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Wieder in Berlin: „Entartete Künste-Schau

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„Entartete Kunst*' wurde als Begriff in den dreißiger Jahren von den Nazis geprägt. Damit wurden alle künstlerischen Werke jüdischer Maler, Bildhauer und Komponisten abgestempelt. Bevor diese Kunstwerke aber vernichtet oder ins Ausland verkauft wurden, gab es in Berlin und in anderen deutschen Städten noch eine umfangreiche Ausstellung unter dem Motto „Entartete Kunst", um der Bevölkerung deutlich vor Augen zu führen, wie abwegig diese „undeutsche, dekadente bolsche wi sti sehe, j üdische Kunst" war - wenigstens nach den Richtlinien der damaligen nationalsozialistischen Kulturpolitik.

Heute, mehr als ein halbes Jahrhundert später, findet wieder eine Ausstellung mit dem gleichen Titel in Berlin statt, allerdings mit der Ergänzung: „Das Schicksal der Avantgarde in Nazi-Deutschland". Aus Leihgaben vieler amerikanischer Sammlungen - darunter das „Robert Gore Rif-kind Center for German Expressionist Studies" - und europäischer Museen wurde diese Schau von Stephanie Barron, Kunsthistorikerin und Kuratorin des Los Angeles County Museum of Art (LACM A) zusammengestellt und schon im Vorjahr dem US-Publikum präsentiert.

Wie kamen so viele Kunstwerke dieser Zeit ausgerechnet in amerikanischen Besitz? Es gibt dafür aber eine einfache Erklärung. Am 30. Juni 1939, also kaum zwei Monate vor Beginn des Zweiten Weltkrieges, hatte Göring, der dringend ausländische Devisen für die Aufrüstung brauchte, die Idee, eine gewisse Anzahl der verfemten Kunstwerke bei einer Auktion in Luzern zu versteigern. Viele Interessenten aus Westeuropa und aus den USA kamen zu dieser Auktion.

Die von den amerikanischen Kunstkritikern zur „Besten Ausstellung des Jahres" gewählte Schau interessierte die deutschen Museen kaum. Erst das Deutsche Historische Museum Berlin wagte es, diese politisch brisante Bildersammlung, samt Dokumentation über dieOriginalausstellung von 1937 und über Bücherverbrennungen im Dritten Reich, dem heutigen deutschen Publikum zugänglich zu machen.

In einem der „Einführungsräume" des Alten Museums am Lustgarten, die man durchschreiten muß um zur Kunstausstellung zu gelangen, wird man mit Bildern aus den deutschen KZ's an den Satz Heinrich Heines erinnert: „Wer Bücher verbrennt, verbrennt auch Menschen."

Ein eigener Saal ist der von den Nazis ebenfalls verurteilten Zwölftonmusik gewidmet. Komponisten wie Arnold Schönberg, Alban Berg, Kurt Weill und der jüngst in Kalifornien verstorbene Ernst Krenek wurden als „Musikbolschewisten" für untragbar erklärt.

Dann erst folgen sieben Säle gefüllt mit über hundert Gemälden, siebzig Graphiken und fünf Skulpturen - mehr konnte man von der Originalausstellung aus dem Jahre 1937 nicht aufspüren.

Zu sehen sind bis 31. Mai etwa Max Beckmanns „Kreuzabnahme" (1917), Marc Chagalls „Die Prise" (1911), Emil Noldes „Die Heiligen Drei Könige" (1913), Ernst Barlachs „Das Wiedersehen" (1926), Ernst Ludwig Kirchners „Bauemmahlzeit" (1920), Paul Klees „Sumpflegende" (1919), Karl Schmidt-Rottluffs „Dorflandschaft mit Leuchtturm"(1913), Lyo-nel Feiningers „Teltow II" (1918), Lovis Corinths „Das trojanische Pferd" (1924), Otto Dix' „Mädchenbildnis" (1923), George Grosz' „Straßenbild mit Mond" (1915), Wassily Kandin-skys „Komposition" (1922). Auch Werke des Österreichers Oskar Ko-

koschka („Alter Herr", 1907) sind ausgestellt.

Gewiß ist es höchst interessant, diese umfangreiche Auswahl moderner bildender Kunst betrachten zu können. Wenn aber die Ausstellungsveranstalter damit bezweckten, für Menschen von heute die Nazi-Vergangenheit wieder aufleben zu lassen, dann ist dieses Experiment danebengegangen. Die Verfolgung einer bestimmten Gruppe von Künstlern ist trotz der vielen Bilder und aufklärenden Texte kein Stein des Anstosses für jemanden, der diese Zeit - 1933-1945 -nicht selbst erlebt hat. Die Jugend von heute wird die Fakten lehrreich finden, kann sie aber ebensowenig nachfühlen wie andere Greueltaten aus der Weltgeschichte.

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