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Wiedererwachte Leidenschaften

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Am 30. November 1933 beschloß die Bischofskonferenz den Rückzug der Priester aus allen politischen Amtern. Eine Interpretation des Konkordats vom Juni 1933.

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Am 30. November 1933 beschloß die Bischofskonferenz den Rückzug der Priester aus allen politischen Amtern. Eine Interpretation des Konkordats vom Juni 1933.

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Heute, 60 Jahre danach, wurde wiederum eine Konkordatsdebatte vom Zaun gebrochen. Diese scheint, so der Grazer Kirchenhistoriker und Dekan der Theologischen Fakultät, Maximilian Liebmann im FuRCHE-Gespräch, „altliberalen Bodensatz wieder aufzuwirbeln.” Zugleich räumt Liebmann ein, daß dieser „nur in domestizierter Form aufgewärmt” werde, sodaß „Gelassenheit geboten ist”.

Aber das Verhältnis zwischen Kirche und Staat war auch vor der aktuellen Diskussion nicht immer friktionsfrei. Ab den Maigesetzen des Jahres 1868, die das dreizehn Jahre zuvor geschlossene Konkordat „aushöhlten”, und dessen einseitiger Kündigung durch Österreich 1870, tobte ein Streit um Materien, die Staat und Kirche im gleichen Maße interessierten und berührten. Die Schule war zwar das heißeste Streitobjekt, aber nicht das einzige.

Kirchlich-kulturelle Belange standen damals in „solch leidenschaftlicher Auseinandersetzung”, daß von einem „österreichischen Kulturkampf” gesprochen werden könne, betont Liebmann. Ausgehend von der Überzeugung, „daß Religion Humbug und Opium für das Volk” sei, erscholl sowohl bei den Liberalen als auch beim Austromarxismus die Forderung: Religion habe in der Öffentlichkeit nichts ' zu suchen, denn diese sei Privatsache.

Die Kirche wiederum hielt das ta-ges- und parteipolitische Engagement von Priestern als „unumgänglich notwendig”. Für Liebmann band jedoch der in der Ersten Republik vehement geführte Weltanschauungskampf viele Kräfte der Kirche und beeinträchtigte dadurch ihren Blick für andere wichtige Aufgaben. Der bislang von manchen „völlig zu Unrecht perhorreszierte” Bundeskanzler und Parteiobmann der Christlichsozialen, Prälat Ignaz Seipel, stellte die Maxime auf: Halten der Bastionen. Laut Liebmann war es nach dem Untergang der Monarchie vorerst nicht möglich, die offenen Probleme von Schule und Ehe bis hin zu Vermögensfragen durch ein Konkordat zu lösen. Denn der Papst hatte 1921 das bis dahin geltende Konkordat „für nicht mehr existent” erklärt. Zudem war der damalige Austromarxismus zu keinem

Konkordat bereit, weil ein solches dem Grundsatz „Religion ist Privatsache” diametral widersprochen hätte. Als das Konkordat im Juni 1933 von Bundeskanzler Engelbert Dollfuß geschlossen und per 1. Mai 1934 ratifiziert wurde, war für die Kirche die Notwendigkeit des (parteipolitischen Engagements der Priester weggefallen.

„Friedensschluß” 1960

So beschloß die Bischofskonferenz am 30. November 1933 den Bückzug der Priester aus der Politik; dieser Beschluß wurde 1945 erneuert. Im Konkordat selbst wurde - im Unterschied zu Italien und Hitler-Deutschland - über die politische Betätigung der Priester kein Verdikt ausgesprochen. Nach 1945 war die Gültigkeit dieses Konkordats lange umstritten - die SPÖ prangerte es als „Dollfuß-Konkordat an und bekämpften es wegen der fehlenden Ratifizierung durch ein freigewähltes Parlament. Erst als Außenminister Bruno Kreisky im Juni 1960 gemeinsam mit Ünterrichtsminister Heinrich Drimmel den Vertrag zwischen dem Heiligen Stuhl und der Republik unterzeichnete, war der Schlußpunkt in der Anerkennungsfrage des Konkordates gesetzt. Kirch-. licherseits seien für das friedliche Neben- und Miteinander zwischen Kirche und Staat zwei Persönlichkeiten verantwortlich gewesen, urteilt Liebmann: Papst Johannes XXIII. und Kardinal Franz König.

Für die politischen Nachfahren der Christlich-Sozialen ist das Verhältnis zwischen Kirche und Staat „gegenwärtig im großen und ganzen zufriedenstellend. So lautet zumindest die Analyse von ÖVP-Klubob-mann Heinrich Neisser, der sich befriedigt darüber zeigt, daß auch seitens der SPÖ - Unterrichtsminister Rudolf Schölten - klare Worte gefunden wurden. Die Trennung zwischen Kirche und Staat habe sich in einer „österreichspezifischen Weise” entwickelt. Die Kirche als Autorität werde gehört und der Staat respektiere weitgehend die der Kirche garantierten Freiräume. Die Republik übernehme mit dem Konkordat eine „politische und rechtliche Verpflichtung für eine gewisse Unterstützung der Kirche”. Die gegenwärtige Konkordatsdebatte ist für den ÖVP-Klubobmann „ein Fischen um Stimmen im Meer der Unzufriedenen”. Denn mit einem „gewissen Antiklerikalismus könne man in Österreich immer ganz gut Stimmung” machen.

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