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Wir alle müssen zu Opfern bereit sein

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Ende A ugust tagt in New York eine außerordentliche Generalversammlung der UNO zum Thema „ Entwicklungspolitik zu Beginn der achtziger Jahre". Mit dieser außerordentlichen Generalversammlung soll die dritte entwicklungspolitische Dekade eingeleitet werden.

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Ende A ugust tagt in New York eine außerordentliche Generalversammlung der UNO zum Thema „ Entwicklungspolitik zu Beginn der achtziger Jahre". Mit dieser außerordentlichen Generalversammlung soll die dritte entwicklungspolitische Dekade eingeleitet werden.

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Die Bilanz der beiden ersten Dekaden ist nicht befriedigend. Es ist in den vergangenen zwei Jahrzehnten nicht gelungen, die Länder der Dritten Welt wirklich aus dem Kreis ihrer Probleme herauszuführen. In einer Vielzahl der Länder kommen überlagernde Probleme zusammen.

Da ist einmal die mangelnde Gesundheitsversorgung mit entsetzlichen Folgen, wie etwa daß in vielen Ländern der Dritten Welt jedes vierte Kind vor dem Erreichen des fünften Lebensjahres stirbt.

Da ist in vielen Ländern der Hunger immer noch ein bestimmender Faktor im täglichen Leben. Jene Kinder, die überleben, aber durch eine Periode des Hungers gegangen sind, haben zumeist dauerhafte Schädigungen. 45 Länder

der Welt werden ständig immer wieder von Hungersnöten bedroht. Das sind zumeist alle afrikanischen Länder südlich der Sahara. Das sind Länder mit ungeheurer Bevölkerungsdichte, wie Bangla Desh und Indien, dazu zählen auch Staaten Mittelamerikas.

Der Hunger ist überall dort zu Hause, wo ein karger Boden, Dürre und das Flüchtlingselend zusammenkommen, wie etwa in diesen Tagen in Somalia. Die traurige Bilanz nach zwei Dekaden entwicklungspolitischer Anstrengungen ist, daß in der modernen technisierten Welt mit Flugzeugen und Transportmitteln immer wieder Hungersnöte ausbrechen, Menschen sterben und die Abhilfe nicht oder zu spät kommt.

Zu diesen Basisschwierigkeiten treten in vielen Ländern Probleme der In-

frastruktur, wie man sie in den Industrieländern gar nicht kennt oder wie man sie in den Tourismuszentren anderer Kontinente nicht erlebt. In weiten Bereichen der Welt klappt die Wasserversorgung nicht. Da wird schon die Beschaffung von reinem Trinkwasser zum täglichen Problem. In anderen Bereichen sind die Verbindungs- und Kommunikationswege kaum aufrechtzuerhalten.

Hier ist gerade seit dem ölschock 1973/74 ein neues Problem aufgetreten, das die Länder der Dritten Welt noch drastischer trifft als die Industriestaaten: die Verteuerung der Energie. Gerade in Ländern, denen in den letzten Jahren eine teilweise Industrialisierung gelungen ist, bedeutet die ölpreisver-teuerung einen schweren Rückschlag. Nach Ausbau der Straßen und Einführung des Transportes mit Lastkraftwagen ist Benzin plötzlich eine wichtige Ware geworden. Aber auch zur Bewältigung der Agrarprobleme ist Dieselöl Tür die Bewässerungsanlagen und für die landwirtschaftlichen Maschinen plötzlich von Bedeutung.

Die Folge ist, daß sich die Leistungsbilanz dieser Entwicklungsländer drastisch verschlechtert hat. Das Defizit der Entwicklungsländer ohne öl, das bei etwa 70 Milliarden Dollar lag, enthält heute schon 40 bis 50 Milliarden ölanteil. Die gerade entwickelten Industrien, deren Konkurrenzfähigkeit ohnehin nur beschränkt war, verkraften die Belastungen nur schwer.

Damit hat der Energiepreis einen weiteren Schub in der Verschuldung der Dritten Welt getan. Investitionen, die man auf Schulden tätigte, können nicht in dem Ausmaß genutzt werden. Die Schuldenrate, das Technologiedefizit und auch der Mangel an ausgebildeten Technikern und Wissenschaftlern schafft hier Schwierigkeiten für die weitere Entwicklung, die auf Jahre nicht zu lösen sind.

Mit anderen Worten: Das Konfliktpotential in den Ländern der Dritten Welt wurde in den vergangenen zwei Dekaden nicht verringert, sondern hat sich sogar gesteigert. Dazu sind auch die besonderen Probleme einer ungleichen Entwicklung gekommen.

Zonen bescheidenster Agrarwirt-schaft stehen neben Industrie- und Ballungszentren. Die Landflucht, wie sie auch in den Industrieländern bekannt ist, wurde in manchen Ländern zum Zug der Massen in die Ballungszentren, weil dort die Hoffnung auf Arbeit, Bil-

dung und Gesundheit erfüllt werden könnte. Hoffnungen, die in den Slums und Elendsquartieren rund um die Metropolen in den Ländern der Dritten Welt begraben werden. Im letzten Jahrzehnt sind neue Millionenstädte mit Zuwachsraten entstanden, die in der europäischen Geschichte nichts Vergleichbares haben.

In den Ländern der Dritten Welt überlagern sich die Probleme zu unterschiedlichsten Kombinationen, bei denen es einen gemeinsamen Nenner gibt: Es entsteht ein ungeheuerliches Konfliktpotential in einer Welt, die immer verflochtener wird. Dieses Konfliktpo-tential bedeutet die Verpflichtung für die Industrieländer, ihre Verantwortung um die Armen und Leidenden in dieser Welt auch zu erfüllen.

Entwicklungshilfe darf nicht von oben herab gegeben werden. Entwicklungshilfe darf keine Spende sein, sondern ist eine Verpflichtung, zu der alle aufgerufen sind, die mithelfen wollen, die Konflikte zu vermindern.

Das bedeutet aber ein Umdenken in den Beziehungen zu den Ländern der Dritten Welt und bedeutet auch eine Bereitschaft zum Opfer. Auf lange Sicht kann dieses Opfer eine gemeinsame Sicherheit und mehr Stabilität bringen.

Der Autor ÖVP-Sprecher für den Bereich Entwicklungspolitik.

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