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Wieder Habende und Habenichtse

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War 1973 ein Jahr der UNO?

Diese Frage wird von Fürsprechern und Kritikern unterschiedlich beantwortet. Übereinstimmung besteht jedoch darüber, daß sich die Weltorganisation im Krisenmanagement des Nahostkonfliktes bewährt hat. Als es darum ging, die noch nach dem offiziellen „Schlußpfiff“ weiterkämpfenden Einheiten zu trennen und die Feuereinstellung zu untermauern, gelang es Generalsekretär Waldheim innerhalb kürzester Zeit, 1000 Mann UNO-Truppen aus Zypern an die Suezfront zu werfen und damit einen Cordon Sani-taire zwischen die noch wenige Stunden vorher kämpfenden Armeen zu ziehen. Das ist eine bedeutende organisatorische Leistung, die wohl von langer Hand vorbereitet war und Weitblick erfordert hat.

Die UNO kann für sich auch buchen, daß der Waffenstillstand im Nahen Osten eine gewisse weltkonstitutionelle Basis gefunden hat, als der Sicherheitsrat eine von Amerikanern und Sowjets präsentierte Resolution sohneil ratifizierte und dadurch den Waffenstillstand aus dem Bereich der Großmachtpolitik auf eine breitere Ebene transferierte. Hier trat jedoch bereits der „Notariatscharakter“ der Weltorganisation in den Vordergrund. Denn trotz britischer und französischer Einwände gegen Teile dieser Resolution — und sowohl Großbritannien als auch Frankreich haben gewisse Erfahrungen und auch Interessen im Nahen Osten — signierte und siegelte der Sicherheitsrat diese Resolution, die von den Schutzmächten USA und Sowjetunion für ihre Klienten vorgelegt worden war.

Dem militärischen Konflikt war eine langwierige und in ihrer Tendenz einseitige antiisraelische Debatte in der Generalversammlung vorausgegangen. Stolz wird berichtet, daß an dieser Debatte über 200 Staatsmänner aus aller Welt teilgenommen hätten.

Die Debatte hat jedoch nicht nur nichts entschärft, sie hat sogar indirekt die Welt an den Rand eines dritten Weltkrieges gebracht. Sie produzierte nämlich eine eindeutig antiisraelische Resolution, die ein fast automatisches Veto der USA auslösen mußte. Die Unfähigkeit der Weltorganisation, potentielle Krisenherde in machtpolitisch sensitiven Bereichen zu entschärfen, war damit wieder einmal demonstriert. Aus dieser Ausweglosigkeit sah die ägyptische Staatsführung wieder nur einen Ausweg — den militärischen Angriff.

Nach der Feuereinstellung ist das Geschehen wieder in den Bereich der Großmachtdiplomatie zurückgekehrt. Formell wurde zwar eine Friedenskonferenz nach Genf einberufen und der UNO-Generalsekretär mit dem Vorsitz betraut. Die meri-torischen VerhaBdlungen führt jedoch Staatssekretär Kissinger, der zwischen Washington, Kairo und Jerusalem pendelt und hofft, der Genfer Konferenz ein bereits approbiertes Vertragswerk vorlegen zu können, das ein Disengagement der militärischen Fronten als Voraussetzung für weitere Schritte zu einer langfristigen Nahostregelung zum Inhalt haben soll. Kissinger ist jedoch verständig genug, um die Bedeutung der No'tariatsrolle der Vereinten Nationen bei allen zukünftigen Abmachungen zu erkennen und hat diese Erkenntnis auch gegenüber den Israelis durchgesetzt, die über die UNO begreiflicherweise empört sind. Die Welt braucht eben doch irgendeinen formellen Rahmen, um nicht vor sich selbst das Gesicht zu verlieren.

Einen weiteren Notariatsakt vollzogen die Vereinten Nationen 1973 mit der Aufnahme der beiden Deutschland in die Weltorganisation. Dieser Beitritt besiegelte die Teilung Deutschlands und damit Europas. Auch dieser Beitritt ist das Ergebnis eines vorher erzielten Consensus der beiden Großmächte und ein Niederschlag der Detentepolitik Washingtons und Moskaus. Eine solche Lösung ist für die geteilten Vietnam und Korea in Asien noch unvorstellbar, weil dort Rotchina als dritte Weltgroßmacht einen Consensus verhindert. Die kommunistischen Einheiten sind dort noch so aktiv, daß eine Wiedervereinigung nur unter kommunistischer Vorherrschaft möglich zu sein scheint.

Sicherlich würde die UNO an Gewicht gewinnen, wenn sie auch gegen den Wunsch einzelner Großmächte eine Konsolidierungsoffensive in diesem Teil der Welt starten würde. Der Erfolg ist sowieso nicht immer das Kriterium einer Initiative. Statt dessen wird jedoch zur Kosmetik gegriffen. Die Verlegung der Sicherheitsratsdebatte über ein neues Panamas'tatut nach Panama-City ist zwar eine Art symbolischer Geste im Interesse der Kleinstaaten, aber sie hat die Lösung um keinen Schritt weitergebracht. Auch war das schlechte Public-Relations in den USA — einem Land, das ohnehin immer mehr Mentalreserven gegenüber der Weltorganisation entwik-kelt.

Die sozusagen permanenten Streitfragen um die portugiesischen Uberseeprovinzen, um Rhodesien, die Arpatheid in Südafrika und um ein neues Statut für Südwestafrika sind 1973 um keinen Schritt weitergekommen. Die ambitiöse Initiative des Generalsekretärs, durch persönliche Intervention in Pretoria das Problem Südwestafrika weiterzubringen, wurde zuletzt von jenen Mächten, in deren Interesse sie unternommen wurde, torpediert. Man wollte nicht zulassen, daß der gute Wille Südafrikas, auf einer Basis der Vernunft zu verhandeln, sich nachweisen lasse. Man will wohl einen „Sieg“, aber keinen Erfolg am grünen Tisch.

Interessantes Neuland hat die Weltorganisation durch ihre Befas-sung mit Problemen des Meeresbodens betreten. Hier zeigt sich auch wieder, daß eine Politik der kleinen Schritte auf Gebieten, die außerhalb des Spannungsfeldes der Weltpolitik liegen, Erfolg haben kann.

Nun werden in diesem Jahr wohl die Probleme der Energieverknappung an die UNO herangetragen werden. Wieder einmal ist die Welt in „Habende“ -und „Habenichtse“ geteilt. Bloß sind diesmal die Beati possidentes unter den sogenannten Blockfreien zu suchen. Man darf mit Spannung der Politik der arabischen Staaten gegen die nicht ölbesitzen-den Entwicklungsländer entgegensehen, deren Einkommen aus der Entwicklungshilfe durch die exorbitante Preissteigerung der Produzenten mehr als absorbiert wird. Wie soll beispielsweise der Not in Bangladesch oder Indien gesteuert werden, wenn schon die Transport- und Energiekosten alles übersteigen, was bisher an Hilfe geleistet wurde? Wäre es nicht dem Ansehen der UNO förderlich, neben einer Konferenz über Welternährung auch eine über die Weltenergieversorgung einzuberufen? Statt dessen hat wieder Washington die Initiative ergriffen und versucht in Kürze, ölproduzen-ten und -konsumenten an einen Tisch zu bringen, um eine Wirtschaftskrise kolossalen Ausmaßes zu verhindern.

Zusammenfassend kann man also auch 1973 nicht als ein Jahr der UNO bezeichnen. Es hat sich zwar wieder erwiesen, daß die Existenz der Weltorganisation durch ihre Rolle als Ratifikationskanzlei von großer Bedeutung ist und daß ihre Sitzungssäle einem letzten Versuch, Weltkrisen zu verhindern, immer offenstehen müssen. Aber von der UNO echte politische Initiativen zu erwarten, wäre weit gefehlt. Hilf dir selbst, dann hilft dir vielleicht die UNO, ist vielmehr das Motto, das über der jüngsten Phase des Nahostkonfliktes stehen könnte.

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