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„Wir haben das richtige Maß gefunden“

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FURCHE: Wie verstehen Sie den gesetzlichen Auftrag des österreichischen Rundfunks?

IN DER MAUR: Ich glaube, daß Hörfunk wie Fernsehen erstens korrekt und mit dem erzielbaren Höchstmaß an Objektivität berichten sollen. Sie haben aber weiters die Aufgabe, und dies verstehe ich unter Meinungsvielfalt, alles, was sich abspielt, im

Bereich der Ideen ebenso wie im künstlerischen, wiederzugeben, also keine gewalttätige Selektion auf Grund einer Eigenideologie vorzunehmen, nicht etwas von sich aus für gut oder schlecht, böse oder brav zu erklären. Er hat auf allen Gebieten nicht nur die herrschende Lehre wiederzugeben, die ja oft nur der herrschende Irrtum ist, sondern auch Kontra- und Nebenmeinungen.

FURCHE: Nach der Rundfunkreform 1967 wurde ein sprungliaf-tes Ansteigen der politischen Informiertheit der Österreicher registriert und vielfach vor allem dem Fernsehen gutgeschrieben.

IN DER MAUR: Ich glaube, man muß realistischerweise sagen, daß die gehobene' Informationsdichte in gleichem Maß wie durch das Fernsehen durch den Hörfunk zustande gekommen ist und nicht durch das Fernsehen, sondern in noch höherem Maß durch den Hörfunk weitergepflegt und gesteigert wird. Im rein aktuellen Bereich kann ja der Hörfunk mit drei täglichen Journalsendungen bis zu einer. Stunde und den stündlichen Nachrichtenblöcken, die zum Großteil durchgeschaltet sind, unendlich mehr bieten als das Fernsehen, das nur eine ganz geringe Auswahl aus dem vorhandenen Material bringen kann. Wir hatten zudem im Hörfunk schon früher etliche sehr informative ge-sellschafts-, kultur-, sozial-, wirt-schafts-, usw. politische Sendunggen, und ich habe mit meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern da eine ganze Reihe hinzugefügt.

FURCHE: Kann man sagen, daß der Hörfunk gegenüber, dem Fernsehen verlorenes Terrain wieder aufholt?

IN DER MAUR: Ganz bestimmt, und zwar aus verschiedenen Gründen. Das Fernsehen hat, und dies hängt zweifellos auch mit der wirtschaftlichen Hochkonjunktur der letzten zehn Jahre zusammen^ ein sehr kulinarisches und luxuriöses und schließlich sogar verschwenderisches Leben geführt. Heute kann man sagen, daß die meisten Fernsehanstalten . so ziemlich am Ende ihrer finanziellen Leistungskraft angelangt sind. Der Hörfunk ist viel elastischer, kann wirtschaftliche Einbrüche leichter auffangen.

FURCHE: Jedenfalls kann man sagen, daß die Bereitschaft, etwa in der Hauptsendezeit des Fernsehens den Fernseher wegen einer interessanten Hörfunksendung abzustellen, zugenommen hat? '

IN DER MAUR: Ohne Zweifel, obwohl wir Genaues erst nach Vorliegen entsprechenden Zahlenmaterials werden sagen können. Aber auch früher schon, in der großen Zeit des Fernsehens, wurden gute Sendungen des Hörfunks von fünfzig- bis hunderttausend und mehr Menschen gehört. Das mag sich neben eineinhalb Millionen Sehern bescheiden ausnehmen, “aber wenn ein Hörspiel oder für den Funk bearbeitetes Theaterstück von 100.000 Menschen gehört wird — rechnen Sie das einmal um auf die Zahl der Sitze im Burgtheater! Und das sind ja dann Menschen, die sich das Gebotene bestimmt ganz bewußt anhören. Wenn wir beispielsweise gute Wissenschaftssendungen haben, und die haben wir, bin ich sehr zufrieden, wenn ich weiß, daß wir ein Publikum von 10.000 Hörern haben, denn die nutzen das Gebotene entsprechend intensiv, und 10.000 Menschen, das sind fünf große, volle Theater, oder so und so viele volle Volkshochschul-Hörsäle. Man kann beim Hörfunk viel weniger als beim Fernsehen sagen, daß es auf die- absoluten Einschaltziffern ankommt. Das Rundfunkgesetz spricht da eine deutliche Sprache, es besteht für uns eine echte und dankbare Aufgabe, die Bedürfnisse zahlenmäßiger Minderheiten zu befriedigen. Beim Fernsehen wäre das zu teuer. Bei uns, beim Hörfunk, ist es möglich. Man muß ja auch bedenken, daß der Hörfunk eine Sendezeit von täglich 80 bis 82, das Fernsehen nur 12 bis 16 Programmstunden hat.

FURCHE: Können Sie eine Bilanz Ihrer bisherigen Arbeit ziehen?

IN DER MAUR: Eigenlob ist so eine Sache;., ich glaube, alle neuen Sendungen sind gut angekommen, weil wir gute Mitarbeiter und uns nicht zuviel, aber auch keinesfalls zuwenig vorgenommen haben. Man muß sich immer so viel vornehmen, wie aus der Mannschaft herauszuholen ist. Wir haben das richtige Maß gefunden, und ich glaube, sagen zu können, daß im nächsten Jahr kaum neue Sendungen dazukommen werden — auf ö 3 kommt ein neues Verkehrssicher-heitsmagazin, aber man kann nicht in jedem Jahr einen Stoß von acht oder zehn Sendungen einführen.

FURCHE: Sehen Sie im Rundfunk einen Faktor, der die Demokratie in Österreich stabilisiert und stärkt?

IN DER MAUR: Ich glaube, ja. Wir haben übrigens einige Experimentiersendungen laufen, die wir im kommenden Jahr stark ausdehnen werden. Man hört oft das Schlagwort „Publikum macht Programm“ — ein Programm machen immer nur wenige, es können nicht die Millionen in die Studios strömen. Aber wir versuchen, interessierten Gruppen, die sich irgendwo bilden, Studenten, Arbeitern, Gelehrten oder sonstigen Leuten Zeiten und technische Hilfe zur Verfügung zu stellen, und zu sagen: Macht einmal das Programm, das ihr gerne machen wolltet. Es wird Fehler und Mißerfolge geben, aber ich glaube, dieser Versuch wird gelingen, und ich bin sehr glücklich, daß auch viele Landesintendanten diesen Weg beschreiten. Ich bin optimistisch, daß man hier zu ganz neuen Sendeformen kommen wird. Denn nicht wir allein sollen bestimmen, was im Pluralismus Platz hat, sondern wir . werden über ganz neue Pluralismen zu staunen haben. .

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