7212464-1992_36_10.jpg
Digital In Arbeit

Wieder einmal Salzburg, etwas hymnisch

19451960198020002020

Der Sommer war sehr groß, Töne und Bilder flattern übers Land, Gott liebt die Welt: Zeit, die „schöne Stadt" aufzusuchen.

19451960198020002020

Der Sommer war sehr groß, Töne und Bilder flattern übers Land, Gott liebt die Welt: Zeit, die „schöne Stadt" aufzusuchen.

Werbung
Werbung
Werbung

Manchmal umfängt es uns, daß wir dahinschlendern wie im Traum. Wir wissen nicht, wo wir sind, und haben vergessen, wer wir sind. Kaum das eine ist klar, daß wir auf Erden wandeln. Neben der Welt, die wir kennen, wohnt eine andere, in die nur ein Teil von uns eingeht. Alles andere ist versunken, fern; Bild geworden. So erging es einem Reisenden, der an einer glattgeformten Passage entlang schritt: Er war in der Zeitlosigkeit. Und da geschah es, daß er den Kopf wie überrascht hob und wieder senkte und sich in seinem Nebensinn fragte: Was ist? Nirgends ein Klang von Tönen? Wie kam es, daß sie ihm fehlten? Aus seinem Traum auffahrend, wurde ihm klar, weshalb er allerorten Glockenlaute glaubte vernehmen zu müssen. Sie gehörten zu dieser Stadt, die voll Musik war. „Hoch im Blau sind Orgelklänge...", hatte einst Georg Trakl von ihr gesungen. Salzburg.

Gibt es nicht andere Städte, von denen Ähnliches mit gleichem Recht behauptet werden dürfte? Mildere, stärkere, süßere Städte? Wer das fragt, der hat Salzburg nicht gesehen, wie man es sehen muß: tiefsilbern, verschleiert; tränennaß und doch froh; und an schönen Tagen im klaren Licht der Sonne. Morgenfrisch und himmelblau, die herrlichen Bauten reingewaschen und lachend. Schöner kann nur eines sein: die Stadt am Abend. Wasser von unten, aus dem sie stieg, und Wasser von oben, das sie in immer neuer Reinheit erblühen läßt, feuchte Stürme und reisende Nebel - sie alle scheinen nur dazu da zu sein, um abends, wo sich gewöhnlich die Luft beruhigt, den Deckel über eine unendliche Kostbarkeit zu öffnen: der Stille, der Abendstadt.

Ein sanftes Ave liegt über ihr. Der Abschiede sind viele, die sie birgt. So sehr sie Stadt ist, so sehr ist auch das Land in ihr spürbar. Ein Diadem blitzender Kirchtürme krönt die durchsichtig-blasse Stirn, und aus blanken Augen sieht ein Elfenwesen in den Himmel. Viele Geschicke wohnen hier, die Jahrhunderte angesammelt haben. Dort oben schimmert der Felsenleib der gedankenvollen Burg -was ist es, das uns diesen drohenden Anblick so vertraut macht? Die Festung ist dem Krieg gebaut worden, was kann daran anheimeln? Keine Romantik, die wir mit dem Ritterle-

ben verbinden, kann den Vorwand bilden. Dennoch: diese Unerschütterlichkeit, dieses Geborgensein! Maß und Sicherheit. Auch die alten Bauernhäuser auf dem Lande draußen haben den gleichen Grundton, diesen ruhevollen Paß. Und hundertfach tönt er aus der Stimme der Festung, dem „Stier" - einem gewaltigen Orgelwerk.

Der Duft des Südens

Das Wunderbare an Salzburg: daß hier ein Stück träumerischen Südens aus der Umgebung von Pinien und Zypressen herausgehoben worden ist,

um in die Mitte von Bergen und Tannen versetzt zu werden; der Kelterduft südlicher Architektur ward in das Schneearoma des Nordens eingebettet. Nur wer Venedig gesehen hat, kennt Salzburg - aber er hat hier eine Stadt, die nicht von Stein und Metall klirrt wie jene, sondern schwarze, weiche Erde durchspüren läßt, an der ihre Wurzeln saugen.

Vielleicht liegt es an der Polarität zwischen Bürgern und Herrschaft, daß die Bewohner der Stadt auch heute noch wenig von dem lateinischen Zuschnitt der Bauten in ihrem Wesen erkennen lassen. Auf eigene Interessen beschränkt, haben sie auch ihre großen Söhne nicht an sich zu binden gewußt, die Großen in der Kunst wie Mozart, Makart, Trakl - sie alle sind fortgegangen und finden erst heute wieder geistigenEinlaßin ihre Vaterstadt.

Sie sind, wenn man so will, das Gegenspiel zum verlorenen Sohn, sie konnten nicht in die geöffneten Arme des Vaterhauses zurückkehren, sie waren auch keine Verschwender am mitgegebenen Gut, sondern Mehrer und Bewahrer. Es sind wohl mehr gefundene Söhne, deren sich Salzburg heute erinnert, wo sie die Welt aufgenommen und in ihrer Größe erkannt hat.

Auch das ist sonderbar: daß diese herrliche Stadt ihrer eigenen Schönheit kaum bewußt wird. Denen, die dazu beigetragen haben, war das Leben hier ein kurzer Traum: die Fischer von Erlach und einen Michael Pacher hat es so wenig gehalten wie jenes Dreigestirn, das hier aufgestiegen ist.

Erst in neuerer Zeit folgt die Stadt getreuer ihrer Verpflichtung. Es mag sich darin, daß sie diese einst vernachlässigt hat, ein durchaus österreichischer Zug offenbaren, dem die Heimatliebe der Betroffenen das Gegengewicht gibt. Mozart schlug ein Angebot mit hohem Gehalt nach Berlin, während er in Wien einen Hungerlohn erhielt, mit den Worten aus: „Wie kann ich meinen guten Kaiser verlassen?" Er tat es nicht, dafür verließ ihn dann Joseph IL, ohne seine Zusicherung eingelöst zu haben.

Eine Stadt des Abendlandes

Dergleichen hat die Stadt nicht nötig. Sie mag den modernen Bedürfnissen nachkommen, seine Aufgabe bleibt vorweg eine bewahrende. Es ist nicht nur eine Abendstadt, es ist auch eine Stadt des Abendlandes, der die Hast ihrer jüngeren Schwestern das Haar verwirrt. Ihr Glanz ist die Weisheit. Aber deren österreichischer Spielart: Nicht dunkle, sondern heitere Serenität. Den Inbegriff davon hat uns wieder Mozart geschenkt; in seinen Tongedichten, mit seinem Wort: Obwohl Stunde um Stunde der Tatsache des Todes bewußt, sei er doch immer von Herzen fröhlich.

Er hat damit etwas sehr Christliches ausgesprochen: die Einsicht, daß das Leben ein Traum ist, aus dem uns der gütige Todesengel mit schlanken Fingern zu schönerem Morgen erweckt. Salzburg möchte uns solche Lebensfreude ins Herz rufen, hier, wo auch der Ernst von mozartischen Weisen getragen wird: „Hoch im Blau sind Orgelklänge."

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung