7024261-1989_05_08.jpg
Digital In Arbeit

Wiederkehr der Mystik

Werbung
Werbung
Werbung

X^eine vorübergehende Mode-XX.strömung scheint das im letzten Jahrzehnt erwachte Interesse an der Mystik zu sein, sondern sie entspricht einem tieferUegenden Bedürfnis vieler Menschen. Daß sich auch Modisches und allzu Vordergründiges damit verbinden kann, beweist die zahlreich erschienene Literatur zu diesem Thema, wobei umso wichtiger scheint, das Echte ans Licht zu bringen.

Sich auf die alten Meister„ J)as mystische Dreigestirn: Eckhart,

Tauler, Seuse“, zu besinnen, vermag dabei höchst nützlich zu sein. Wiewohl Walter Nigg in seinem Band einen nicht ganz befriedigenden biographischen Zugang wählt, der die weltlich-soziale Komponente zu wenig berücksichtigt, eröffnet er doch eine wichtige Perspektive und weckt die Lust zur weiteren Beschäftigung mit den genannten Meistern.

Ebenfalls einen Zugang eröffnet Gerhard Wehr in „Die deutsche Mystik“. Weniger überzeugend ist dabei allerdings der Untertitel ,>Iystische Erfahrung und theosophische Weltsicht“. Auch Wehr ist ein Kenner der Materie -von Meister Eckhart über die Niederländer, Martin Luther, Jakob Böhme, Angelus Silesius kommen noch viele weitgehend Unbekannte vor -, aber auch er versteht den

Begriff der Mystik zu eng und bringt so die Welthaftigkeit dieser Gotteserfahrung kaum zur Sprache. Daß aber die lebendige Erfahrung Gottes mit dem praktischen Leben zu tun hat, ist gleich am Höhepunkt der sogenannten deutschen Mystik, in Meister Eckhart, unumstritten.

Eine etwas andere Zielrichtung verfolgt Josef Sudbrack in „Die vergessene Mystik und die Herausforderung des Christentums durch New Age“. Tatsächlich werden ja Eckhart, aber auch Teilhard de Chardin und andere durch die Vertreter des New Age-Denkens in einer nicht mehr vertretbaren Weise in Anspruch genommen. Sudbrack will die Phänomene erhellen und gleichzeitig auseinanderhalten: New Age könne zur Anregung werden, sich erneut auf den Reichtum der christlichen Tradition zu besinnen.

Eine solche christliche Tradition liegt etwa vor in Raimund Llulls „Vom Freunde (dem gläubigen Christen) und vom Geliebten (Gott)“. Uull lebte im 13. Jahrhundert auf Mallorca und in Spanien und legte sein Werk als Hoheslied der Liebe an, in der Vermittlung der islamischen und der christlichen Tradition: Der eine Gott wird im Gläubigen verehrt Raimund Llull wird zu Recht in den letzten Jahren von seiner spirituellen und dialogischen Seite her neu entdeckt.

In diesem Dialog zwischen den Religionen stehen zwei weitere Veröffentlichungen. Der Wiener David Steindl-Rast, Benediktiner in den USA, spricht in seiner „Achtsamkeit des Herzens“ von seinem „Leben in Kontemplation“. Als Christ lehrt und lebt er so, daß auch der Nicht-Gläubige auf die großen Themen mönchischen Lebens aufmerksam werden kann: Gebet, Einsamkeit, Freude, Dank — „Jedes menschliche Wesen ist ein Mystiker“. Auch ihm geht es nicht um Verwischung von Unterschieden, sondern um ein tieferes Verstehen, in dem Unterschiede durch ihren vereinenden Grund relativiert werden.

Fritz Hungerleider beschreibt in seiner „religiösen Autobiographie“ seinen „Weg zur Mystik“: Der langjährige Präsident der österreichischen Buddhistischen Gesellschaft versteht sich selbst ausdrücklich als ,jüdisch-christ-lich-islamisch-buddhistischer Taoist mit hinduistischen Tendenzen“. Auch er will nicht als Eklektizist gelten, wiewohl seine Gabe des Vereinens größer zu sein scheint als die des Unterscheidens. Sein Buch liest sich anregend und spannend — auch das ist eine Qualität, die Schriften ähnlichen Inhalts nicht oft zukommt.

Mit dem fast ungestüm zu nennenden Interesse an Mystik und Mystischem geht auch ein neues Interesse an den oft verkannten Frauengestalten in den Religionen, in der Kirche einher. Alfons Rosenberg etwa stellt ,J5ie Frau als Seherin und Prophetin“ dar. Die Sibyllen der Antike, die Prophetinnen des Alten Testaments, die großen Frauengestalten der Kirche wie Hildegard von Bingen, Katharina von Siena, Jeanne d’Arc und andere kommen zu Wort.

In einer seltsamen Mischung von unkritischer Bewunderung und dem Versuch, diese Frauengestalten in ihrer Aussagekraft für uns heute zu verdeutlichen, liefert der Autor zwar eine Fülle von Wissen, von dem manches der historischen Kritik nicht mehr standhalten kann. Es handelt sich nämlich um eine Neuauflage eines Bandes aus dem Jahr 1960.

Ganz anders ist der Sammelband von Johannes Thiele einzuschätzen - „Mein Herz schmilzt wie Eis am Feuer“ porträtiert die religiöse Frauenbewegung des

Mittelalters. In neunzehn Beiträgen werden bedeutende Frauen des Mittelalters vorgestellt - darunter auch weniger bekannte, die ob ihres Ruhmes nicht wenig zu leiden hatten, wie etwa Margarita Poreta. Von Hildegard von Bingen reicht die Reihe über die großen Mechthilds, Christine und Margareta Ebner, Hadewijch, Birgitta von Schweden, Catarina von Siena bis zu Teresa von Avila.

Mystik wird hier als gesamteuropäisches Phänomen vorgestellt, das mindestens in gleichem Maße von Frauen getragen wurde wie von Männern. Die einzelnen Beiträge stellen diese Frauen mit Kompetenz, hoher Einfühlsamkeit bei gleichzeitig kritischer Distanz dar und vermeiden Anachronismen. Ein wichtiger Beitrag zur aktuellen Frauen- und Mystikforschung.

DAS MYSTISCHE DREIGESTIRN. ECKHART, TAULER.SEUSE. Von Walter Nigg. Artemis-Verlag. Zürich 1988, 205 Seiten. Ln.. öS 310,50.

DIE DEUTSCHE MYSTIK. Von Gerhard Wehr. O. W. Barth-Verlag. Bern 1988.352 Seiten, kart., dS 296,40.

DIE VERGESSENE MYSTIK UND DIE HERAUSFORDERUNG DES CHRISTENTUMS DURCH NEW AGE. Von Josef Sud-braclc. Echter-Verlag. WOrzburg 1988.123 Seiten, kart-öS 115.40.

DAS BbcH VOM FREUNDE UND VOM

GELIEBTEN. Von Ramon UuU. Artemis-Verlag. Zürich 1988.156 Seiten, geb.iöS 26S,20L

DI^ ACHTSAMKEIT DES H£RZE])I& Von David Steindl-Rast. Goldmann-Verlag, München 1988. ISS Seiten^art. öS 187,50.

MEIN WEG ZUR MYStlK. Von FriU Hungerleider. Herder-Verlag. Freiburg 1988. m Seiten, kart.. öS 130,-.

DIE FRAU ALS SEHERIN UND PROPHETIN. Von Alfons Rosenberg. Kösel-Verlas. München 1988.157 Seiten, seb., öS 232J0.

MEIN HERZ SCHMILZT WIE EISAM FEUER Herausgegeben von Johannes Thiele. Kreuz-Verlag. Stuttgart 1988. 299 Sntao. kart.,6S2U,S0.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung