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„Wir leiden noch am Panzersyndrom

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Seit über zehn Jahren werden Umweltstrategien unter Etiketten wie „qualitatives Wachstum”, „Postindustrialismus”, „Modernisierung der Volkswirtschaft” propagiert. Warum haben sie sich bis jetzt nicht durchgesetzt? Warum wurde dieser absehbare Wandel nicht vorsorglich, ohne die hohen Verluste an Arbeitsplätzen, durch staatliche Strukturpolitik herbeigeführt?

Man könnte hier einfach von einem Staatsversagen im Umweltschütz sprechen. Aber das Versagen betrifft die umweltpolitische Vorsorge, die Prävention. Der nichtpräventive, nachsorgende, nachgeschaltete Umweltschutz hat längst Konjunktur. Das sind die bloße Reparatur von Umweltschäden und das Versehen von Produktions-, Verbrauchs- und Verkehrsstrukturen mit Zusatzanlagen, die die Umweltbeeinträchtigungen mindern sollen. (Filter anlagen, Lärmschutzwälle, Klär- und Abfallverbrennungs-änlagen usw.)

Diese Vermarktung der Um- • weltprobleme funktioniert ebenso gut wie die Vermarktung der Gesundheitsprobleme, die den medizinisch-industriellen Komplex wachsen läßt. Beides führt aber zur Vernachlässigung der Vorsorge. Und beides löst die Probleme nicht, sondern kuriert nur die Symptome.

Die meisten Industrieländer befinden sich in einem tiefen Innovationsdilemma. Es ist dies das Ergebnis, daß die alten Schornsteinindustrien nicht nur Kapital, sondern auch Macht angehäuft haben, die ihre Wandlungsbereitschaft untergrub. Der Begriff, der das veranschaulicht, heißt Panzersyndrom. Ein Panzerfahrer kann dumm und blind sein und die Umgebung, die er möglicherweise niederwalzt, vernachlässigen. Ein Radfahrer hingegen muß sich intelligent verhalten und die Widerstände in seiner Umgebung zur Kenntnis nehmen.

Wer daher in den achtziger Jahren umweltpolitische Forderungen stellt, sollte also ausdrücklich vom präventiven Umweltschutz sprechen. Dazu zunächst vier Thesen:

# Entgegen allen Vermutungen stimuliert ein strenger Umweltschutz den technischen Fortschritt. Das Land mit dem strengsten Umweltschutz in der Welt ist anerkanntermaßen das innovationsfreudigste. Gemeint ist Japan.

• EinpräventiverUmweltsfcnutz setzt einen aktiven, gestalterischen Staat mit Langzeitperspektive voraus, der sich gegenüber der Industrie durchzusetzen vermag. (Für die meisten westlichen Industrieländer gilt sicherlich die Diagnose von der Unregierbar-keit der Industrie, wenn es um staatliche Vorsorge geht.)

• Dieses Staatsversagen gilt für den vorsorgenden Umweltschutz. Denn die Vermarktung der Umweltprobleme durch die Öko-Industrie funktioniert recht gut. Die Grenzen liegen aber in den hohen Kosten und in der ungeklärten Kostenzuweisung. Solange die Kosten der Staat übernimmt, funktioniert diese Art des Umweltschutzes. Wo aber die Industrie nach dem Verursacherprinzip diese übernehmen soll, entstehen deren Widerstände.

• Umweltschutz mit Hilfe einer Öko-Industrie, die sich auf Kläranlagen, Filteranlagen oder Schallschutzwänden spezialisiert, ist nur der letzte Schrei einer insgesamt überholten Produktionsweise des Industrialismus.

Was ist also die Alternative?

Der Staat muß eine aktive Rolle als ökologische Vorsorgeinstanz einnehmen. Sie muß allerdings anders aussehen als die heutige Rolle:

• Ein vorsorgender Staat muß allgemeine, umweltpolitische Rahmenbedingungen setzen und diese schrittweise verschärfen. Der Staat soll der Industrie aber nicht die Technik vorschreiben, wozu er gar nicht geeignet ist, sondern die zu erzielenden Resultate. (Zum Beispiel Abgaben auf Schadstoffemissionen, die im Zeitverlauf so erhöht werden, daß eine Umstellung ökonomisch erzwungen wird.)

Ein Kernbereich der Vorsorge ist die Abschätzung der ökologischen Risken. Sie müßte bereits im Forschungsstadium einsetzen und nicht dann, wenn bereits Investitionen getätigt oder Arbeitsplätze entstanden sind. Scharfe Haftungsregelungen und staatliche Kontrollen müssen hinzutreten.

• Eine weite Maxime ist die der umfassenden Dezentralisierung. Wir haben lernen müssen, daß man unregierbaren Industrieverhältnissen nicht mit kontrollierenden Superstrukturen begegnen kann. Diese verbünden sich allzu leicht.

Staatliches Programm

Eine systematische Förderung von Mittel- und Kleinbetrieben und verschärfte Kartellpolitik wären hier sehr sinnvoll. Die Setzung von umweltpolitischen Rahmenbedingungen müßte zentral erfolgen, die Durchführung möglichst dezentral.

# Die Position der potentiellen Umweltopfer—die sprachlose Natur und die künftige Generation — muß gestärkt werden. Die Verbandsklage für diese beiden ist daher unerläßlich.

• Durch technische Innovationen muß die ökologische Modernisierung der vorhandenen Strukturen vorgenommen werden. Notgedrungen handelt es sich hier um ein staatlich gefördertes Programm, das über Emissionsabgaben, Rohstoff- und Energiesteuern zu finanzieren wäre.

Der Strukturwandel hin auf eine immaterielle Produktion von Dienstleistungen und Informationen auf der Basis eines geschrumpften und angepaßten Industriesektors und einer ökologisch angepaßten Landwirtschaft ist umweltpolitisch eine reale Möglichkeit. Und man solle auf sie setzen.

Der Autor ist Professor für vergleichende Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin und war 1981 bis 1983 Mitglied des Abgeordnetenhauses von Berlin.

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