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Wir, an der Donau

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Dieses Symposion hatte nicht die Aufgabe, Beschlüsse zu fassen. Man war zusammengekommen, um über die Einheit der Donauregion zu diskutieren, Historisches zu untersuchen, aus dem Bild der Gegenwart Schlüsse für die Zukunft zu ziehen.

Dann aber mehrten sich die Stimmen, diese drei Tage im Ko-lomanisaal des Stiftes Melk gewissermaßen zu perpetuieren. Der polnische Schriftsteller Andrzej Stojovski sprach es zum ersten Mal aus, der deutsche Germanist Jürgen H. Petersen schloß damit sein Referat, der ungarische Historiker Peter Hanäk griff die Idee auf, der polnische Literaturhistoriker Jerzy Borejsza gab dem Gedanken die Form einer Resolution: Wir mögen weiterhin zusammenarbeiten im Rahmen einer Donaugesellschaft für Kultur.

Eine Möglichkeit war rasch gefunden. Der Philosoph Peter Kampits, seit einigen Tagen wissenschaftlicher Leiter der niederösterreichischen Landesakademie, lud die zu gründende Gesellschaft ein, im Rahmen der neuen Hochschule wirksam zu werden. Von Landeshauptmann Siegfried Ludwig wurde die Einladung nochmals bekräftigt. Wir stimmten ab. Die fünfzig Gelehrten und Schriftsteller am U-förmigen Tisch hoben die Hand. Die neue Gesellschaft kann mit ihrer Arbeit noch in diesem Herbst beginnen.

Das Symposion „Modell Donauregion — Nationale Eigenart, neue Gemeinsamkeit“ war, so meine ich, das intellektuelle Kernstück des Donaufestivals. Es sollte das Gespräch, das 1982 mit einer ähnlichen Beratung des ORF-Landesstudios Niederösterreich begonnen hat, fortsetzen, und die Mitarbeit des Landesintendanten Paul Twaroch hatte in dieser Hinsicht nicht nur symbolische Bedeutung.

In den sechs Jahren seither hat sich allerdings viel ereignet. Nicht nur der extreme Nationalismus der Zwischenkriegszeit, sondern auch das geschlossene System des Stalinismus ist zusammengebrochen. Der Prozeß freilich ist widersprüchlich. Doch sind Versuche, den alten Absolutismus zu verlängern — so auch der ebenso grausame wie groteske Entschluß des rumänischen Conducadors, siebentausend Dörfer seines Landes schleifen zu lassen —, Anachronismen. Gerade durch das Extreme solcher Wahnideen wird das Denken einer längst überwundenen Epoche auf die Spitze getrieben, auf einen Punkt zu, an dem die Dinge notwendigerweise umkippen — freilich vorerst um den Preis unermeßlichen menschlichen Leids.

In manchen anderen Ländern kämpft das Weltbild der geschlossenen Gedankensysteme um sein praktisches Uberleben. Die Krisen in Polen und Jugoslawien, die Schwierigkeiten in Ungarn, die zaghaften Versuche einer Neuorientierung in der CSSR sind Zeichen solcher Rückzugsgefechte. Geschlossene Systeme können in Europa die Jahrtausendwende nicht überleben.

Die Lage wurde unter diesem Gesichtspunkt nicht nur von Peter Hanäk, vom Historiker Sergio M. Katunarich SJ aus Mailand, vom Schriftsteller Milos Mikein aus Laibach, vom Germanisten Egon Schwarz aus St. Louis und vom Literaturwissenschafter Joseph P. Strelka aus New York analysiert.

Auch die Vorträge der Österreicher wiesen in dieselbe Richtung. Die Ökonomen Werner Roehle und Anton Schöpf zeigten die Notwendigkeiten der Vernetzung und also auch der Öffnung, Moritz Csäky und Wolfgang Kraus beleuchteten die kulturhistorischen Hintergründe eines Prozesses, der, durch Uberwindung veralteter Ideologien, die tieferen Gesetzmäßigkeiten der Kulturgeschichte erkennen läßt.

Die besondere Rolle der nationalen Minderheiten kam oft zur Sprache. Der Historiker Istvän Deäk, New York, analysierte die Tragik des Problems, der Lyriker Märton Kaläsz aus Budapest sprach über die deutsche Minorität in Ungarn, der Pädagoge Reginald Vospernik aus Klagenfurt über die Lage der Kärntner Slowenen, Pater Ferenc Galambos aus Unterwart über die Ungarn im Burgenland. Der bedeutendste Lyriker der Ungarn in Siebenbürgen, Sändor Känyädi, konnte ebenfalls nach Melk kommen.

Beiträge zum großen kulturhistorischen Panorama entwarfen der Kulturhistoriker William M. Johnston aus Massachusetts, der Historiker Francois Dreyfus, zugleich Bürgermeister von Straßburg, der Literaturhistoriker Andre Reszler aus Genf und seine Kollegen Alexandru Dutu aus Bukarest und Zoran Konstanti-novic aus Innsbruck. In die Tiefe-leuchteten die Wortmeldungen des Germanisten J. P. Stern aus Cambridge - von all den übrigen Vortragenden nun gar nicht erst zu reden.

Das Ergebnis? Ein Gespräch von Freunden, die, über das Kon-troversielle hinweg, die Gemeinsamkeit wahrnehmen, ohne Uberschwang, aber auch ohne Skepsis. Österreichs auswärtige Kulturpolitik wird aus dieser Konstellation die richtigen Schlüsse ziehen müssen: Außenminister Alois Mock und Stadtrat Erhard Busek, die nach Melk gekommen waren, vermittelten den Teilnehmern des Symposions den Eindruck, sie hätten die Verr pflichtung erkannt. Nun sollten Taten folgen.

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