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Wiener Müllberg: Zaghafter Ansatz

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Der Wiener „Müllstadtrat" Peter Schieder (SPÖ) hat zum totalen Umdenken in der Müllproblematik der Bundeshauptstadt aufgerufen.

Das „Rinter-Debakel", das Modell der Müllnachsortierung, hat der Müllvorsortierung zu weichen. Heute geht es nicht mehr allein darum, aus den städtischen Abfallstoffen brauchbare und wiederverwertbare Rohstoffe auszusortieren, sondern darum, den anfallenden Müllberg bereits von Haus aus, also von den Hausfrauen und Hausmännern, in brauchbare und unverwertbare Stoffe zu sortieren.

Stadtrat Schieder, dem der Müllberg von jährlich mehr als 600.000 Tonnen über den Kopf wächst, möchte aber auch angesichts der Tatsache, daß Deponien nicht mehr zur Verfügung stehen, den Müllerzeugern den Kampf ansagen.

„Wenn es sein muß", meint Schieder, „werden wir die Milch eben wieder im Milchkanderl bei der Milchfrau ums Eck holen".

Die ersten Gespräche mit den Wiener Molkereien haben bereits stattgefunden. Schieder plädiert dafür, daß in einem ersten Schritt die Milchmixgetränke statt in die Plastikbecher in Braunglasflaschen abgefüllt werden. Die Rückkehr zum alten Fru-Fru-Glaserl, als Schritt zur Müllvermeidung ...

Trotz aller möglichen Kritik an Schieder, kann diese seine Idee begrüßt werden. Denn es ist paradox: die österreichische Hohlglasindustrie klagt über Auftragsmangel und ist in der Lage, diese Glasbehältnisse zu produzieren; und wir importieren die Plastikbehälter für die Milchmixgetränke.

Schieder hat schon einen Verbündeten gefunden: die Bevölkerung. Nach Meinungsumfragen hat die städtische Bevölkerung in den letzten Jahren ein hohes Umwelt- und Ressourcenbewußtsein entwickelt. Die Großstadtbewohner sind bereit, aktiv an der Müllvermeidung mitzuarbeiten.

Schieders Konzept im Detail: Eine Vermischung der verwertbaren Stoffe untereinander soll vermieden werden. Die Stadt Wien als größter Hausherr Europas (mehr als 240.000 Gemeindewohnungen!) wird in den gemeindeeigenen Wohnhäusern die notwendigen Container zur Vorsortierung der Haushaltsabfälle aufstellen: Glascontainer, Papiercontainer, Haushaltsmüll, Sondermüll.

Mit dem Sondermüll gibt's die größten Probleme.

Jahr für Jahr fallen in ganz Österreich mehr als 300.000 Tonnen Sondermüll an. Seit 1. Jänner gibt es ein Sondermüllgesetz. Doch niemand weiß, wohin damit. Derzeit exportiert die österreichische Wirtschaft diese Sonderabfälle gegen harte Devisen an diverse Ostblockstaaten. Der Großteil verschwindet irgendwo im Erdreich. Die seinerzeit hochgepriesene Sondermüllverwer-tungsanstalt der Stadt Wien, die EBS in Simmering, verarbeitet bestenfalls 60.000 Tonnen im Jahr.

Am 7. April veranstaltet nun der Bürgerdienst der Stadt Wien, ressortzuständig ist auch hier Stadtrat Schieder, den 1. Wiener Sondermülltag. An diesem Tag kann bei 14 Sammelstellen, verstreut über ganz Wien, giftiger Hausmüll wie Batterien, Lackreste, Medikamente, Leuchtstoffröhren u. ä. kostenlos abgegeben werden.

Der Wiener VP-Gemeinderat Alfred Worm, der sich jahrelang mit dem Mist beschäftigt hat, bezeichnet diesen Sondermülltag wenig euphorisch bestenfalls als einen ersten, zaghaften Ansatz. Die Sammelaktion sei einer Kleinstadt würdig.

Beispiel Innsbruck: in der Tiroler Landeshauptstadt wurden bei einem solchen Müllsondertag 17 Sammelstellen eingerichtet. Fünf Prozent der Bevölkerung beteiligten sich, das Sammelergebnis waren 20 Tonnen Giftmühl. „Auf Wien umgerechnet müßte die Sammelaktion 20 Tage hindurch bezirksweise durchgeführt werden, um sinnvoll zu sein" (Worm).

Mit einem „Ultimatum", Lösung des Wiener Müllproblems bis Ende 1984, möchte daher die Wiener Volkspartei die Realisierung des Müllkonzeptes vorwärtstreiben. VP-Stadtrat Anton Fürst: „Außer einigen unzureichenden Ankündigungen gibt es weder konkrete Maßnahmen noch konkrete Termine".

Kernstück einer zukünftigen Müll-Lösung ist die Schaffung neuer Deponien. Wien verfügt über keine Möglichkeiten mehr, innerhalb der eigenen Grenzen eine Mülldeponie zu errichten. Und Jahr für Jahr fallen, selbst bei bester Vor- und Nachsortierung, rund 200.000 Tonnen an Verbrennungsrückständen an. Die einzige Halde, am Rautenweg in Wien-Donaustadt, ist sanierungsbedürftig, sie bedroht in zunehmendem Maß das Grundwasser. Eine weitere Aufschüttung ist nicht möglich.

Ob der Nachbar, Niederösterreich, bereit sein wird, den „Wiener Mist" zu schlucken, bedarf vieler Zugeständnisse. Eine Chance bietet sich an. Wien bringt seine EBS in Simmering in Ordnung und kann im Tauschweg gegen eine Deponie im niederösterreichischen Umland den Sondermüll, der in Niederösterreich anfällt, verarbeiten.

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