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Wieviel kann David den Goliaths wegnehmen?

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Wie würgt man am besten unliebsame Kleinparteien ab? Diese Überlegung dürfte bei den Beratungen zur neuen Wiener Wahlordnung Pate gestanden sein, die mit einem gemeinsamen Beschluß der drei im Gemeinderat vertretenen Parteien endeten. Fazit: Bei den bevorstehenden Wiener Gemeinderats- und Bezirksvertretungswahlen dürften maximal zwei Parteien die Hürde nehmen können, die das Gesetz vor allen noch nicht im Gemeinderat sitzenden Parteien aufgebaut hat, die straff organisierten Kommunisten und die neue auf Initiative der österreichischen Umweltschutzbewegung gebildete „Wahlgemeinschaft für Bürgerinitiativen und Umweltschutz“ (WBU). Letztere als gefährlicher Außenseiter.

Die neue Wahlordnung sieht vor, daß für die Gemeinderatswahlen pro Wahlkreis 100 Unterschriften, für die Bezirksvertretungswahlen jeweils 50 Unterschriften vorzulegen sind. So weit, so gut. Daß diese Unterstützungserklärungen neuerdings beglaubigt sein, daß die Unterschriften im Hochsommer (zwischen 18. August und 10. September) gesammelt werden müssen, ist allerdings eine außerhalb von Österreich keineswegs übliche Schikane, die von den Splittergruppen mit Recht als solche empfunden wird. Daß wegen falscher Unterschriften der NDP bei den Nationalratswahlen 1970 Wien im damaligen Herbst noch einmal zu wählen hatte (worauf der Freiheitliche Dr. Tassilo Broesigke ins Parlament einzog), gibt der neuen Wahlordnung vielleicht einige, aber sicher nicht volle Berechtigung.

Was dem Faß den Boden ausschlägt und nur als Rückschritt in vorsintflut-

liehe Perioden der Demokratie, wo das Wahlrecht noch käuflich war, bezeichnet werden kann, ist das Faktum, daß bis zur Stunde nicht feststeht, ob die geforderten Beglaubigungen gebührenfrei sind oder nicht. Einer kleinen Partei, die schon an Wahlkostenbeiträgen pro Bezirk und Wahlkreis je 1000 Schilling, in Wien daher insgesamt 41.000 Schüling aufbringen muß, kann doch nicht zugemutet werden, daß sie für Beglaubigungen eine halbe Million auf den Tisch blättert. Ein klärendes Wort von Finanzminister Androsch wäre an der Zeit. Sollte es bei der Gebühr bleiben, haben die Um-

weltschützer statt einer Kandidatur eine Verfassungsklage angekündigt. Läßt sich Androsch Zeit und entscheidet dann für Gebührenbefreiung, werden sie zwar voraussichtlich kandidieren, gehen aber - wegen der dann bereits anlaufenden Hauptreisezeit - mit schlechteren Voraussetzungen in den Wahlkampf.

Die Zahl der Unterschriften bereitet dem Geschäftsführer der Umweltschutzbewegung und Initiator zahlreicher Bürgerinitiativen (Neusiedlerseebrücke, Sternwartepark, Salzstreuung) Otto Häusler die geringsten Sorgen. Häusler, mit Burgschauspieler

Peter Schratt (Hörfunk-Moderator von „La Chanson“ auf ö 3), Claudia Belcredi („Mütter gegen Kernenergie“), Johann Timmler (Leiter der österreichischen Sozial- und Pensionistenvereinigung) und Mag. Ulrike Kessler (Lehrerin, die angeblich entlassen wurde, weil sie auf einem „Nicht genügend“ für den Sprößling eines SPÖ-Politikers bestand), einer der voraussichtlichen Spitzenkandidaten, würde ein Nichteinziehen der WBU in den Gemeinderat und etliche Bezirksvertretungen schon als Mißerfolg werten. IFES-Direktor Ernst Gehmacher traut den Umweltschützern derzeit höchstens zwei Prozent der Stimmen zu, obwohl er den Sympathisantenkreis für diese Gruppe in Wien noch höher einschätzt als in Salzburg, wo der Schwesterbewegung unter Hört und Fux immerhin auf Anhieb der Sprung in den Gemeinderat gelungen ist. Aber Häusler rechnet mit einem Zuwachs bis zum Herbst und verweist auf den Achtungserfolg der Umweltschützer kürzlich in Hamburg (3,5 Prozent) und Niedersachsen (3,9 Prozent). Mandate gibt es freilich erst ab fünf Prozent.

Die Reihung der Kandidaten soll durch die Unterstützer der WBU-Liste vorgenommen werden. Die Linie dieser „Bürgerkandidaten“ lautet: Umweltschutz hat Vorrang vor Wirtschaftswachstum. Der Kampf der WBU gilt allen Arten von Umweltverschmutzung, dem Verkehrs- und Industrielärm, dem Kernkraftwerk Zwentendorf, aber auch der Einführung der Volksabstimmung nach Schweizer Muster. Man plant auch die Kandidatur bei weiteren Regional wählen, vor allem aber bei den nächsten Nationalrats wählen.

Darf man von der WBU eventuell eine Überraschung erwarten, zumindest aber, daß sie sämtlichen anderen Parteien Stimmen wegnimmt, dürfte die KPÖ, die seit einem guten Jahrzehnt konsequent abbaut und nur mehr in vier Bezirksvertretungen sitzt, keine Chancen haben. Mit der Kandidatur einer weiteren Gruppe rechnet niemand mehr ernstlich. Dazu liegt die Latte zu hoch. Wien geht jedenfalls einem harten Wahlkampf entgegen.

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