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Wir reden nicht miteinander

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Der Autor ist Professor für Zivilprozeßrecht an der Universität Wien, Vertreter der Cursillobewe-gung im Osterreichischen Laienrat, und Pfarrgemeinderat in Wien-Kaasgraben

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Der Autor ist Professor für Zivilprozeßrecht an der Universität Wien, Vertreter der Cursillobewe-gung im Osterreichischen Laienrat, und Pfarrgemeinderat in Wien-Kaasgraben

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Meine Tätigkeit an der Universität und meine Tätigkeit im Bereich der Kirche bescheren mir viele Sitzungen. Und leider haben doch einige dieser Sitzungen etwas gemeinsam: Sie erzeugen Frustrationen. Denn nicht selten fragt man sich nach stundenlangen Diskussionen, ob man diese Zeit nicht nutzbringender hätte verwenden können.

Da nun aber all die Kollegiums-, Kommissions-, Ratsund Ausschußsitzungen zweifellos nicht deshalb eingeführt worden sind, um die Teilnehmer davon zu überzeugen, es sei sinnlos, daran teilzunehmen, kann die Ursache des Unlustgefühls nicht in der Sitzung an sich liegen.

Grundsätzlich wird man auch die in den letzten Jahren zum Beispiel im Bereich der Universität und auch im Bereich der Kirche durchgeführten Reformen mit der Zielsetzung, mehr Demokratie und Mitbestimmung einzuführen, positiv bewerten. Die vielen neu eingeführten Gremien mit ihren Sitzungen bringen ja mehr Möglichkeiten der Kommunikation mit sich.

Und wenn die Leute mehr miteinander reden, müßte das doch einen Fortschritt bringen: Nicht mehr einsame Entscheidungen einzelner oder doch nur weniger „Führender", sondern die gemeinsame Beratung und Bewältigung von Problemen durch alle Betroffenen.

Warum dann aber Frustrationen? Ganz einfach deshalb, weil wir zwar viel diskutieren, aber nicht miteinander reden. Weil wir, von der Richtigkeit unseres eigenen Standpunktes felsenfest überzeugt, sehr oft einander gar nicht zuhören. Weil das, was wir mit soviel Vehemenz vertreten, oft niemandem etwas bringt, ausgenommen vielleicht unserer Eitelkeit.

Weil wir außerdem imstande sind, mit bestürzender Härte gegen Personen zu argumentieren, mit. denen wir schon wenig später wieder zusammenarbeiten müssen. Weil wir den anderen nur zu gerne zu verstehen geben, daß ihnen gewisse Kapazitäten abgehen. Die Ursache des Mangels liegt also offensichtlich bei uns selber.

Bei einem Kommunikations-

training meinte der Vortragende, es sei schon seltsam, daß das, was die Psychologen heute als der Weisheit letzten Schluß für die menschliche Kommunikation anpreisen, nämlich wie wichtig es sei, einander freundschaftlich zu begegnen, einander anzunehmen und anzuerkennen, das Christentum schon seit zweitausend Jahren verkünde.

Wenn man so etwas als Christ hört, ist zunächst die Versuchung groß, mit Genugtuung festzustellen: Jetzt kommen endlich auch die Ketzer (als solche gelten die Psychologen noch allemal) auf das, was wir schon lange wissen.

Genau darin liegt aber das auch schon zweitausend Jahre alte Dilemma des Christen: Daß er das, was er weiß, nicht tut! Beim erwähnten Kommunikationstraining habe ich er-

kennen müssen, daß ich, wiewohl mir die Härte und Un-freudlichkeit mancher Diskussion oft nahezu Schmerz bereitet hat, selber recht schroff zu argumentieren imstande bin. Und ich habe wieder einmal gelernt, daß das Erkennen von Mißständen nur eine sinnvolle Reaktion nach sich ziehen kann: Bei sich selbst zu beginnen!

Für den kirchlichen Bereich ist es wohl legitim, an ein Christus-Wort zu erinnern: „Wenn einer ein Erster sein will, muß er der Diener aller sein." Ich bin auch tatsächlich optimistisch, daß das Beispiel vieler aus allen Schichten der Kirche immer mehr Breitenwirkung erzeugen wird.

Denn so wie unter den mit besonderen Weihen ausgestatteten Amtsträgern der Kirche die Freude am Dienen zu-

nimmt, wächst auch unter den Laien langsam das Verständnis für das allgemeine Priester-tum. Es gibt heute mehr Gemeinden, Bewegungen oder Gruppen denn je in dieser Kirche, auf die die Beschreibung der Apostelgeschichte zutrifft: Sie waren ein Herz und eine Seele.

Diese christliche Utopie, wird mancher sagen, ist vielleicht im Rahmen der Kirche da und dort zu verwirklichen, aber in der Welt? Das ist ein Grundfehler, den wir Christen selber immer wieder machen: Die Unterscheidung zwischen der christlichen Sphäre mit dem Sonntagsgesicht und der weltlichen Sphäre, die oft gleich nach dem Gottesdienst beginnt.

Wenn schon die moderne Psychologie Freundlichkeit und gegenseitige Anerkennung propagiert, dann müßten wir Christen doch imstande sein, unser Christentum wirklich zu einer Haltung zu machen, die uns ständig prägt.

Vielleicht würde sich dann mancher Gesprächspartner daran erinnern, daß er sich ja immerhin auch Christ nennt. Vielleicht würde mancher, der gar kein Christ sein will, doch bemerken, daß diese Haltung das menschliche Zusammenleben angenehmer macht. Und vielleicht würden die Menschen dann auch in Sitzungen mehr miteinander reden.

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