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Wir gefallen uns vielleicht zu gut

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Aufgefordert, als Sozialforscher schriftlich bekanntzugeben, was die Österreicher an ihrem Land und „an und für sich" für verteidigungswert halten, neigte ich zunächst zur Resignation. Eine bloße Ansammlung von Bevölkerungsurteilen zu verschiedenen Phänomenen Österreichs ist weder räumlich möglich, noch würde sie Wertigkeiten widerspiegeln. Und überdies haben wohl nur wenige Menschen wirklich klar reflektierte Vorstellungen davon, weshalb sie so sehr an diesem Land hängen, welche Bedeutung es für sie hat und welche Veränderungen es sich und ihnen entfremden würden.

Solche Gedanken macht man sich wohl am ehesten nach Verlusten, in der Emigration oder angesichts bedrohlicher Entwicklungen. Somit gestehe ich vorweg ein, daß die folgenden Aussagen den Charakter persönlicher Impressionen haben und nicht in allen Details mit Forschungsdaten belegbar sind . ..

Der Österreicher liebt sein Vaterland. Er liebts und hat auch vielerlei Begründungen für sein Gefühl. „Es gibt eine Art Vaterlandsliebe, die ihren Ursprung hauptsächlich in einem unmittelbaren, selbstlosen und unbestimmten Gefühl hat, das den Menschen durch Herzensbande an den Ort seiner Geburt heftet", heißt es bei Alexis de Tocqueville.

Und viele Verweise der Österreicher auf den Ursprung ihrer Zuneigung deuten auf eine solche „instinkthafte Liebe". Man liebt Österreich wegen seiner landschaftlichen Schönheit, wegen der Umgebung und Menschen, wegen der eigenen familiären Geschichte und dem vermuteten Charakter des hiesigen Menschenschlags.

Man führt aber auch Gründe an, die Tocqueville zum Bild einer „mehr verstandesmäßigen Liebe" rechnen würde; „weniger großherzig, vielleicht sogar weniger feurig, aber fruchtbarer und dauerhafter".

Mehr als 90 Prozent der in einer rezenten Untersuchung Befragten begründeten ihre Liebe zu Österreich mit dem politischen und sozialen Frieden hierzulande, mehr als 80 Prozent mit der Neutralität und fast drei Viertel mit einer globalen Zufriedenheit mit der Regierungspolitik.

Man schätzt den - vermuteten -guten Namen Österreichs in der Welt, die Leistungen der „großen Söhne" (vom UNO-Generalsekretär bis zum Skisieger nicht auszudenken, was ein österreichischer Papst für diese Spielart des Chauvinismus bedeutet hätte), den materiellen Wohlstand und österreichische Qualitätsware. Wir gefallen uns ganz gut.

Vielleicht zu gut, um noch zu bedenken, welche Voraussetzungen diese Quellen des Stolzes haben. Zwar achten und ehren wir - verbal - die Sozialpartnerschaft, die Grundzüge eines sozialmarktwirtschaftlichen Systems, direkt demokratische und repräsentativ demokratische Verfahren (Wahlen), aber wir wissen nicht so recht, wie wir unseren Einstellungen in der Tat entsprechen sollen; zweifeln, ob das Engagement des einzelnen „einen Sinn hat", „sich auszahlt", „etwas bringt". Man erwartet Verbesserungen, ja die Erhaltung des als positiv eingeschätzten Status quo- von oben, von den oft geschmähten Politikern, von den Machern und Mächtigen.

Die Gefahr besteht meines Erachtens nicht darin, daß die Österreicher ihr Land nicht lieben, sondern darin, daß sie daraus vielfach keine handlungsrelevante Verantwortung ableiten können. Man zahlt Steuer-und damit hat sichs. Altruistisches Engagement wird vielfach geringgeschätzt, für überflüssig, ja sinnlos gehalten.

„Der rationale Individualist weiß, daß er in Situationen gegenseitiger Abhängigkeit am besten fährt, wenn jeder andere kooperiert, er jedoch nicht, indem er beispielsweise einem gemeinschaftlichen Projekt aus dem Weg geht; er ist also ein „Schwarzfahrer", der durch die Kooperation der anderen befördert wird." Mit diesen Worten beschrieb Fred rfirsch („Die sozialen Grenzen des Wachstums") ein Grunddilemma unseres staatlichen Zusammenlebens.

Die Ursachen dieses verbreiteten „Schwarzfahrersyndroms" sind vielfältig: die wohlgemeinten Entlastungen durch ein hochentwickeltes

System sozialer Sicherheit zählen wohl ebenso dazu wie die Komplexität unserer Bürokratien, die scheinbare oder wirkliche Größe der sich vor uns auftürmenden Probleme und die Problemlösungs-Arroganz der „Experten".

Das verinnerlichte Gefühl der sozialen Verpflichtung stellt sich mühsamer ein als es verdrängt wurde. Es wächst vermutlich mit der Herausforderung, für die engere soziale Umwelt direkte Verantwortung zu übernehmen, im Verein mit anderen Menschen etwas zu tun - und nicht nur etwas zu spenden.

So gesehen sind Bemühungen um Selbstorganisation, Bürgerinitiativen, öffentliche Diskussionen, Nachbarschaftshilfe, Adventbasare und dergleichen nicht anachronistische Relikte, sondern Versuche der Wiedergewinnung persönlicher Verantwortung.

Man darf sein Österreich-Bild nicht dem ORF überlassen, „den Experten" oder „den Politikern". Damit es bleibt, wie man es liebt, muß man außer Geld (Steuern) auch tätige Zuneigung investieren; z. B. durch eigenen Umweltschutz im weitesten Sinn, Mitdenken in der Kommunalpolitik, Teilnahme an der Öffentlichkeit.

Einen Teil seiner Zeit sollte man der res publica widmen. Erhard Bu-sek hat einmal gesagt: „Wer heute keine Zeit hat, sich um Politik zu kümmern, könnte in Zukunft um die Chance kommen, es zu tun". Er könnte dann - so möchte man fortfahren - als Emigrant im eigenen Land darüber nachdenken müssen, was er daran einst geliebt hat.

Der Autor ist Sozialforscher sowie Geschäftsführer des Fessel- und GfK-lnstituts Tür Markt- und Meinungsforschung.

Zum Thema unserer Serie führt das Bildungshaus Wien-Ncuwaldegg gemeinsam mit der FURCHE im Rahmen der Reihe „Zeitungsakademie" am Freitag, 12. Dezember, von 15 bis 19 Uhr eine Diskussionsveranstaltung durch (Kursbeitrag öS 50,-). Anmeldungen sind an das Bildungshaus Neuwaldegg, Tel. 0222/ 462222 erbeten.

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