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Wind im Gesicht

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Rücktrittsger Uchte um Verteidigungsminister Georg Leber und die Problematik der der MFBR-Truppenreduzierungs-Verhandlungen haben in jüngster Zeit die schwierige Lage der bundesdeutschen Verteidigung plötzlich wieder deutlich hervortreten lassen. Dabei signalisierten die Gerüchte um Leber, die er selbst entschieden dementierte, die innenpolitische Problematik der Bundeswehr, während die Vorbereitung der MFBR-Gespräche die internationale Problemlage der bundesdeutschen Verteidigung deutlich machte.

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Rücktrittsger Uchte um Verteidigungsminister Georg Leber und die Problematik der der MFBR-Truppenreduzierungs-Verhandlungen haben in jüngster Zeit die schwierige Lage der bundesdeutschen Verteidigung plötzlich wieder deutlich hervortreten lassen. Dabei signalisierten die Gerüchte um Leber, die er selbst entschieden dementierte, die innenpolitische Problematik der Bundeswehr, während die Vorbereitung der MFBR-Gespräche die internationale Problemlage der bundesdeutschen Verteidigung deutlich machte.

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Die innenpolitische Debatte um die Streitkräfte und die schwierige Rolle der Bundesrepublik bei den MFBR-Gesprächen hängen freilich aufs engste zusammen. Die Bundesrepublik, mit ihrer 460.000-Mann-Armee und

ihrer exponierten* strategischen Lage, ein Eckpfeiler in der NATO-Vertei-digung, sieht sich ganz besonders in das Kräftefeld von Spannung und Entspannung hineingezogen. Als

hoch entwickelter Industriestaat fühlt sie sich personell mit ihrer Bundeswehr ständig überfordert. In Anbetracht der ständig steigenden personellen Kosten der Streitkräfte sowie des technischen Ausrüstungsgeräts, denen zugleich ein reicher Katalog kostspieliger innenpolitischer Reformpläne gegenübersteht, wird die Bundeswehr auch finanziell zum Problem. Diktieren diese Gesichtspunkte eine Reduzierung der Verteidigungsanstrengungen, so ist doch unter sicherheitspolitischem Ansatz ein solches Zurückschrauben der Leistungen nur schwer zu vertreten.

Im Hinblick auf die MFBR-Gespräche sieht sich die Bundesrepublik in der Lage, eine Reduzierung des Militärpotentials in Europa zu wünschen, wobei freilich auf längere Sicht diese Reduzierung nicht nur auf die Streitkräfte der USA und der UdSSR beschränkt bleiben sollte. Würden die militärischen Entspannungsbemühungen auf westlicher Seite nur einen Abzug amerikanischer Truppen bringen, so würde zunächst weiter eine auf keinen Fall reduzierte Verteidigungslast auf den europäischen Mächten liegen. Damit will man sich in der Bundesrepublik nicht zufriedengeben. Anders als etwa das den Reduzierungsverhandlungen völlig ablehnend gegenüberstehende Frankreich, aber auch an--iders als England, das nicht *n einer zweiten Reduzierungsphase seine auf dem Kontinent stationierten Truppen reduzieren möchte, hofft die Bundesrepublik, auch einmal zu

einer Verringerung ihres Militärpotentials zu kommen und sich damit etwas von dem Druck der Ausgaben für Verteidigung befreien zu können.

Da es freilich NATO-Konzept ist, aus der Position der Stärke heraus die Truppenreduzierungsgespräche zu führen, sieht sich die Bundesrepublik in die paradoxe Lage versetzt, gerade angesichts möglicher Truppenreduzierungen ihre militärischen Anstrengungen vorerst nicht reduzieren zu können. Massive Ankündigungen von Truppenreduzierungen auf amerikanischer Seite lassen sogar Befürchtungen aufkommen, daß die Bundesrepublik, will sie die westliche Position bei den MFBR-Gesprächen nicht verschlechtern, vorerst ihre Verteidigungsanstrengungen sogar verstärken muß.

So sind intensive Verhandlungen mit dem amerikanischen Bündnispartner im Gange, die diesen davon abhalten sollen, seine Streitkräfte in Europa zu reduzieren. Dabei bläst diesmal den Europäern der Wind ziemlich ins Gesicht. Die anstehenden Gespräche über die Devisenausgleichszahlungen der Bundesrepublik an die USA für die amerikanischen Streitkräfte werden dabei ein Indiz dafür sein, wie sich die Verhältnisse zwischen den NATO-Partnern entwickeln.

Nicht zuletzt innenpolitisch wäre es für die Regierung Brandt-Scheel und ihren Verteidigungsminister Leber günstig, hier einen Erfolg verbuchen zu können. Denn wenn auch verschiedene Anzeichen auf ein Abflauen der im Zuge der Studentenrevolte massiven Kritik an der Bundeswehr hindeuten, so zeigt sich doch ein gewisses Unbehagen über die hohen Militärausgaben. Anträge von SPD-Bezirksorganisationen auf dem letzten SPD-Parteitag in Hannover, die unter Hinweis auf die erfolgreiche Entspannungspolitik der Bonner Regierung ein Einfrieren des Wehretats oder gar dessen Reduzierung verlangten, die dann auch prompt vom Parteitag abgelehnt wurden, sollten nicht überbewertet werden. Äußerungen der Jusos, vor allem ihre massive Kritik an Leber, in denen die Betonung des Willens zur Verteidigung und zu Anstrengungen auf diesem Gebiet als Wiederbelebung des Kalten Krieges und der Bonner Ostpolitik zuwiderlaufend

bemängelt wurden, haben demgegenüber etwas mehr Gewicht. Sowenig sich Leber durch derartige Attacken wirklich zum Rücktritt bewegen ließ, sowenig spiegelt eine solche Haltung, derzufolge sofort mit einer Verringerung der Verteidigungsanstrengung begonnen werden sollte, die breite Stimmung in den Regierungsparteien in der Verteidigungsfrage. Daß Lebers Ressort auch bei den Budgetverhandlungen gut abschnitt und hier von einer Reduzierung noch nichts zu merken war, ist auch ein Zeichen, daß die Bundesrepublik ihre schwierige Politik, Entspannung und Truppenabbau intensiv anzustreben, ohne vorerst die eigene Position zu schwächen, konsequent weiterverfolgt.

Eine gewisse Unterstützung bedeutet für sie der Erfolg der letzten Reformmaßnahmen in der Bundeswehr, die vor allem eine Verkürzung der Wehrdienstzeit auf 15 Monate gebracht hat. Nach gewissen Um-stellurigsschwierigkeiten kann diese Reform als erfolgreich in die Praxis eingeführt bezeichnet werden. Dem angestrebten Ziel der Wehrgerechtigkeit ist man damit ein gutes Stück

nähergekommen. Die Eröffnung der ersten Bundeswehrhochschule steht bevor und diese Einrichtung wird sicher etwas dazu beitragen können, die nach wie vor schwierige Personalsituation verbessern zu können.

Wenn auch die Bundeswehr alles andere als der Deutschen liebstes Kind ist, so ist sie doch eine weitgehend akzeptierte Notwendigkeit. Daß die Jugendlichen nicht begeistert zum „Bund“ gehen, wie die Bundeswehr gern genannt wird, und die Zahl der Dienstvergehen, vor allem der Entfernung von der Truppe, zunehmen, sind Erscheinungen, wie sie alle Armeen in den hochindustrialisierten westlichen Staaten kennen. Vor dem Hintergrund dieser einigermaßen konsolidierten Armee geht die Bundesrepublik zuversichtlich in die MFBR-Gespräche. Der Wunsch, in diesen Gesprächen die von Bonn eingeleitete Entspannungspolitik materiell durch eine Reduzierung der Rüstungsanstrengungen abrunden zu können,] bedingt dabei eine engagiertere bundesdeutsche Haltung in diesen Gesprächen als bei dem einen oder anderen Bündnispartner.

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