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Wien soll helfen

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Noch schweigt das offizielle Ungarn, noch wissen es die wenigsten Budapester: in ihrer Stadt halten sich mindestens 500 rumänische Staatsbürger illegal auf. Und von Tag zu Tag werden es mehr.

In der Mehrzahl sind die Flüchtlinge Angehörige der zwei Millionen Menschen zählenden ungarischen Minderheit Siebenbürgens. Doch nicht nur sie kommen aus Unzufriedenheit mit der wirtschaftlichen Situation im Reiche Nicolae Ceausescus und aus Wut über die Zwangsassimilierung, der sie unter dem roten Monarchen ausgesetzt sind. Zunehmend finden sich unter den Enttäuschten auch Rumänen ohne ungarische Sprachkenntnisse, die aus Jänos Kädärs „Gulaschkommunismus” mehr Hoffnung schöpfen als an Ceausescus bizarrem Personenkult.

Einige reisen als brave Touristen ein und schauen einfach zu, wie ihr Besuchervisum abläuft, andere überqueren ohne Papiere die grüne Grenze und nehmen die Gefahr auf sich, im Kugelhagel rumänischer Soldaten zu verbluten.

Unter den Flüchtlingen sind einerseits Arbeiter, die kein Wort ungarisch beherrschen, andererseits bekannte Schriftsteller, die, beider Sprachen mächtig, rumänischen Staats- und Parteiherren keine Huldigungsgedichte schenken wollen und daher mit Berufsverbot belegt wurden.

Da fliehen verzweifelte Mütter mit ihren Kindern, weil sie für ihre Sprößlinge keine Zukunft sehen in einem Land, in dem Grundnahrungsmittel rationiert sind und vor leeren Geschäften lange Käuferschlangen stehen - Bilder, die man selbst in anderen osteuropäischen Staaten nur aus den Nachkriegs jahren kennt.

Und da stößt man auf den Fall eines Vaters, dessen neunjährige Tochter an Nierenkrebs erkrankte. In Rumänien gaben die Ärzte dem Kind nicht einmal Penizillin, um seine Schmerzen zu lindern, nun ringen ungarische Kollegen um das Leben der Todkranken.

Mit getürkten Papieren befindet sich das Mädchen seit drei Monaten in einem Budapester Krankenaus. Doch dort kann es nicht länger bleiben. Die Behörden sind gezwungen, den Vater und das Kind rumänischen Dienststellen zu übergeben. Denn zwischen beiden befreundeten Bruderstaaten besteht ein Auslieferungsrecht. Es wäre undenkbar, gäbe Budapest Flüchtlingen aus dem eigenen sozialistischen Lager Asyl.

Nur Wien könnte helfen, meinen viele Flüchtlinge. Doch mit der österreichischen Botschaft in Budapest habe man schlechte Erfahrungen gemacht. Man wisse ja nicht, ob sie Spione, Verbrecher oder orthodoxe Marxisten seien, bekommen die Verzweifelten zu hören.

Vom humanistischen Standpunkt aus sei dies zu verurteilen, meint der Budapester Philosoph und Publizist Attila Ara-Kovacs, der einst selbst von Ceausescus Sicherheitskräften wegen

„staatsfeindlicher Tätigkeit” aus Rumänien vertrieben wurde. Er erkennt jedoch die Problematik für Wien an und legt Zahlen aus seinem neuesten Buchmanuskript vor, das sich mit den Ungarn in Siebenbürgen beschäftigt.

Danach flüchteten seit Kriegsende immer wieder rumänische Staatsbürger über Ungarn in den Westen. Der Hauptflüchtlings- r ström setzte jedoch Anfang 1986 ein, als die Menschen auf Ceausescus Anordnung monatelang bei Zimmertemperaturen von zwölf Grad ausharren mußten und es an Lebensmitteln wie seit Kriegsende nicht mehr haperte.

16.000 Flüchtlinge kamen nach Ara-Kovacs bis Ende Oktober des gleichen Jahres nach Wien. Dann habe Österreich seine Ostgrenze für Rumänenflüchtlinge geschlossen (siehe FURCHE 41/ 1986) - unbegründet, wie Ara-Kovacs meint. Denn kaum jemand sei geblieben. Viele tausend seien nach Ubersee gegangen. Und 6.000 sind nach Ungarn zurückgekehrt. Da sie jetzt von Wien aus einreisten, habe Budapest diese Flüchtlinge einbürgern können und sie nicht an den rumänischen Bruderstaat ausliefern müssen.

Die österreichische Botschaft in Budapest bestätigt, daß tatsächlich viele Rumänenflüchtlinge um Hilfe bitten. „Ob die Flüchtlinge ausreisen dürren, das entscheidet aber Wien”, so ein Botschaftsangehöriger zur FURCHE. Generell behandle man die Leute aus Rumänien sehr höflich. Es könne aber vorkommen, daß manchmal „menschliches Versagen” zu den „schlechten Erfahrungen” der Rumänenflüchtlinge führe.

In der österreichischen Botschaft ist man offensichtlich bemüht, die Hilfesuchenden nicht nur abzuwimmeln. Daß Hilfestellung aber mittlerweile zum Problem wurde, zeigt die Tatsache, daß Zahlenmaterial über die in Budapest lebenden Rumänenflüchtlinge bereits an das österreichische Außenamt weitergeleitet wurde.

Fällen brüsker Behandlung von Rumänenflüchtlingen will die österreichische Botschaft nachgehen. Kritik ist man in der Budapester Benczür utca 16 durchaus anzunehmen bereit.

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