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Wiener Schmankerl
Natürlich kann man auch nach dem Motto alt werden: dumm bleiben, dahingreisen. Aber dies ist jedermanns Sache nicht, und so versuche ich manchmal Erfahrungen der verschiedensten Art aufzuschreiben.
Selbstverständlich geht es da nicht um große Dinge, weltumstürzende Erkenntnisse oder gar um noch Gewaltigeres. Nein, ich schreib auf, was mir so in den fünfundsechzig Jahren, die ich auf unserer besten aller Welten (ja, trotzdem) herumdackle, an Winzigkeiten aufgefallen ist, und das ist, nebenbei bemerkt, gar nicht so wenig.
Beschränken wir uns vorerst nur auf Wien und Umgebung — wo ausgsteckt ist für Seele, Gemüt und Geist, oder was einer so wie ich halt drunter versteht. Flieder-und Blumenstadt Wien, die so schön noch nie war, nur derzeit der Sänger entbehrt, die ihr Lob in die Welt hinausschmettern, wie es seinerzeit der Brauch war, als noch Zeiserlwagen und Wasserer, Brotschani und Papierblumenjapaner das Stadtbild mitprägten.
So lang ist es gar nicht her, denn sogar ich habe in Mutters Küche auf der Kohlenkiste sitzend gelernt und das „Misttrücherl" hinuntergetragen, wenn .der Mistbauer kam, dem im Sommer immer der Eiswagen mit den langen, kalten, kristallklaren Stangen folgte. Eine halbe Stange Eis für den kleinen Kasten mit dem Sieb in der Tür—zwölf Groschen. Offene Milch, Land- und Teebutter... aber reden wir von heute, vom fliedrigen Wien, in dem es mehr Bäume gibt als je zuvor.
Wie die Stadt sich von anderen unterscheidet, kann z. B. im Januarheft 84 „Clipper" der Ami-Linie Pan-Am nachgelesen werden. Da schwelgt ein Herr Horst Nebe in Erinnerungen an. einen Drei-Tage-Aufenthalt.
Stimmt zwar net alles, was er zu berichten weiß, aber trotzdem durchaus schmeichelnd und voll des Lobs. Eines Lobes, zu welchem sich ein Einheimischer nie aufschwingen würde. Nicht aus Bescheidenheit, nein, schon eher wegen der verpickten Augen, die man hier haben muß, um als objektiv zu gelten.
Aber wenn wir's auch nicht sagen, wir wissen es schon: Das beste Butterbrot mit Schnittlauch, das je zu einem Glas Milch verspeist wurde, gibt's im Kiosk im Volksgarten. Das beste, natürlich handgeschlagene Schlagobers in der Meierei Füllenberg zwischen Sittendorf und Heiligenkreuz. Vor dem Beinfleisch beim „Mar-hold" am Fleischmarkt macht jeder kultivierte Magen eine tiefe Verbeugung, und böhmisches Bier sollte man im Schweizerhaus im Prater genießen, wo auch die Stelzerln exzellent sind. Im Cafe „Zartl" in der Rasumovskygasse klicken die Billardkugeln ganz leise in die wienerische Kaffeehausatmosphäre, das „Sperl" ist renoviert und das Weidinger" noch immer so köstlich verraucht wie in den Kindertagen, als Leo Lehner auf einen Kakao einlud, weil ich das Sopransolo so schön und klar gesungen hatte.
Sie meinen, das seien Kleinigkeiten, Selbstverständlichkeiten und nicht wert, publiziert zu werden? Stimmt nicht — aus vielen Kleinigkeiten erst entstehen das Flair, der Geruch, der Klang und der Geschmack einer Stadt. Hainburg ist wichtig, Lorenz gegen König amüsant, aber der Geruch, der Klang... und außerdem hat der ganze Umweltverunsiche-rungswirbel mit der Donauregulierung unterm guatn altn Kaiser angefangen und ist irreversibel. Heute, ich bin überzeugt, würde man auch gegen die Dämmung des Nibelungenstromes ein Volksbegehren lostreten mit dem Hinweis: In Warschau, die Weichsel, breit und schön, gefährlich in ihrer Wildheit und Uberschwem-mungssucht... Aber, bitt' schön: Wolln Sie in Warschau leben? Ich nicht.
Ich bin gern da als Gast, aber leben?
Da geh ich lieber Flieder riechen auf den Heldenplatz, Zeitung lesen ins „Landtmann" und warte auf Peymann, den wirbeligen Blondkopf aus dem Kohlenpott der BRD, der endlich das Kulturleben dieser faden Brutstätte beamteter Komödienspieler aus seiner Lethargie reißen und dorthin führen wird, wo die Experimentatoren in Berlin schon 1926 waren.
Aber, bitt schön, das gehört doch auch zum Geruch der Stadt, die noch immer Metropole ist, wenn sie auch von westdeutschen Zeitungen dummerweise manchmal als Inbegriff das Altmodischen apostrophiert wird. Man glaubt halt auf uns heruntersehen zu müssen, aber das ist verständlich, wenn man dazu verurteilt ist, sein Leben in Pforzheim, Darmstadt oder gar Bochum zu verbringen.
• Das hängt nicht so sehr mit der unstillbaren Sehnsucht nach dem Duft von Wuchtin und Topfen-strudl zusammen als mit dem scheuen Blick nach oben zu den Höhen Kafkas, Polgars, Nestroys und Musils. Doderer und Werfel, Wildgans und Torberg, Weigel und Qualtinger — das sind eben nun einmal keine deutschen Dichter. An ihnen hängt der Jahrtausendstaub Wiens, seiner Kultur und seiner Lebensart. Unverwechselbar. Bei Theodor Kramer riecht man den Speck, das Brot und das Bier, das ein Baraber zum Gabelfrühstück — gibt's das noch? Wenn nicht, sollte man es wieder einführen! — zu sich nimmt.
Ich will Kleinigkeiten aufschreiben; es geht nicht; nichts ist klein an und in dieser Stadt. Auch nicht die Intrige, die Lüge, aber auch nicht die Lust zu arbeiten und zu lieben.
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