer seine zu hoch getragene Nase darüber rümpfen, daß die Schauspieler in Kostümen der Zeit auftreten, also weder der König in einem Frack noch der junge Percy in SS-Uniform auftritt, ja, der Prince of Wales sogar in der Kaschemme (ganz in Rot gehalten) nicht im Ruderleiberl herumrennt. Die Texte werden mit aller Deutlichkeit und voller Modulation gesprochen, die „Arien" ins Publikum gefeuert. Ein Abend großen Theaters, und was mich so fasziniert - hier werden von denselben Schauspielern (die merkbar die Hauptmenschen in diese Companie sind) große „altmodische" und fröhliche „kleinere" Inszenierungen gespielt.

Ausschließlichkeit nicht gefragt

Modernes Theater lebt neben (nicht statt) altem Stil. Beides wird gepflegt, so wie das vernünftige Menschen auch für unsere Bühnen seit Jahren verlangen, allerdings vergeblich, weil Regisseure nicht wahrhaben wollen, was das Publikum wünscht, sondern nur sich selber in Szene setzen und den Bühnenbildner höher einschätzen als die, wegen dererman ins Theatergeht. Wenn man auch schon in Wien in den letzten Jahren manche Ähnlichkeit mit dem hiesigen Theater gesehen hat, so sagt das bestimmt nicht viel über den Ideenreichtum unserer Zuchtmeister aus, sondern eher etwas über ihre Reisefreudigkeit und ihr Talent zu sehen, sich etwas zu merken und es dann einzubauen. Was ja nix Böses ist.

Übrigens ist da eine Schauspielerin im Ensemble, die nicht zu den Beau-ties dieses Berufes gehört, nur - einfach großartig ist. Wie sagte Farkas, dem zu allem etwas einfiel? „Wenn man sehr sehr gut ist, darf man auch sehr sehr schiach sein." Auf den Bühnen der neuen Theatererfinder allerdings genügt es, nur schiach zu sein. Die Zeit der gut aussehenden Menschen auf der Bühne ist (für eine Weile) vorüber. Eine Judith Holzmeister, ein O. W. Fischer, ein Ewald Baiser oder Fred Liewehr ist heute nirgends mehr zu finden. Bei uns dominiert der verkniffene Typ, der des Ausgemergelten, des kleinwüchsigen Nervenschackels und des körperlich Benachteiligten, der nun auf der Bühne seine Minderwertigkeitskomplexe abreagiert. Wenn ein Michael Heitau, ein Karl Heinz Hackl oder ein Helmut Lohner auftreten, geht ein Raunen der Erleichterung durch die Zuschauerreihen. Jedes Land hat die Politiker die es verdient, aber auch die Mimen, die ihm zukommen. So wie die einen (besonders einer) kaltschnäuzig und demagogisch handeln, so agieren die anderen mit einer staunenswerte Selbstverständlichkeit und sonnen sich im Glanz glitzernden Talmis.

Man muß - wie gesagt - weit reisen, um noch anderes Theater zu finden. In Paris fängt es an, besser zu werden und in London oder Stratford ist man am Ziel seiner Wünsche. Großes wird geboten ohne großsprecherisch zu sein, bescheiden mutet die Selbstverständlichkeit an, mit der auch hier Kunst vermarktet wird. Da muß kein Fähnchen vom Dach wehen, um dem Zuschauer kundzutun, daß hier gutes, ehrliches Theater ohne Schicki-Mik-ky-Kasperliaden gemacht wird. Das Publikum findet das Haus auch so, denn wahre, edle, ehrliche und große Bühnenkunst hat eine Ausstrahlung, die als Wegweiser empfunden wird. Magnetisch nahezu.

Ich danke den englischen Kollegen für zwei schöne Abende und gestehe: ich bin ein bissl neidisch, weil wir das nicht mehr haben.

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