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Willkommene IVIärtyrer für die Sowjetunion

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Im April 1950 verurteilte ein New Yorker Gericht Julius Rosenberg und dessen Frau Ethel zum Tod auf dem elektrischen Stuhl, am 19. Juni 1953 wurde das Urteil vollstreckt. Sie sollen den Sowjets US-Atomgeheimnisse verraten haben, haben aber nie gestanden. Curt Riess, der vergangene Woche seinen 90. Geburtstag feierte, rief den Fall in seinem eben erschienen, jüngsten Buch in Erinnerung. Hier einige Stellen aus dem Kapitel „Der Verrat des Atombombengeheimnisses":

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Im April 1950 verurteilte ein New Yorker Gericht Julius Rosenberg und dessen Frau Ethel zum Tod auf dem elektrischen Stuhl, am 19. Juni 1953 wurde das Urteil vollstreckt. Sie sollen den Sowjets US-Atomgeheimnisse verraten haben, haben aber nie gestanden. Curt Riess, der vergangene Woche seinen 90. Geburtstag feierte, rief den Fall in seinem eben erschienen, jüngsten Buch in Erinnerung. Hier einige Stellen aus dem Kapitel „Der Verrat des Atombombengeheimnisses":

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Julius Rosenberg war 1940 in das Intelligence Department der Armee geholt worden. Aber fünf Jahre später mußte er den Dienst quittieren, als sich herausstellte, daß er der kommunistischen Partei angehörte. Er gründete eine Firma, die elektrisches Gerät verkaufte, zusammen mit seinem Schwager David Greenglass, dem Mann seiner Schwester Ruth.

Die Anklage wird von Irving H. Saypol vertreten, Spezialist in der Verurteilung von Bürgern, denen Sympathie für den Kommunismus nachgesagt wird; vor einem Jahr hat er als Ankläger in dem Fall Alger Hiss fungiert, der Washington auf den Kopf stellte, auch gegen andere Kommunisten oder sogenannte Kommunisten plädiert. Und er ist, mit Recht, gefürchtet: ein Mann voller Leidenschaft, entschlossen, alle politisch „Mißliebigen", also vor allem Linke, fertig zu machen. Wenn es nach ihm ginge, würde jeder Kommunist, ja, jeder, der verdächtig ist, Sympathien für den Kommunismus zu hegen, hinter Gefängnismauern gebracht.

Einem so rasanten Ankläger sind die Verteidiger nicht gewachsen. Aus Gründen, die später, nach dem Prozeß, nach seinem furchtbaren Ausgang, noch oft diskutiert werden sollen, haben die Rosenbergs sich überzeugen lassen, daß sie einen „gediegenen" Anwalt nehmen sollten, und sie verpflichteten Alexander Bloch, einen ehrenwerten Mann, aber er ist schon 74 Jahre alt und hat in seinem Leben mit Strafprozessen wenig zu tun gehabt. Der zweite Verteidiger ist Emanuel H. Bloch, Sohn des alten Anwalts, auch schon an die fünfzig Jahre alt, auch er kaum ein Spezialist für Strafverteidigung.

Am zweiten Tag, die Auswahl der Geschworenen hat anderthalb in Anspruch genommen, trägt der Staatsanwalt die Anklage vor: „Die Angeklagten haben in kritischer Stunde unserer Geschichte Geheimmaterial unserer Verteidigung verraten und uns dadurch größten Schaden zugefügt." Greenglass hätte es geschafft, das Geheimnis der Atombombe in die Hand zu bekommen, „den Schlüssel zur Bewahrung des Weltfriedens!"

Der Schwager als Verräter

David Greenglass hat bereits gestanden und sich schuldig erklärt. Der Verteidiger der Rosenbergs beginnt mit der Feststellung, daß beide von Anfang an geleugnet hätten, irgend etwas Strafbares begangen zu haben, und in der Zwi schenzeit seien sie, .nicht einen einzigen Schritt" von dieser ihrer Behauptung abgewichen. Der Hauptbelastungszeuge gegen ihn sei Schwager Greenglass, der bereits gestanden habe, Spion gewesen zu sein. Dr. Bloch empört sich über die Niedrigkeit solcher Verleumdungen, die auch die Schwester von Greenglass, nämlich Frau Rosenberg in Gefahr bringe, auf dem elektrischen Stuhl zu enden. •

Ethel Rosenberg wird dann kurz vernommen. Sie erklärt, sie habe keine Staatsgeheimnisse verraten können, weil sie keine kenne. Sie besorge ihren Hausstand und kümmere sich um die Kinder. Es sei nur ihrem Bruder und ihrer Schwägerin zuzuschreiben, daß sie und ihr Mann überhaupt unter Anklage gestellt worden wären. Offenbar versuche ihr Bruder auf ihre Kosten seinen Hals zu retten.

Ethel Rosenberg wird immer bei ihrer Erklärung bleiben, und auch ihr Mann wird nicht einen Schritt zurückweichen.

Julius Rosenberg, im Zeugenstand, bestreitet alle Anschuldigungen gegen ihn und seine Frau. Seine Schwägerin habe gelogen, David Greenglass habe gelogen, nichts von dem, was sie behauptet haben, nichts, was andere Belastungszeugen behauptet haben, stimme. Er weiß überhaupt gar nicht, wovon die Rede ist. Nur als ihn der Staatsanwalt nach seiner politischen Vergangenheit fragt, wird er nervös.

„Gehörten Sie der kommunistischen Partei an?"

Rosenberg schweigt, einen Augenblick, dann: „Ich verweigere darauf die Antwort, weil sie mich der Gefahr der rechtlichen Verfolgung aussetzen würde."

Dazu hat er ein Recht nach dem sogenannten 5. Zusatz zur Verfassung. Aber was kann eine solche Antwort anderes bedeuten, als daß er der kommunistischen Partei angehört hat, ihr möglicherweise noch immer angehört.

Ethel Rosenberg bleibt, erstaunlich für eine Frau, die weiß, daß es um ihren Kopf gehen kann, ganz ruhig. Auch sie streitet alles ab. Niemals hätten Unterhaltungen mit ihrem Schwager und ihrer Schwägerin stattgefunden, niemals habe sie geheime Dokumente abgeschrieben, niemals an irgendeinem Verrat mitgewirkt. Vergebens versucht der Staatsanwalt, sie bei Widersprüchen zu ertappen. Es gibt bei ihr keine Widersprüche. Sie bleibt hart wie Granit.

Der Vertreter der Anklage, Saypol, nimmt das Ehepaar Greenglass in Schutz. Die beiden seien bestrebt, wenigstens einen Teil des Schadens, den sie angerichtet hätten, wieder gutzumachen.

Schlimmer als Mord?

Die letzten Worte des Anklägers: „Das Verbrechen, das den Angeklagten angelastet wird, ist eines der ernstesten, das gegen die Vereinigten Staaten verübt werden kann. Niemals vorher standen Angeklagte vor den Schranken der amerikanischen Justiz, die weniger Sympathie als diese drei verdient haben. Ich vertraue darauf, daß Sie das einzig mögliche Urteil fällen..."

Der Richter benötigt mehr als drei Stunden Zeit für seine Schlußrede. Die Geschworenen ziehen sich zurück, verlangen aber mehrmals zusätzliche Aufklärung durch das Gericht. Es wird Mitternacht, bevor sie den Richter benachrichtigen, daß sie bei zwei der Angeklagten zu einem Ergebnis gelangt sind, aber daß sie in Bezug auf den dritten - das kann nur Greenglass sein - noch uneinig sind. Sie werden für den Rest der Nacht eingeschlossen. Am späten Vormittag das Ergebnis: „Alle Angeklagten sind der Spionage für schuldig befunden worden."

Am 6. April 1950 verhängt Richter Kaufmann über Julius und Ethel Rosenberg die Todesstrafe. „Ich finde ihr Verbrechen schlimmer als Mord... Wenn jemand einen Mord verübt, tötet er nur sein Opfer... Was aber Ihren Fall betrifft, so hat die Tatsache, daß den Russen die Atombombe in die Hände gespielt worden ist, die kommunistische Aggression in Korea verursacht, mit Verlusten, die über 50.000 Tote hinausgehen..."

Für den Kronzeugen: Milde

Dies stimmt natürlich nicht in seiner Gänze. Es kann nur wiederholt werden, daß die Russen um diese Zeit so oder so die Atombombe besessen hätten, daß sie die aber in Korea keineswegs zur Anwendung gebracht haben.

David Greenglass wird einige Tage später zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt.

Nochmaliger Versuch der Verteidigung, eine neue Hauptverhandlung, ein „Rehearing" zu erreichen.

Weitere Unternehmungen, die Vollstreckung des Urteils hinauszuzögern oder das Urteil ganz aufheben zu lassen. Auch der Versuch, Richter Kaufmann zur Umwandlung der Todesstrafe in eine Freiheitsstrafe zu veranlassen. Kaufmann sagt nein. Petition ans Weiße Haus. Der jetzt dort amtierende Präsident Eisenhower lehnt das Gnadengesuch ab.

Mittlerweile hat sich die Empörung gegen die Rosenbergs im Volk längst gelegt, die Zeitungen schreiben nicht mehr über, geschweige denn gegen die Rosenbergs. Auf deanderen Seite gewinnen die Rosenbergs an Sympathie, einige Zeitungen, vor allem natürlich die linksgerichteten, und nicht nur die in den Vereinigten Staaten, treten für sie ein. Man spricht von einem „Zweiten Fall Dreyfus". Es wird behauptet, der Antisemitismus habe bei der Urteilsfindung, überhaupt bei dem ganzen Prozeß eine Rolle gespielt. Überall, nicht nur in den großen amerikanischen Städten, auch in Paris und London, in Brüssel und Rom, entstehen über Nacht Rosenberg-Hilfskomitees.

Das FBI hofft bis zuletzt auf ein Geständnis der Verurteilten. Wenn sie geständen, würde ihnen der elektrische Stuhl erspart bleiben. Neue Aufschübe. Immer wieder wird der Fall Rosenberg diskutiert. Die bekannte amerikanische Journalistin Dorothy Thompson weist in einem Artikel darauf hin, daß seltsamerweise keinerlei Bitten um Gnade oder Forderungen nach Milde von der Sowjetunion ausgegangen seien. Sie vermutet, daß es Moskau ganz genehm sei, wenn auf diese Weise Märtyrer für die kommunistische Sache geschaffen würden.

Wie dem auch sei: am 19. Juni 1953, also rund zwei Jahre nach Prozeßbeginn, wird die Strafanstalt Sing Sing in weitem Umkreis abgesperrt. Zusätzliche Polizei aus dem Staat New York rückt an, auch Militär. Man hat wohl Angst vor Demonstrationen. Noch einmal erklärt das Justizministerium sich bereit, die Verurteilung der beiden Rosenbergs in lebenslängliches Zuchthaus umzuwandeln, wenn sie gestehen würden.

Aber sie schweigen bis zuletzt. Um 8.00 Uhr abends besteigt als erster Julius Rosenberg den elektrischen Stuhl. Nach seiner Hinrichtung wird die Frau geholt. Ein Rabbiner, der sie begleitet, beschwört sie: „Wollen Sie nicht doch etwas sagen, Mrs. Rosenberg, was Sie retten könnte? Denken Sie an Ihre Kinder, die Sie brauchen! Muß die Tragödie zu Ende geführt werden?"

„Ich habe nichts zu sagen. Ich bin bereit."

Auf ihre Frage teilt man ihr mit, daß ihr Mann bereits tot sei. Darauf äußert sie keine Silbe mehr.

Vom Fall Rosenberg getötet

Ein zusätzliches Opfer ist der jüngere Rechtsanwalt Bloch, der das Urteil nicht verwinden kann. Monatelang geht er auf Vortragstournee durch die Vereinigten Staaten, bis er gesundheitlich zusammenbricht. Eines Morgens, am 29. Januar 1954 findet man ihn tot in seinem Badezimmer. Herzschlag. Er ist knapp 52 Jahre alt geworden. Sein Vater kommentiert: „Der Fall Rosenbeg hat ihn getötet!"

Die unschuldigen Kinder der Rosenbergs haben Schwierigkeiten. Die Eltern gleichaltriger Kinder wollen sie in den Schulen, die sie besuchen, nicht mehr dulden. Ein Kibbuz in Israel bietet ihnen Zuflucht an. 200 Familien in den Vereinigten Staaten erklären sich bereit, sie zu adoptieren. Sie erhalten andere Namen, und erst dann ist es möglich, sie in einem amerikanischen Internat unterzubringen.

Im Dezember 1975,fast ein Vierteljahrhundert später, erklären sie, daß sie eine Wiederaufnahme des Falles verlangen und einen nachträglichen Freispruch für ihre unschuldigen Eltern. Und vielleicht sind sie auch ein Vierteljahrhundert später nicht die einzigen, die glauben, daß hier ein schwerer Justizirrtum begangen worden ist, daß die Rosenbergs allenfalls zu einigen Jahren Gefängnis oder Zuchthaus hätten verurteilt werden dürfen, um wie die anderen, die viel Schuldigeren, nach Verbüßung der Hälfte der Strafe oder allenfalls von zwei Dritteln freizukommen.

PROZESSE DIE UNSERE WELT BEWEGTEN. Von Curt Riess. Droste Verlag, Düsseldorf 1992. 594 Seiten, Bilder, Ln„ öS 405,60.

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