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Wilson und das Jein zu Europa

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Mit seiner Erklärung in Unterhaus Mitte Jänner über die Art der Fragestellung bei der bevorstehenden Volksbefragung über die EG-Mitgliedschaft hat Premierminister Wilson sozusagen den „Wahlkampf“ eröffnet, der sieb wie ein Crescendo bis zum eigentlichen Referendum steigern wird, das im Juni dieses Jahres stattfinden soll.

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Mit seiner Erklärung in Unterhaus Mitte Jänner über die Art der Fragestellung bei der bevorstehenden Volksbefragung über die EG-Mitgliedschaft hat Premierminister Wilson sozusagen den „Wahlkampf“ eröffnet, der sieb wie ein Crescendo bis zum eigentlichen Referendum steigern wird, das im Juni dieses Jahres stattfinden soll.

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Die Labourregierung bat Sich mit der Europafrage in ein Dilemma erster Ordnung hineinmanövriert, und das in mehr als einer Hinsicht. Seit vor mehr als zwei Jahren der konservative Premierminister Edward Heath zusammen mit seinem Buropaminister Geoffrey Rippon nach langen und schwierigen Verhandlungen Großbritannien endlich die Aufnahme in die Europäische Gemeinschaft ermöglicht hat, haben die Mannen um Harold Wilson mit wenigen Ausnahmen gegen diesen epochalen Schritt Sturm gelaufen. Sturm gelaufen nicht etwa, weil sie sich plötzlich zu rabiaten Anti-Europäern entwickelt hätten oder weil sie gegen einen britischen EG-Beitritt an und für sich wären; nein, sie hielten es vielmehr ajs Oppositionspartei für einen ausgezeichneten politischen Schachzug, sich direkt an das britische Volk zu wenden und diesem begreiflich zu machen, daß man es ja gar nicht gefragt habe, daß die bösen Konservativen hier ganz auto- kratisch eine Entscheidung getroffen hätten, durch die die Zukunft von Generationen bestimmt werde. Vor allem bei den beiden Wahlkämpfen des vergangenen Jahres war es dann natürlich sehr opportun, sich ganz als Partei des Volkes ziu geben und den Wählern für den Fall, daß sie sich für Labour entscheiden sollten, ein direktes Mitspracherecht zu versprechen, das heißt also, eine Volksbefragung. Die Labourpartei stützte sich dabei auch auf eine Erklärung von Edward Heath, der einmal gesagt hatte, er werde einen EG-Bei- tnitt „nur mit voller Zustimmung des ganzen britischen Volkes“ beschließen. Daß diese Zustimmung auf legale und traditionell-demokratische Weise bereits durch eine Unterhausabstimmung erfolgt ist, bei der sich nach Aufhebung des Fraktionszwanges eine solide Mehrheit für den britischen Beitritt ergab, darüber schwieg die Labourpartei ebenso wie über die Tatsache, daß Volksbefragungen, die einer teilweisen Negierung der parlamentarischen Demokratie gleichkommen, eine dem politischen Leben Großbritanniens völlig fremde und konträre Erscheinung darstellen.

Nun, die Labourregierung hat dieses Wahlversprechen, das sie jetzt einlösen muß, zweifellos schon mehr als einmal bedauert Es beginnt schon mit den beträchtlichen Schwierigkeiten der Durchführung: Wie soll die Frage auf den Stimmzetteln formuliert werden, soll der Abstimmung eine Parlamentsdebatte vorausgehen, soll die Regierung den Wählern eine beistimmte Empfehlung vorlegen, nach welchem Wahlsystem soll ahgestimmt werden? Bisher steht nur fest, daß die Regierung tatsächlich eine Entscheidung empfehlen wird, je nachdem, wie die gegenwärtigen Neuverhandlungen über die britischen Beitrittsbedingungen ausgehen. Alle anderen Fragen sind zur Zeit noch ungeklärt, darunter auch die, wie die Labourregierung überhaupt eine überzeugende Empfehlung aussprechen können soll angesichts der Tatsache, daß ihre Mitglieder untereinander diametral entgegengesetzte Ansichten über den britischen EG-Beitritt haben.

Damit kommen wir zu den beiden Fronten für und gegen die Europäische Gemeinschaft, und zu den Argumenten. Hier muß gleich betont werden, daß trotz allem, was vorher über politische Schachzüge gesagt wurde, diese Kontroverse jetzt doch von beiden Seiten mit leidenschaftlicher Anteilnahme geführt wird; von den britischen „Europäern“ deshalb, weil sie genau wissen, daß es um Sein oder Nichtsein ihres Landes geht; van den EG-Gegnern paradoxerweise deshalb, weil sie wiederum sich ihr Großbritannien nicht groß und stolz denken können, wenn es, wie sie sagen, zu einer „Provinz innerhalb eines europäischen Superstaates“ würde.

Der fast ausschließlich emotions- und traditionsbedingte Standpunkt der britischen EG-Gegner läuft argumentativ in letzter Zeit immer mehr auf die Frage des Souverändtätsver- lustes hinaus, auf die Angst, Selbstbestimmungsrechte an die EG-Kom- mission und an das Europaparlament abtreten zu müssen. Aber die EG- Freunde weisen natürlich mit Recht darauf hin, daß heute eine absolute Souveränität, außer vielleicht für die Supermächte, jEiir kein Land der Welt mehr real möglich ist, daß an Organisationen wie die UNO, die NATO oder den Internationalen Währungsfonds, um nur einige zu nennen, immer mehr Rechte abgetreten werden, und daß schließlich die wirtschaftliche Stärkung, die sich Großbritannien durch die feG-Mit- gliedschąft versprechen darf, .viel mehr echte, reale Freiheit und Souveränität bedeuten wird als eine Isolierung, die sehr bald nichts weniger als „splendid“ wäre. Sämtliche Alternativen zur Europäischen Gemeinschaft nämlich, Schemen wie eine atlantische Freihandelszone oder neue Commonwealth-Abkommen, sind schon seit langem geprüft, gewogen und zu leicht befunden worden, von Wirtschaftspolitikem ebenso wie von den USA und von den wichtigsten Commonweatlh-Staaten, wie Australien oder Neuseeland.

Man darf allerdings auch nicht übersehen, daß die Konservativen in der Europafrage gespalten waren und sind. Edward Heath war zuvor ein zeitweilig geradezu fanatischer Verfechter der EWG-Mitgliedschaft, hat aber innerparteilich nicht zuletzt deshalb Schiffbruch erlitten. Enoch Powell als Rechtsaußen kämpft darüber hinaus mit nationalistischen Emotionen, die auf gewisse Kreise auch innerhalb des konservativen Lagers Einfluß haben. Wie sich die neue Führung der Tory-Partei zu Europa stellen wird, ist noch abzuwarten. Sicherlich muß die derzeitige Opposition der Stimmung in Großbritannien Rechnung tragen. Es ist auch noch nicht deutlich, wer letztlich das „letzte Wort“ bei den Konservativen hat.

Premierminister Wilson hat gesagt, er werde dem britischen Volk den Verbleib in der Europäischen Gemeinschaft empfehlen, wenn die laufenden Beitrittsverhandlungen befriedigend ausgehen. Daß dies der Fall sein wird, daran scheint jetzt kaum mehr Zweifel zu bestehen. Der deutsche Bundesaußenminister Genscher erklärte vor kurzem, die Mitgliedschaft Großbritanniens bedeute eine Existenzfrage für die EG; dasselbe gilt umgekehrt an noch weit höherem Maße für Großbritannien, und man darf wohl hoffen, daß Mr. und Mrs. Everyman diese Tatsache im Juni durch ein starkes „Ja“ auf ihren Stimmzetteln bestätigen werden.

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