Die Wiederkunft Preußens begibt sich in diesem „Preußenjahr 1981“, wie es eindrucksvoll proklamiert wird, auf einer breiten Front, die in Berlin-West in der Großen Preußen- Ausstellung, in Berlin-Ost mit der Wiederaufstellung des Denkmals Friedrichs des Großen unter den Linden ihre unübersehbaren Zeichen setzt.
Vorkämpfer der Wiederkunft Preußens in der Bundesrepublik war der preußische konservative Jude Hans Joachim Schoeps, der sich seinerzeit mit seiner nationalen jüdischen Jugendbewegung um eine Zusammenarbeit der nationalen deutschen Juden mit dem Dritten Reich bemüht hatte.
Schoeps, seit 1951 als Vorkämpfer der „Ehre Preußens“ auftretend, verkündet (so in seinem 1968 in achter Auflage erschienenen Buch „Preußen, Geschichte eines Staates“), daß „sich ein Deutschland ohne Preußen nicht recht lohnt“.
In der Bundesrepublik wie in der DDR sind in jüngster Zeit mehrere neue Bände von Historikern über Preußen erschienen ... Die polnischen Nachbarn haben seit Jahren die DDR als „rotes Preußen“ angesprochen, desgleichen deren konservative Gegner in der Bundesrepublik.
Inzwischen ist offen der Wettstreit, der Konkurrenzkampf entbrannt: in der Bundesrepublik und in der Deutschen Demokratischen Republik sucht man historische Legitimität, Einwurzelung in geschichtlicher Vergangenheit: in Preußen.
Bundespräsident Carstens sprach diese Situation offen bei der 111. Zusammenkunft des Bremer Tabakkollegiums, einem Treffen deutscher Elite, in Berlin am 8. Juni I98Ö an:
„Die Beschäftigung mit der preußischen Geschichte erscheint mir auch deswegen besonders bedeutungsvoll, weil wir feststellen können, daß sich in zunehmendem Maße der andere Deutsche Staat, die DDR, der preußischen Geschichte zuwendet.“
Preußen heute: es geht um Autorität, und es geht um „die preußischen Tugenden“. Sehr bedeutsam wird Preußen ^ls Modell eines modernen Industriestaates herausgestellt: so in der Berliner Preußen-Ausstellung. Der angesehene Industrieführer Jürgen Krachow präsentiert dies in seinem Vortrag („Preußen, ein kritischer Maßstab für unsere Industriegesellschaft“) bei der eben angesprochenen Zusammenkunft: Straffe Führung der Industrie erscheint angesichts der kommenden kritischen Jahre erforderlich - Preußen kann hier als Vorbild ersehen werden.
„Bonn“ erscheint da, in diesen Perspektiven, vielfach als „zu weich“, als „verschlampt“: ihm wird vorgeworfen, was seinerzeit der Donaumonarchie vorgeworfen wurde. Um dies aufzufangen, plädiert der Bonner Wirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff („Rheinischer Merkur, 1981-03-20) eindrucksvoll in einem Aufsatz „Preußische Tugenden“:
„Das Preußenjahr 1981 fällt in eine Zeit, in der die Besinnung auf den besseren Teil gern zitierter preußischer Tugenden nützlich, sogar notwendig sein könnte.“ Und: „Man muß deswegen nicht lauthals nach preußischem Stil und dem Lob seiner Kargheit ru
fen, das schon in den Glanzzeiten dieses Staates ja keineswegs für alle galt.“ Aber:
„Die Erinnerung an die besseren Seiten des Preußentums kann helfen, auch die Probleme von heute in einem politischen und gesellschaftlichen Umfeld zu lösen, das von Preußen weit entfernt ist.“
Kritisch befragt Rudolf von Thadden, 1932 in Trieglaff in Pommern geboren, Professor für mittlere und neuere Geschichte in Göttigen, die heutige Preußen-Renaissance, die immer wieder bei den „preußischen Tugenden“ ansetzt.
Thaden: „In diesem Sinne wird es wichtig sein, mehr nach der historischen Realität Preußens als nach ihren Abziehbildern zu fragen. Wenn die gegenwärtige Preußen-Diskussion ihren Schwerpunkt in der Reflexion sogenannter preußischer Tugenden finden sollte, dann hätte sie ihren Sinn verfehlt. Denn diese Tugenden der Sparsamkeit, Ordnungsliebe, Dienstbereitschaft usw. sind immer nur in einem bestimmten wirtschaftlichen und politischen Kontext zu sehen, können sich also, von diesem losgelöst, durchaus auch einmal in Untugenden verkehren; im übrigen finden sie sich keineswegs nur in Preußen ..
Nun: Preußen soll nicht den Rechts-Rechten, den Reaktionären, überlassen werden. In diesem Sinne berufen gerade Sozialdemokraten sich auf ihr Preußen:
Es waren Sozialdemokraten wie Paul Hirsch und Otto Braun, die gegen die Auflösung des Staates Preußen ab 1918, für eine Stärkung des Staates Preußen gekämpft hatten und diesen preußischen Staat unter ihrer Führung bis 1933 behauptet hatten: als eine Insel der Demokratie in Deutschland.
Für Österreicher ist das Preußen- Jahr 1981 nicht zuletzt in diesem Bezug zu beachten: als ein Parallelphänomen zu Ansätzen österreichischer Berufungen auf Österreichs glorreiche, schmerzliche und belastete Vergangenheit. In diesem Sinne ruft Berlin auch Wien, fordert es zur Selbstbe- " sinnung auf.