7030822-1989_29_16.jpg
Digital In Arbeit

Wien - eine Liebeserklärung

Werbung
Werbung
Werbung

Adabei nennen die Wiener einen Menschen, der immer und überall „auch dabei" sein möchte. An derartigen lautmalenden, sprachbildenden und wortschöpfenden Wendungen ist die WienerUmgangssprache reich; hier lebt sie bis auf den heutigen Tag aus der Fülle barocker Freude am Klang.

Nahe Verwandte des Adabeis sind die Gschaftelhuber und der Schnittling auf allen Suppen; eine gefährliche Abart ist der Naderer, eine versöhnliche Variante dagegen der Beschwichtigungshofrat.

Der Adabei ist ein Wiener Phänomen, das dank Anpassung alle gesellschaftlichen Veränderungen überstanden hat. Er ist von V inzenz Chiavacci seinerzeit in die Literatur der Wiener Lokalskizze eingeführt worden, war in der a lten „Kronenzeitung“ eine Witzf igur, die als einer der Vorläufer des heutigen comic Strips gilt, und feierte in der neuen „Kronenzeitung“ als überall und immer auch dabei seiender Gesellschaftskolumnist fröhliche Urständ. >

Beisei ist ein hebräisches Wort, das „Haus“ bedeutet. „Es gab “, so berichtet Ignaz Castelli in seinen Memoiren, „in den Vorstädten kleine, unbedeutende Wirtshäuser, von der gemeinen Klasse ‘Beiseln benannt, wo der Wirt hübsche und kecke Mädchen hielt und wo täglich des Abends zwei oder drei Musikanten Tänze aufspielten. Zu speisen bekam man in diesen Kneipen nur sehr wenig: Würste, Käse, allenfalls noch Schweinefleisch. Auch Wein wurde nicht geschenkt, nur Bier. Bei Tage standen die Mädchen, die meisten üppig gestaltet, vor der Tür der Kneipe, um vorübergehende Männer durch die ihnen zu Gebote stehenden Künste anzulocken, abends das Gasthaus zu besuchen, denn bei

Tage litt ihnen der Wirt keine Besuche. „Man kann sich nichts Appetitlicheres denken als den Anzug eines solchen Mädchens“, fährt Castelli, den man nicht umsonst den „Professor der Frivolitätswissenschaft“ nannte, fort. „Sie trugen schneeweiße feine Strümpfe und rosenfarbige oder hellblaue Schuhe, ein Röck- chen von weißem Barchent, oft auch von farbigem Seidenstoff, welches so kurz war, daß man die bunten Strumpfbänder unter dem Knie noch erblicken konnte, ein enganliegendes Korsettchen, meistens schwarz, welches die Arme bis oben bloß ließ, und rückwärts eine Art vonBüschelchen, genannt Schößerl, emporstreckte und dazu ein kleines seidenes Busentüchlein, welches seinen Inhalt nur halb verdeckte.“

So war es anno 1800 in Wien, doch seither hat sich viel geändert. Heute, da es immer mehr Fremde und immer weniger Kellner in Wien gibt, ist das längst ehrbar gewordene Beisei der letzte Zufluchtsort jener Wiener, die gut, gemütlich und „ohne Pflanz“ essen wollen. Im idealen Beisei steht die Wirtin in der Küche und der Wirt hinter der Schank; als persönliche Garanten der Qualität von Küche und Keller. Die äußeren Merkmale eines Beisels sind zumeist eine schwarze Holztafel vor der Tür, auf der die Speisen mit Kreide angeschrieben sind, das Schild eines Sparvereines im Fenster und eine handgeschriebene Speisenkarte.

Das Hauptproblem eines Beisels besteht darin, ein Beisei zu bleiben. Hat es nämlich einmal, dank seiner Qualitäten, Fremde aller Art angelockt, läuft es Gefahr, seine spezifische, den Stammgästen vorbehaltene Atmosphäre zu verlieren und ein Restaurant wie jedes andere zu werden. Und während man - mit all der Ambivalenz, die der Wiener Sprache innewohnt - recht schnell von einem schlechten Restaurant sagt, „das is’ a recht’s Beisei“, heimst selbst ein gutes Restaurant höchst selten das Lot> ein, „das is a echt’s Beisei…“

AUK WO SELBST DIE ENGEL URLAUB MA- CHEN. Wien, Geschichtsbrevier einer Stadt Von Gottfried Heindl. Neff-Brevier, Wien 1989, 316 Seiten.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung