6815250-1973_05_03.jpg
Digital In Arbeit

„Wir können nicht vom Globus springen

19451960198020002020

Der 38. Stock der riesigen Zündholzschachtel am East River beherbergt den Generalsekretär der UNO und seinen Stab. Das große quadratische Vorzimmer ist nüchtern eingerichtet, gelbe Lederfauteuils, ein „ärarischer“ Mantelständer und, ganz verloren an den langen Wänden, eine asiatische Skulptur und ein kleines, anspruchsloses Landschaftsbild des französischen Malers Lavieille. Ringsherum Schreibtische und die Telephonzentrale. Gemessen an dem Raffinement in den Arsenalen moderner Terroristen sind die Sicherheitsvorkehrungen im 38. Stock des UNO-Gebäudes bescheiden.

19451960198020002020

Der 38. Stock der riesigen Zündholzschachtel am East River beherbergt den Generalsekretär der UNO und seinen Stab. Das große quadratische Vorzimmer ist nüchtern eingerichtet, gelbe Lederfauteuils, ein „ärarischer“ Mantelständer und, ganz verloren an den langen Wänden, eine asiatische Skulptur und ein kleines, anspruchsloses Landschaftsbild des französischen Malers Lavieille. Ringsherum Schreibtische und die Telephonzentrale. Gemessen an dem Raffinement in den Arsenalen moderner Terroristen sind die Sicherheitsvorkehrungen im 38. Stock des UNO-Gebäudes bescheiden.

Werbung
Werbung
Werbung

Wärme entsteht erst, wenn man sich mit Generalsekretär Kurt Waldheim in einer Sitzecke, schief gegenüber dem riesigen Glasfenster mit der herrlichen Aussicht auf den East River, niederläßt. Sogleich ist der alte Kontakt hergestellt und auch das Interesse an Österreich ist nach wie vor rege. Kurt Waldheim ist ein Jahr in seinem Amt:

• „Während ich früher österreichische Interessen wahrnahm, muß ich jetzt die Interessen der world Community vertreten.“

• „Objektiv und sachlich... an das Weltgewissen appellieren... es ist unvermeidlich, daß ich dabei dem einen oder anderen auf die Zehen steige.“

Welche Werkzeuge stehen dem Generalsekretär aber zur Verfügung? Nach wie vor nur die der stillen Diplomatie und die öffentliche Erklärung, der Appell an das Gewissen.

Hier ist kein mächtiger Industrieführer am Werk, der Aktienpakete kontrolliert — auch kein Exekutivorgan eines Nationalstaates. Der Generalsekretär verfügt über keine Armee. Fast augenblicklich kommt Stalins berühmter Ausspruch von Jalta in Erinnerung: „Über wie viele Divisionen verfügt der Papst?“

Der Generalsekretär Kurt Waldheim sieht sich mehr denn je als einen moralischen Faktor — seine „Kunst“ besteht darin, die beiden Werkzeuge taktisch geschickt und richtig koordiniert einzusetzen.

Sogleich wird das Gespräch auf eine der letzten Initiativen Waldheims gelenkt: auf die Befassung der Generalversammlung mit dem Problem des internationalen Terrorismus. Diesen Punkt der Tagesordnung hatte der Generalsekretär mit seiner ihm typischen Zähigkeit und gegen starken Widerstand durchgesetzt.

Ja — aber es ist doch nichts dabei herausgekommen...

Hätte nicht der gesunde Menschenverstand, wenn schon keine konkreten Maßnahmen, so zumindest doch eine gemeinsame Verurteilung erwartet?

Waldheim: „Die UNO ist eben ein Spiegelbild ihrer Mitglieder. Sie ist so stark wie ihre Mitglieder.“ Und schließlich habe die von der amerikanischen Regierung einberufene Konferenz über das „Hijacking“ von Flugzeugen ja auch keinen Konsensus erreichen können. „Ultra posse nemo tenetur.“

Der Österreicher mit seinem Sinn für Realismus kommt zum Vorschein: „Was ist uns nicht schon alles zugestoßen?“

Wir kämpfen hart, aber wir zerbrechen nicht, wenn wir nicht erfolgreich sind! „Im übrigen ist das Problem weiterhin auf der Tagesordnung, es bleibt also abzuwarten, welche Entscheidungen noch fallen.“

Auch dieser ewige Optimismus ist österreichisch. ,

„Quiet diplomacy“ und das „pro-nunoiamento“. Immer wieder kommt Waldheim auf diese beiden Werkzeuge zurück.

Vor allem in der Vietnamfrage: „Es war meine Pflicht, auf die menschlichen Leiden und möglichen Katastrophen durch die amerikanischen Bombardements hinzuweisen.“

Auf die Bemerkung, daß man immer nur von den amerikanischen Atrozitäten höre, aber nichts von den kommunistischen Exekutionen in Hue, weist Kurt Waldheim auf seine Stellungnahme gegen die Frühjahrsoffensive der Nordvietnamesen hin.

Aber der Beobachter hat bei diesem Thema das Gefühl, daß Waldheim nicht zu tief in die Polemik hineingezogen werden will — obwohl er weiß, daß von ihm eine Stellungnahme als „moralischer Faktor“ einfach erwartet wird.

Vietnam ist ein Test für eine an-' dere Problematik: bilaterale oder multilaterale Verhandlungen? Waldheim zeigt sich über die Entwicklung informiert; seine Kontakte: Henry Kissinger und Außenminister William Rogers auf der einen, ein privater „Faden“ nach Hanoi (da ja Nordvietnam am East River nicht offiziell vertreten ist) anderseits.

Gegenüber dem Waffenstillstand verhält er sich abwartend. Prinzipiell glaubt Waldheim, daß bilaterale Verhandlungen durch multilaterale Gespräche komplettiert werden sollten: „Schließlich ist Vietnam eine Weltkrise, die uns alle angeht!“

Und überdies: die Konferenzräume am East River stehen immer offen. Sei es überdies nicht symptomatisch, daß der UNO-Generalsekretär zur Friedenskonferenz, die den Vietnamkrieg abschließen soll, eingeladen wurde? Das ist das erste Mal, daß die UNO offiziell in dieser Frage herangezogen wird!

„Im Mittelosten haben wir ein klares Mandat des Sicherheitsrates und der Generalversammlung.“-

Man gewinnt den Eindruck, daß sich hier der Generalsekretär besonders engagieren will. Er verweist auf die relative Ruhe in diesem Raum: „Das Jahr 1972 war das Jahr der Vorbereitung.“

Aber nun kommt eine neue Waffe des taktischen Arsenals zum Vorschein: der persönliche Einsatz, die Reise, die Dynamik, das Sich-an-Ort-und-Stelle-Informieren.

Kurt Waldheim plant eine persönliche Reise in den Mittleren Osten, sobald ihm diese zweckmäßig erscheint.

Denn er hat an Ort und Stelle persönlich mit der Regierung Südafrikas über die Unabhängigkeit Namibias verhandelt und ist dabei weiter gekommen als vom Schreibtisch aus.

Demnächst gelte es, politische und menschliche Probleme — sind diese nicht immer verknüpft? — auch im Bereich des indischen Subkontinents (Bangla Desch, Pakistan) persönlich anzugehen: „Aus Leisetreten wird nichts ...“

Unwillkürlich erinnert das an Höhepunkte in amerikanischen Wahlkämpfen ... Eisenhowers „I will go personally to Korea ...“

Aber schließlich wirbt Waldheim nicht Wähler. Hier manifestiert sich vielmehr die Überzeugung, daß die Dinge-an Ort und Stelle anders aussehen als im Aktenschrank — ein Vertrauen in die eigene unglaubliche Zähigkeit, die ein Nein des Verhandlungsgegners nicht gelten läßt?

„Stahl in Samt gehüllt“ — so charakterisierte die Zeitschrift „Newsweek“ Kurt Waldheim und ihm gefällt dieser Vergleich sichtlich.

Und da wäre auch das erste abgeschlossene Jahr seiner Tätigkeit als Generalsekretär zu überblicken: Waldheim meint, daß die positiven Elemente überwiegen:

• Die festgefrorenen Zypeirngesprä-che sind durch persönliche Initiative wieder in Schwung gebracht worden;

• durch „quiet diplomacy“ zeichnet sich eine Annäherung der beiden feindlichen Korea ab;

• der Konflikt im Jemen ist beigelegt;

• der persisch-irakische Grenzkon-flikt ist entschärft.

Und wenn auch die blutigen Unruhen in Burundi und die Ausweisung der Asiaten aus Uganda nicht verhindert werden konnten, so wurde doch viel menschliches Leid gelindert.

Freilich empfindet Waldheim es als negativ, daß in Vietnam und im Mittelosten noch die Waffen sprechen.

Die Großmächte müßten einsehen, daß militärische Maßnahmen keine Probleme lösen und daß militärische Konflikte nicht isoliert werden können: „Die Welt ist kleiner geworden, wir können nicht vom Globus springen ...“

Worauf Kurt Waldheim aber ebenso sichtlich stolz ist, das sind seine Verwaltungsreformen im eigenen Haus. Sechs Millionen Dollar wurden im abgelaufenen Jahr eingespart, fast 400 Posten nicht mehr besetzt — und dabei „verfüge ich über das bestqualifizierte Team, das ich mir vorstellen kann“.

Zu diesem Team zählen auch zwei bewährte österreichische Diplomaten, junge und alte Waldheim-Mitarbeiter, die als „Filter“ und „Katalysatoren“ dieser dynamischen Persönlichkeit dienen, dabei aber seinen Arbeitsstil „bis zur Erschöpfung“ gut durchhalten.

Die eingestreute Idee, die UNO möge den Weg der kleinen Schritte gehen, wobei jeder erfolgreiche Schritt das Gewicht und Ansehen der Organisation heben und für größere Aufgaben geeigneter machen könnte, wird verworfen. Waldheim sieht seine Aufgaben universal; er sieht sie in Zukunft mehr denn je politisch, sozial und humanitär:

Bloß dann, wenn man durch Dynamik und Initiative im richtigen Augenblick die Dinge angeht, werde die UNO wieder an GlaubWürdigkeit gewinnen und eine Realität werden.

Hier spielt vielleicht eine natürliche Reaktion gegenüber der von manchen Seiten geübten Kritik an seinem Vorgänger mit, bei dem Krankheit und vielleicht asiatische Resignation ein zunehmendes Zurückziehen aus der aktiven Intervention bewirkten.

Waldheim ist jedenfalls am Beginn jenes zweiten Jahres voller Initiative, Dynamik und politischer Courage.

Kurt Waldheims politische Laufbahn hat ihn, so bemerkte er, darin bestätigt, daß „aus nichts nichts wird“. Daher will er nicht darauf warten, bis andere etwas tun, sondern zieht es vor, selbst initiativ zu werden.

Nach einem Jahr UNO-General-sekretariat ist Waldheim jedenfalls überzeugt, daß sich diese Grundsätze auch auf Weltebene durchsetzen werden.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung