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Wiener Bühnen und das Leichte

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Für den Beginn des Jahres, mit dem bereits die Faschingsveranstaltungen einsetzen, werden von den Bühnen gewohnheitsgemäß Stücke herausgebracht, die den Zuschauer nicht allzusehr in Probleme verstricken, die Auseinandersetzung mit den letzten Fragen des Daseins meiden. Und überhaupt - im deutschen Sprachbe- reich entstehen seit je kaum Lustspiele. Darüber hat man immer schon geklagt.

Weiterhin bieten sich nur „Minna von Barnhelm“ und „Der zerbrochene Krug“ als Meisterwerke der Vergangenheit an. Das Lustspiel „Die Journalisten“ von Gustav Freytag, das in diesem Zusammenhang stets genannt wurde, ist mm doch verblaßt. Alle drei Stücke hat man in der vergangenen und in der gegenwärtigen Saison wieder in Wien gespielt. Ihnen sind nur zwei Lustpsiele eines österreichischen Autors unseres Jahrhunderts hinzuzufügen, „Der Schwierige“ und „Der Unbestechliche“ von Hugo von Hoff- mannsthal. Alle diese Bühnenwerke sind aber im Schaffen ihrer Autoren Einzelstücke.

Es gibt im deutschen Sprachbereich nur einen einzigen Großmeister des heiteren Stücks, er ist ebenfalls Österreicher, Wiener: Johann Nestroy. Kaum ein Monat vergeht, an dem nicht wenigstens eine seiner Possen in der Bundesrepublik neu inszeniert wird. Nun unterscheiden sich die Spielplän’e1*1 der BRD und der Schweiz, was heitere Stücke betrifft, keineswegs grundsätzlich von den Wiener Großbühnen. Doch einen Unterschied gibt es: Die Possen Nestroys werden in Wien gegenüber dem Ausland bevorzugt gespielt, und zwar sowohl im Burgtheater wie im Akademietheater, im Theater in der Josefstadt wie im Volkstheater. Und es versteht sich von selbst, daß die Darstellung des spezifisch Wienerischen bei Nestroy in Wien am besten herauskommt, wenn auch vielleicht manchmal etwas mehr Schärfe zu wünschen wäre. Die Nestroy gemä- ßeste Wirkung erreicht wohl das

Volkstheater. Schon deshalb, weil hier, dem Titel der Bühne durchaus gemäß, Volksstücke überhaupt am besten gespielt werden.

So griff man im Vormonat, in den Vorstellungen für die Wiener Außenbezirke, auf einen Vorläufer Nestroys, auf Philipp Hafner, zurück, mit dem das Wiener Volksstück heiterer Prägung einsetzte. Man gab das Lustspiel „Der Furchtsame“. Einige Jahre vorher war die Posse eines der Wiener Vorstadtdramatiker, Adolf Bäuerle, auf dem Spielplan. Da das Volkstheater am konsequentesten österreichische Autoren auffuhrt, werden auch die Komödien von Hermann Bahr hier öfter als am Burg- oder Akademietheater herausgestellt.

Die Lustspiele Shakespeares hingegen eignen sich besonders für diese beiden staatlichen Bühnen, finden sich aber auch im Spielplan des Theaters in der Josefstadt, sofern sie den „Zimmerklassikern“ zugehören. Diese Bezeichnung stammt von einem der’ beiden „Josefstadt“-Direktoren, von Franz Stoß, und bezieht sich auf Stücke der Meisterdramatiker von früher, die keinen zu großen szenischen Aufwand erfordern.

Das gehobene Boulevardstück, das mitunter auch dichterischer Wirkungen fähig und fast stets heiter profiliert ist, hat die eigentliche Heimstatt im Theater iq der Josefstadt. Hier kommen subtile rkurfg emlieuen des Spiels, die diese Stücke erfordern, besonders gut heraus. Zu den Boulevardautoren gehörte früher vor allem Sacha Guitry, in letzter Zeit Noel Co- ward. Eben jetzt gibt man da den Fünfakter „Zeit des Glücks“ von einem der in den letzten Jahrzehnten erfolgreichsten Boulevardiers, von Marcel Achard. Doch ist dies ein Familiengemälde in Rückblenden über fünf Jahrzehnte hinweg, bei dem es nicht primär um heitere Wirkungen geht. Die Komödien von Andrė Roussin, der nun allerdings zu verstummen scheint, wurden sowohl im Akademfe- theater wie auch in den Kammerspie-

len aufgeführt. Eine Besonderheit erreicht Wien in der Wiedergabe der Komödien von Franz Molnär an fast allen Großbühnen.

Zweifellos hat sich die Qualität der gebotenen Stücke gegenüber früher, auch noch gegenüber der Zeit Max Reinhardts, erheblich gehoben. Das seichte Unterhaltungsstück scheidet weitgehend aus. Das gilt für den ganzen deutschen Sprachbereich. So ist die Schwankproduktion für die Theater nahezu versiegt. Man greift auf ältere Schwankautoren zurück, mögen sie auch mitunter ihre Stücke fälschlich als Komödien bezeichnet haben. Georges Feydeau fand, nicht zuletzt durch die französische Avantgarde der fünfziger Jahre, eine neue Schätzung. Es entstand eine Fey- deau-Welle, die Wien mit Aufführungen im Akademietheater erreichte. Doch jene Wiener Bühne, die ausschließlich Unterhaltungsstücke bringt, ist unrichtig „Kammerspiele“ betitelt. Man sieht da keine Kammerspiele, sondern vorwiegend Schwänke.

Zu den wenigen Boulevardiers, die es heute gibt, zählen die seit 26 Jahren international erfolgreichen Franzosen Pierre Barillet und Jeän-Pierre Grėdy. Von ihnen wird derzeit in den Kammerspielen das Lustspiel „Das Reibeisen“, auch eigentlich eher ein Schwank, aufgeführt. Auch Jean Anouilh ist mit neueren, leider immer schwächer werdenden Stücken nun den Boulevardiers zuzuordnen. Gespielt werden sie im Theater in der Josefstadt. Einen trefflichen Einfall hatte der Oberspielleiter der Wiener Staatsoper, Helge Thoma, den Operettenunsinn von Paul Abraftams „Viktoria und ihr Husar“ dadurch ad absurdum zu führen, daß die Aufführung von ehemaligen Sängern und Schauspielern - Rahmenhandlung! - in einem Gewerkschaftshotel für alte Theaterleute erfolgt und dies nun derzeit, zum. Ergötzen des Publikums, Burgtheaterschauspielern im Akademietheater anvertraut ist.

Das Kleine Theater im Konzerthaus ist keineswegs eine Spielstätte für heitere Bühnenwerke. Doch wird da derzeit das Stück des Italieners Aldo Nico- laj „Es war die neunte“, das kein Schwank »st, fälschlich als Schwank gespielt. Zweck: Das Publikum lacht. Generell läßt sich von den zahlreichen Wiener Kleinbühnen sagen, daß in ihnen nur selten heitere Stücke aufgeführt werden. Diese Bühnen haben ein zahlenmäßig kleineres Publikum, das vom Theater vor allem Auseinandersetzungen mit den Problemen der Zeit verlangt.

Doch gibt es auch hier eine Ausnahme, die Kleine Komödie, ein intimes Boulevardtheater, in dem fast ausschließlich heitere, auf jeden Fall unterhaltende Stücke gespielt werden.

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